Der Polizeischüler

Die erste Bekanntschaft mit den Bullen

Bokolic gehört nunmehr seit geraumer Zeit der „Arbeitenden Bevölkerung“ an. Selten sind die Tage geworden, an denen er der Arbeit entrinnen kann. Noch immer, wenn Frühling über das Land kommt, die ersten warmen Sonnenstrahlen den Tag ankündigen und die Luft voller Frühlingslaute, Frühlingsgerüche und Frühlingsgedanken ist, überkommt Bokolic Sehnsucht nach den Straßen, die ziellos irgendwohin führen. Für einige Tage endlich dem alltäglichen Trott der Arbeit entkommen, fährt Bokolic, wie gewohnt den Daumen nach oben gereckt, mit Chauffeur oder Chauffeuse in fremden Autos durch die Lande. Die Heimfahrt endet an einem Wochentag morgens in der Frühe am Bahnhof Saarbrücken. Bis dorthin hat ihn ein freundlicher alter Herr aus dem nahen Fischbachtal mitgenommen. Beim Aussteigen entdeckt Bokolic Erstaunliches. Der gesamte Vorplatz, auf dem sonst die Busse des Nah- und Fernverkehrs ihre Haltestellen hatten, ist bis zu der Straßenschleife zwischen dem Restaurant Holzkopp und der auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Absackerkneipe fein säuberlich in Parkbuchten für Pkw zerschnitten worden. An jeder dieser weiß markierten Buchten prangt ein Groschen-, bzw. wie es sich für das noch nicht renationalisierte Saarland gehört, ein Centimegrab das die von den parkenden Autobesitzern eingeworfenen Geldstücke auffrisst und dafür eine oder auch zwei Stunden Parkzeit herausrückt. Bokolic studiert aufmerksam die auf einer weißen Tafel angeschlagenen Parkbedingungen. Nirgendwo ist die Rede davon, dass gegen Entgelt nur stolze Besitzer eines Gefährtes mit Verbrennungsmotor ihr Gefährt hier parken dürfen. Lediglich von „Benutzung“ und der damit erforderlichen Entrichtung einer „Benutzungsgebühr“ ist die Rede. Somit folgert Bokolic, darf nicht nur ein Auto, nein auch ein Drahtesel, gar ein Esel oder ein sonstiges Lasttier, ja selbst Bokolic gegen entsprechendes Entgelt einen Parkplatz für die von der Uhr angezeigte Zeit benutzen. Da Bokolic an diesem Morgen noch nicht gefrühstückt hat, der klägliche Rest seiner Reisekasse dem Preis für das Gedeck im Holzkopp nicht gewachsen ist, beschließt Bokolic die letzten Centimes für einen freien Platz an der Sonne auszugeben und auf die Reste seines in Lothringen zusammengestoppelten Reiseproviants zurückzugreifen. Nachdem vorschriftsmäßig die Parkuhr an einer freien Parkbucht bedient, ihm diese zwei Stunden bezahlte Parkdauer anzeigt; breitet Bokolic seine Schlafmatte in dem weiß markierten Geviert aus. Danach deckt er aus den Tiefen seines Rucksackes seinen Tisch. Er fördert eine halb ausgetrunkene, wieder verkorkte Flasche Rotwein ebenso zu Tage, wie eine „demi- flute“, zu Deutsch die Hälfte eines französischen Stangenweißbrots. Noch ein paar Kleinigkeiten wie ein Camembert und ein Ende lothringische Fleischwurst, ergänzen die Speisekarte vortrefflich. Das Fahrtenmesser dient zum Entkorken der Flasche, wie danach als Brot- Käse- und Wurstmesser. Der Rotwein lässt sich zur Not auch aus der Flasche trinken. So lehnt sich Bokolic im Schneidersitz auf seiner Matte mit dem Rücken an seine Parkuhr, zufrieden vor sich hin kauend. Um ihn herum belebt sich auch der Parkplatz im morgendlich anwachsenden Berufsverkehr. Irgendwann sind alle Parkplätze belegt. Bokolic ist gerade dabei sein Frühstück mit einem Stück Käse und einem Schluck Rotwein abzuschließen, da hält ein großer Gangster Citroën, der Mercedes unter den französischen Wagen, vor seinem auf Zeit gemieteten Frühstücksplatz. Der Fahrer steigt aus und versucht lamentierend den armen Bokolic von seinem Platz zu vertreiben. Bokolic bedeutet ihm, er könne ihm mal den Buckel rauf- und runterrutschen, schließlich habe er für den Platz bezahlt, die Parkzeit sei noch nicht abgelaufen und er, Bokolic, mit dem Frühstück noch nicht zu Ende. Wutentbrannt steigt der Autofahrer ein, lässt den Motor an und gibt langsam Gas, hierbei schiebt er den, jetzt mit dem Rücken zu ihm sitzenden, Bokolic mitsamt seinem Frühstückstisch vor sich her bis zur Parkuhr. Darauf springt Bokolic auf, schnappt sich seinen Rucksack und die Decke nebst Frühstücksutensilien und klatscht zuerst den Rucksack, dann die Decke und zum Schluss sich selbst auf die Motorhaube des Citroen. Einige Passanten sind stehen geblieben und schauen dem Treiben belustigt zu. Der Autofahrer hat den Motor abgewürgt, springt aus dem Wagen und ist offensichtlich gewillt den auf seinem Parkplatz beharrenden Bokolic mit Gewalt zu vertreiben. Einige der Passanten ergreifen laut Partei für den körperlich weit unterlegenen Bokolic. Der Streit wogt hin und her, bis endlich die Aufsicht im Bahnhof die zuständige Polizeiwache verständigt. Danach geht alles sehr schnell. Bokolic wird mitsamt seiner Habe von der Kofferraumhaube des Citroen in den Mannschaftsbus gehoben, der protestierende Autofahrer darf seinen Wagen abschließen und dann neben Bokolic auf dem Armesünderbänkchen Platz nehmen. Beide werden zur Wache verfrachtet und können dort in aller Ruhe ihre Beschwerden und unterschiedlichen Rechtsmeinungen vortragen. Gegen den Autofahrer wird eine Anzeige wegen Nötigung aufgenommen, nachdem Bokolic leutselig erklärt, keinen Schaden davongetragen zu haben. Bokolic wird verwarnt, weil er den Pkw-Parkplatz zu anderweitigen Zwecken benutzt hat. Nach seinem Hinweis auf die weiße Gebührentafel, die gerade eben nicht aussagt, dass es sich ausschließlich um einen Parkplatz für Pkw handelt, greift der Wachleiter in seine Tasche und gibt grinsend Bokolic die Münzen zurück, die dieser in die Parkuhr eingeworfen hat. Als Bokolic Tage später das besagte Schild sucht, findet er darüber eine Tafel, auf der steht: „Gebührenpflichtiger Parkplatz – Nur für PKW“.

Der Polizeischüler

Polizeischüler werden Polizisten in der Grundausbildung genannt. Bokolic sollte bald feststellen, dass ihm auf der Polizeischule nur die Grundlagen dieses Handwerks beigebracht werden. Alles, was darüber hinausgeht, muss er sich im Laufe seines Berufslebens alleine beibringen.

Auch stört ihn das Missverhältnis zwischen körperlichen und geistigen Anforderungen in der Ausbildung, das von einem längst überholten Berufsbild geprägt wird.

Geschichten über das Verhältnis von Faust- zur Kopfarbeit und über das Verhältnis zwischen Ausbildern und Auszubildenden. Die eigentlichen Laufbahnprüfungen liegen noch in weiter Ferne. Bokolic wird sie allesamt mit Bravour meistern. Jedoch stellt er und auch seine Kollegen bereits in der Grundausbildung fest, dass man nur mit taktischem Geschick die in "traditionellem Beamtentum" verharrenden Prüfer überlisten kann.

 

Das Verhältnis von Faust- zur Kopfarbeit

 

1968 hat das Hessenland Mühe, die freien Stellen im Einzeldienst der Schutzpolizei im Rhein Main Gebiet zu besetzen. Die Wirtschaft klagt über Nachwuchsmangel, es herrscht eher Über- als Unterbeschäftigung. Die aus Nordhessen stammenden Beamten sind es leid, nach ihrer Ausbildung keine Chance auf einen Dienstposten in ihrer Heimat zu erhalten. So kommt der Hessische Innenminister auf die Idee, den auf zehn Jahre geschätzten Engpass durch Einstellung lebensälterer, erfahrener Polizeiaspiranten aus den Gegenden, in denen trotz der brummenden Konjunktur noch ein gewisser Arbeitskräfteüberfluss herrscht, sowie durch Schul-Abgänger mit Hochschulreife zu beheben. Die Ziel-Gruppen werden mit dem Versprechen einer verkürzten Grundausbildung und der sofortigen Weiterbildung zum Streifenpolizisten geworben. Bokolic ist einer der lebensälteren Bewerber, da er im wirtschaftlich unterentwickelten Saarland keine Chance sieht, auf absehbare Zeit eine Absicherung seiner, vor kurzem um eine Tochter erweiterten Familie, durch seiner Hände Arbeit zu erreichen. Auf die Idee hat ihn sein älterer Bruder gebracht, der in jungen Jahren, vor wem oder was auch immer, in die Arme des Bundesgrenzschutzes geflüchtet ist und der nach seiner Verpflichtungszeit, wegen der inzwischen eingegangenen familiären Bindung, bei der Schutzpolizei im hessischen Bergland hängen geblieben ist.So findet sich Bokolic im Frühjahr des Jahres 1969 in der Mudra-Kaserne der hessischen Bereitschaftspolizei zur Aufnahmeprüfung ein. Vor der theoretischen Prüfung ist ihm, nach Vorstellung seiner Mitbewerber nicht bange. Frohgemut und mit leichter Hand bezwingt er die Hürden der theoretischen Prüfungen und der mündlichen Examination zu Allgemeinbildung und seiner Kenntnisse über das politische und gesellschaftliche System unseres Staates. Lediglich bei der Sportprüfung befällt ihn angesichts der Leistung seiner Konkurrenten leichte Skepsis, ob er den hohen Anforderungen dieses Berufes in körperlicher Hinsicht gewachsen sei. Bei Besprechung der Prüfungsergebnisse weist einer der Prüfer, nachdem die mangelhaften Leistungen vieler Mitbewerber in Rechtschreibung und Mathematik insbesondere aber in Gesellschaftskunde mit den Prüflingen erörtert sind, unverhohlen auf die diesbezüglichen Defizite des Bokolic bei den sportlichen Leistungen hin und fragt Bokolic, was er denn dazu zu sagen habe. Bokolic antwortet nach einer leichten Verlegenheitspause wie folgt: „Ich denke doch, dass ich nicht zu Fuß hinter den Ganoven herrennen muss. Soweit ich weiß, verfügt die hessische Polizei über Streifenwagen. Auch stellt sich die Frage, ob die hessische Polizei nur auf Kraft in den Fäusten der Polizisten vertraut, oder ob heute nicht vielmehr in diesem Beruf der Kopf gefragt ist“. Der Prüfer gibt sich mit dieser Antwort nicht uneingeschränkt zufrieden, bemerkt jedoch, nachdem er sich die Prüfergebnisse von Bokolic angeschaut hat: „Auf den Kopf gefallen ist der Kerl wirklich nicht. Die Kraft in Armen und Beinen kann man sicherlich mit einem guten Training auf das geforderte Niveau bringen“. Noch im Herbst des Jahres rückt Bokolic an der Polizeischule zum Polizeianwärterlehrgang ein. Knappe zwei Jahre später wird Bokolic Polizeimeister im Einzeldienst. Seine sportlichen Leistungen sollten jedoch weiterhin auf gerade noch ausreichendem Polizeiniveau bleiben.