Druckerschwärze und Kaffee

Das Café Böck

Zu späterer Zeit komme ich vom Lehrgang, soeben zum Kommissar gebacken. Nach einem halben Jahr in der Direktionsabteilung, pflichtgemäß Veröffentlichungen für die Literaturdatenbank des BKA erfassend, ist es mir endlich wieder vergönnt an die Front der Verbrechensbekämpfung zurückzukehren. Einer Sonderkommision werde ich zugeteilt, die in den letzten Zügen liegt und sich seit Jahren mit der Bekämpfung einer absonderlichen Kriminalität befasst. Dies alles nach einer Reihe von arbeitsreichen, kulturlosen aber nicht freudlosen Jahren, ohne zeitlich  geregeltes Frühstück mit ausgedehnter Zeitungslektüre:  Zuerst die Freundin spätere Ehefrau, dann die Schwiegermutter, dann meine Tochter, die erste gemeinsame Wohnung, Arbeit, eine neue Berufsausbildung, Schichtdienst, dazu Kauf und Ausbau eines alten, verfallenen Fachwerkhauses mit Umzug der Familie: all das führte dazu, dass Frühstück und Kaffee im Stehen ja sogar im Gehen eingenommen wurden, die örtliche Tageszeitung irgendwann in einer Pause überflogen wurde.

Ruppert, ein älterer Kollege ist der ungekrönte König des Geschäftszimmers dieser Soko. Zusammen mit der Sekretärin Manu kümmert er sich um die Ein- und Ausgänge der Akten, bespricht das weitere Vorgehen mit den zuständigen Sachbearbeitern und Staatsanwalt Wiesenmeier, koordiniert die Zusammenarbeit mit einer Soko in Nordrhein Westfalen sowie den zuständigen Verwaltungsbehörden, während der kleine Liebling als Sokoleiter lediglich mit sich selbst beschäftigt ist, mit seiner eher aussichtlosen Karriereplanung, mit liebedienerischen Bücklingen und alles und nichts aussagenden Statistiken die er für die Vorgesetzten produziert.

Ruppert weiht mich in all die feinen Besonderheiten der Soko ein, da er in einigen Wochen zum Kommissars Lehrgang gehen wird, der für die älteren Semester des mittleren Dienstes eingerichtet wird. Ich darf somit Totengräber für die vielen unnützen Verfahren spielen und gleichzeitig zusehen, ob und was davon noch zu retten ist. Es dauert keine drei Wochen, da eröffnet im größten Büro der Soko, das sowohl Geschäftszimmer und mein Büro ist frühmorgens kurz nach sieben Uhr das Café „Böck“. Manu besorgt Brötchen und Belag, während ich Kaffee und Tee aufsetze und die Schreibtische eindecke. Irgendwie erinnert mich das Ganze etwas an das Frühstücks Café mit Sophie in meiner Saarbrücker Zeit. Bevor die Kollegen zur Frühbesprechung erscheinen, haben Ruppert, Manu und meine Wenigkeit die ersten Tassen Kaffee mitsamt Brötchen vertilgt und ausführlich alle Neuigkeiten aus der Tageszeitung besprochen. Danach kommen die Kollegen einzeln angezockelt und spätestens um halb neun schließt das Café Böck nach der Frühbesprechung wieder und jeder geht seiner Ermittlungstätigkeit nach.

Das Café „Böck“ wird nach fast drei Jahren mangels Masse geschlossen. Manu hat sich in die freie Wirtschaft abgesetzt, wo ihr neues Gehalt ihren Fähigkeiten zumindest in etwa entspricht. Ruppert ist als Kommissar vom Lehrgang zurück und schlägt sich nun mit chinesischen Triaden, die, aus Fernost über England zugereist, ihre unfeinen Schutzgelderpressungsmethoden bei den hier angesiedelten Betreibern von Chinarestaurants ausprobieren möchten. Die übrigen Kollegen der Soko sind an ihre alten Wirkungsstätten zurückgekehrt, und ich habe mit Helmuth und zwei jungen Staatsanwälten die Soko und danach auch das Café „Böck“ zu Grabe getragen.

Café Klatsch, Café Maldaner

Die nächsten Jahre arbeite ich im Kriminaldauerdienst, das heißt in wechselnder Schichtfolge zwischen Tag- und Nachtdiensten pendelnd. Da ich gleichzeitig noch einen Restbauernhof im Hintertaunus zum neuen Domizil umbaue sind geregelte Frühstückszeiten wieder zur Rarität geworden.

Trotzdem gelingt es mir zumindest zweimal in der Woche mich zu einem Kaffeezeremoniell durchzuringen. Nach dem letzten Nachtdienst fahre ich zu dem an meinem Nachhauseweg liegenden Café „Klatsch“. Das Café ist beliebt bei Leuten, die allgemein als „ Linksalternative“ bezeichnet werden. Dort trinke ich einen obligatorischen Milchkaffee, der in einem fast an einen Eimer erinnernden Humpen ausgeschenkt wird. Dazu gibt es ein Schokocroissant sowie die TAZ oder ein Blatt der Grün-Alternativen Liste zu lesen. Wenn ich Pech habe gerate ich in eine heiße Diskussion mit einigen der Stammgäste, die als Unterstützer der zweiten oder dritten RAF Generation angesehen werden. Solche Diskussionen sind nicht ohne Reiz, jedoch muss ich mich immer etwas zurückhalten, da einige Tische weiter sich meist eine Runde von Lausch & Co. aus dem nahen Mainz etabliert hat, die mir später in ihren schlecht getarnten zivilen Einsatzwagen bis in den Hintertaunus nachhechelt.

Vor dem ersten Mittagsdienst hingegen bevorzuge ich wieder einen Besuch in einem der alteingesessenen Cafés, nämlich dem Café „Maldaner“ in der Fußgängerzone. Nicht nur das Café ist alt, mit plüschbezogenen barocken Zweisitzern und Sesseln, dunklen Marmorplatten auf den ovalen oder runden Tischen mit geschweiften gedrechselten Füssen; nein auch die Bedienung ist gediegen, schwarz gekleidet, in gesetztem Alter mit gemessenem aber trotzdem flinken Schritt, selbst die meisten Stammgäste sind bereits im Ruhestand, ältere im wahrsten Sinne des Wortes gut betuchte Beamtenwitwen aber auch Inhaber der rundum in der Fußgängerzone befindlichen Ladengeschäfte, die hier ihr preiswertes Mittagsstammessen zu sich nehmen. Bei einem Kännchen schwarzen Kaffee und einem doppelten Remy oder Martell lese ich hier meist die Süddeutsche oder Frankfurter Zeitung und verfalle ab und an in einen kurzen belanglosen Plausch mit meinem Tischnachbarn. Wie das so ist in einem Café, das überwiegend von Stammgästen besucht wird, werde ich nach wenigen Wochen von allen gegrüßt. Die Bedienung bringt ungefragt das Kännchen Kaffee und den doppelten Weinbrand, vergisst auch nicht, mir die auf den Hängeleisten angebrachten Tageszeitungen, sofern sie frei sind, mitzubringen. Erst als ich aus dem Schichtdienst aussteige, um wieder alltags der Jagd nach Falschmünzern und illegalen Glücksspielern nachzugehen, enden die Besuche im Café „Klatsch“ und im „Maldaner“.

Gesamtdeutsches Cafékränzchen

Erst während meiner Abordnung nach Berlin zur ZERV die wir so nennen wegen des bürokratischen Wortungeheuers der Zentralen Ermittlungsgruppe Vereinigungs- und Regierungskriminalität erlebt das Café eine Wiederauferstehung. Die Stadt habe ich bereits vorher flüchtig kennen gelernt. So wie man eben eine Stadt kennen lernt, in der man dienstlich unterwegs ist. Bis dahin bestehen meine Kenntnisse über die zu dieser Zeit noch zweigeteilte Stadt aus den Außen- und Innenansichten von Dienstgebäuden sowie flüchtigen Eindrücken einer Besichtigungstour . Jetzt ist alles anders. Den Pkw bis unter das Dach vollgeknallt mit Büromaterial, Computer, Bettzeug, Geschirr und Kleidungsstücken dazu noch Gerd meinen Kollegen auf dem Beifahrersitz, hinter ihm seine Sachen verstaut, fahren wir über die Autobahn gen Osten in das wiedervereinigte Berlin; verpflichten uns danach Jahr für Jahr neu, den Nachlass der Vereinigung auf unsere Weise aufzuarbeiten, bis dann das Ende dieser Arbeit abzusehen ist, die meisten der abgeordneten Kollegen in ihre Heimat und ihre alten Stammdienststellen zurückschlüpfen und das alte wie das neue Berlin aus ihren Gedanken verbannen. Einige bleiben so wie ich, nicht aus Anhänglichkeit, eher aus Perspektivlosigkeit, weil da drüben in ihrem Zuhause sie auch nichts lockt und sie schon irgendwie hier Wurzeln geschlagen haben.

Das Gesamtdeutsche Cafékränzchen“ wird 1992 im zweiten Stock eines Bürogebäudes in der Landgrafenstrasse eröffnet, nachdem ich mit Gerd aus Wiesbaden zum Kommissariat ZERV 115 hinzu gestoßen bin. Unsere Truppe besteht aus Polizeibeamten, die aus beinahe allen Ländern der Bundesrepublik nach Berlin abgeordnet sind. Lediglich mein Kommisariatsleiter sein Stellvertreter sowie zwei Sachbearbeiter sind Berliner Eigengewächs. Da ich vorläufig der einzige mit Erfahrung im Waffebereich bin und zudem über einen privaten Computer verfüge, der auch dienstlich genutzt werden darf, beziehe ich das große Zimmer neben dem Leiterbüro, das auch zu Besprechungszwecken genutzt wird. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass kurze Zeit später an jedem Arbeitstag „Böcks Gesamtdeutsches Cafékränzchen“ geöffnet hat. Frühmorgens bin ich zusammen mit Randy, unserem Chef, der erste der, wie von alter Zeit her gewohnt, die Kaffeemaschine anwirft und den Besprechungstisch eindeckt. Bis alle Kollegen aus unterschiedlichen Bezirken der Stadt eintrudeln, haben wir die neuesten Zeitungsnachrichten besprochen und die Themen für die Frühbesprechung zusammengestellt. Nach Frühstück und Besprechung verziehen sich die Kollegen in ihre Büros zur Arbeit. Nur ab und an kommt Einer vorbei, um einen Gedanken auszutauschen, eine Suchanfrage an die einzigen computergestützten Auswertungsdateien zu halten oder Randy ein fertig gestelltes Konvolut vorzulegen, das nach dessen Segen zur Erfassung auf meinem Tisch landet.

Mit den Jahren ist das Gesamtdeutsche Cafékränzchen immer mit der Zeit und der ZERV mitgezogen. Gewechselt haben Örtlichkeiten, Büroeinrichtungen und Ausstattungen und auch Mitarbeiter. Zur Halbzeit des ZERV- Spiels hat sich „Böcks Gesamtdeutsches Cafékränzchen“ im ehemaligen Offiziersclub des gleichfalls ehemaligen Hotels der US Streitkräfte am heute auch ehemaligen Flughafen Tempelhof niedergelassen. Nun sitzen wir alle zusammen in einem toll begrünten Großraumbüro, verfügen über mehrere dienstlich beschaffte elektronische Schreibmaschinen und sogar über zwei Einzelplatzcomputer. Die aus Vopo Beständen stammenden Dienstwagen der Marken Trabant und Wartburg aus den ersten ZERV Jahren wurden gegen nagelneue Opel Vectra eingewechselt. Selbst die harten, hölzernen Bürostühle sind ausrangiert und haben ergonomisch geformten Schreibtischstühlen Platz gemacht. Nachdem unser Kommissariat das ursprüngliche Aufgabengebiet der meist sowieso nicht verfolgbaren Waffenhandelsdelikte der Organe und ihrer Gewährsträger des in die Bundesrepublik eingegliederten sozialistischen Bruderstaates mehr oder weniger erfolgreich abgearbeitet hat, sind wir über dubiose Geschichten von oft selbst betrogenen Devisenbetrügern zu den Schmiergeldbrüdern aus Ost und West gelangt, die in dem Chaos der Nachwendezeit, das in den Neuen Bundesländern herrscht, lohnende Betätigungsfelder vorfinden.

Das bedeutet für das Gesamtdeutsche Cafékränzchen eine bedauerliche aber unumgängliche Einschränkung auf einen Tag am Anfang und einen Tag am Ende der Woche, weil der größte Teil unserer Truppe bereits Montags zeitig nach dem Frühstück in die Neuen Bundesländer aufbricht, und erst am späten Donnerstagabend die zwischenzeitlich verwaisten Computer mit dem unter der Woche erarbeiteten Material zu füttern. Zum Ende der ZERV sind die meisten Büros bereits verwaist und nur ein versprengter Rest kümmert sich um die Abwicklung der ausstehenden Verfahren. So stirbt das Gesamtdeutsche Cafékränzchen wie auch die ZERV letztendlich an der Krankheit einer von der Politik gewollten schleichenden Auszehrung.

 

Café Solo

Danach bleibt mir nur noch kurze Zeit meine Memoiren zu schreiben um diese pünktlich zu meinemAbschied aus dem Beruf den eingeladenen Kollegen zu überreichen. Das morgendliche Ritual nach dem Aufwachen ist seit dieser Zeit immer gleich geblieben. Vor dem Gang ins Bad wird die Kaffeemaschine angeworfen. Nach der Reinigungszeremonie im Bad wird Wasser für Tee aufgesetzt, da es Ilse nach Genuss einer halben Tasse Milchkaffee nach einer kräftigen Tasse Tee gelüstet. Danach führt mein Weg zum Briefkasten, wo die Tageszeitung bereits auf mich wartet. Während Ilse noch ein Viertelstündchen oder mehr mit Tee und einem Buch im Bett zubringt, schneide ich drei Scheiben Mehrkornbrot und lege sie mit drei Wurst- und drei Käsescheiben sowie mehreren Blättern Chicorée ins Frühstückskörbchen. Auch die Frühstücksanordnung auf dem Tisch duldet keine Veränderungen: linkerhand die Tageszeitung, vor mir der Frühstücksteller, die Kaffeetasse rechterhand. Nun kann die allmorgendliche Frühstückszeremonie mit Druckerschwärze und Kaffee endlich beginnen.