Lesung  mit  Moderation und Diskussion

Einführung Zur Geschichte der Schrift und des Schreibens

Ich freue mich Euch heute– bildlich gesprochen - zu einem Rundgang durch meine Schreibwerkstatt begrüßen zu dürfen. Wie Ihr seht habe ich mir zu diesem Rundgang einige Vorleser als Verstärkung gesucht. Es sind dies neben meiner Liebsten Ilse, Heidrun, Hannelore, Siegfried und Reinhold, die den meisten von Euch als Vorleser/innen bei unseren Literaturgottesdiensten bekannt sein dürften. Doch fangen wir einfach an:

 

 Allgemeine Einführung in das Thema Die Geschichte der Schrift

 

Die Grundlage für die Entstehung aller Schriften, von den Anfängen bis zum "Datenhighway", war der Wille des Menschen, zu kommunizieren, Gedanken und Ideen festzuhalten.

 

Anders als das gesprochene Wort lässt die Schrift auch nicht anwesende Personen an Gedanken, Überlieferungen und Ideen teilhaben und bewahrt Informationen über die Grenzen von Zeit und Raum für andere Menschen auf. In der Urgeschichte der Menschen waren es Bilder, die an Felswände gemalt oder geritzt wurden. Es waren möglichst realistische Abbilder von Objekten, die für die Menschen wichtig waren.

 

Im Laufe der Zeit wurde die Sprache der Menschen komplexer, und die Zeichen, die sie zur Verständigung benutzten, wurden zunehmend abstrakter. So kam es zu einer Trennung zwischen Bildern für dekorative Zwecke und Bildern als Bedeutungsträger, die "Schrift" war entstanden. Die "Bilderschrift"; ist umständlich zu "schreiben", und daher wurden die Zeichen immer abstrakter dargestellt, bis sie keine Ähnlichkeit mehr mit den Gegenständen hatten, die sie bezeichneten. Danach war es nicht mehr jedem möglich, diese Zeichen zu entziffern - Schreiben und Lesen wurden so zu besonderen Fertigkeiten, die nur einem eingeweihten Teil der Bevölkerung zugänglich waren.

 

Der Vorteil von Bildern als Kommunikationsmittel ist die leichte Verständlichkeit für Alle, selbst wenn sie eine ganz andere Sprache sprechen. Bilder stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn sie abstrakte oder emotionale Inhalte vermitteln sollen, die kein Abbild in der realen Welt haben (Liebe, Freude, Trauer etc.).

 

Auf der ganzen Welt haben sich ganz unterschiedlichste Schriftsysteme herausgebildet, die den Ansprüchen ihrer jeweiligen Kultur entsprechen. Wer selbst nicht lesen und schreiben kann, ist auf die Hilfe anderer angewiesen, um sich zu informieren und eine Meinung zu bilden – demokratische politische Strukturen entwickeln sich daher nur in Gesellschaftsformen, in denen der Zugang zum Lesen und Schreiben allen Teilen der Bevölkerung möglich ist.

 

Persönliche Einführung

 

Meine Hobbys sind Schreiben, Kochen, Diskutieren und Malen. Meine schriftstellerische Tätigkeit ist nicht der Sparte hochgeistiger Literatur zuzurechnen und genügt keinesfalls professionellen Ansprüchen. Es wird von mir wie jedes Hobby zum Vergnügen und zur Entspannung betrieben. Ich bin kein Romanschreiber, eher ein traditioneller Geschichtenerzähler, wobei die Texte durchweg einen inneren Zusammenhang mit meinen persönlichen Erinnerungen aufweisen. Heute möchte ich in einer interaktiven Lesung einige Machwerke aus meiner Schreibwerkstatt vorstellen und mit Euch über deren Zustandekommen und auch über den Sinn solchen Schreibens zu reden. Ich freue mich auf Eure rege Beteiligung sowie auf Eure Fragen und Anmerkungen im Anschluss an die Lesungen. Allen habe ich fünf einfache Bilder vorgelegt und werde Euch an den entsprechenden Stellen bitten mir zu sagen, was ihr auf den Bildern zu erkennen glaubt.

 

 

 

Unvollendete Geschichten

Geschichten über den geflügelten Kleinen Prinzen

Unvollendete Geschichten

 

Beginnen wir den Rundgang durch die Schreibwerkstatt mit dem ersten Bild: was seht Ihr und was glaubt ihr wird auf diesem Bild dargestellt?

 

 

 

Bild 1: Der geflügelte Kleine Prinz:

 

Mit den Flügeln der Phantasie

 

Die ungeschriebene Geschichte erzählt wie der kleine Prinz auf dem Planeten der Phantasie seine Beine gegen Flügel eintauscht, mit denen er dann weiterreist.
Wir schreiben den vierzehnten August 2012. Genau zwei Monate und vierzehn Tage ist es her, dass wir von der Hauptstadt Berlin aufs platte Land, sozusagen in unser Paradies, gezogen sind. Auf den Tag genau zwanzig Jahre ist es her, dass ich zum letzten Mal die Geschichten vom kleinen Prinzen verschenkt habe. Warum sind diese und andere Geschichten unvollendet geblieben? Zwei Umzüge, mehrere Krankeitsaufenthalte und der damit verbundene Stress haben mich daran gehindert diese Gechichten niederzuschreiben. Sie existieren daher nur in meinen Gedanken.
Wenn Ihr nun das zweite Bild betrachtet, dann wisst Ihr alle womit sich diese unvollendete Geschichten beschäftigt.

 

Bild 2: Der Kleine Prinz

 

 

Bild aus dem Buch von Antoine de Saint Exupery

 

 

Die erste Lesung handelt von der Rückkehr des kleinen Prinzen und von dem Kaleidoskop der Erinnerungen

 

1. Lesung
Der Fuchs und das Kaleidoskop der Erinnerung

 

Zitat Antoine de Saint-Exupéry

 

„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt", sagte der Fuchs. "Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!"

 

Der Fuchs und das Kaleidoskop der Erinnerung

 

„Erinnerst Du dich“, fragte der Fuchs zum kleinen Prinzen gewandt? „Wie sollte ich mich nicht erinnern, ich habe Dich doch gezähmt und mich mit Dir vertraut gemacht „Oh“, sagte der Fuchs, „das ist hier nicht das Wesentliche, ich bin nicht der Fuchs, den du gezähmt hast, obwohl ich die Erinnerung daran habe und damit mit dir vertraut bin. Wir Füchse haben, wie alle Tiere eine kollektive, allen Tieren einer Gattung gemeinsame Erinnerung, im Gegensatz zu euch Menschen. Das ist ein großer Vorteil, weil wir sonst nicht vor euch bestehen könnten. Ihr Menschen aber habt eine persönliche, individuelle Erinnerung, im Unterschied zu allen anderen Lebewesen. Eure Erinnerungen sind kostbar. Sie sind Euer wertvollstes Gut, viel mehr wert als alles Gold der Welt, die Edelsteine eures Gedächtnisses.“ „Hm“ sagte der geflügelte Prinz, “ es gibt aber doch sehr unterschiedliche Erinnerungen, helle, heitere Erinnerungen aber auch dunkle, traurige Erinnerungen, sogar ganz finstere entsetzlich quälende Erinnerungen“. „Oh ja, ich weiß“ sagte der Fuchs, „so wie es ganz unterschiedliche Edelsteine gibt. Sie sind ein Abbild Eurer Erinnerungen.“ Nach einer Pause zu mir gewandt: „Erinnerst Du dich, Dein liebstes Spielzeug war ein Kaleidoskop.“ Ja, nun erinnerte ich mich an die bunten Glasperlenträume in meinem Kaleidoskop.
Als der Fuchs seinen Morgenspaziergang über die Wiese fortgesetzt hatte, begann der geflügelte Prinz mit seiner leisen Traumstimme zu erzählen:
Wie du weißt, hatte es mich nach meiner Rückkehr von der Erde in einen fernen Teil der Galaxis verschlagen, und ich irrte von Planet zu Planet, in der Hoffnung irgendwie wieder den Weg zu meinem kleinen Planeten zu finden. Auf dieser Reise kam ich auf einem seltsamen Planeten, der nur von einem uralten Mann mit einem Rauschebart und einer jungen noch kindlichen Frau bewohnt war. In der Luft herrschte ein unablässiges Summen und Singen, das von einer Vielzahl von kleinen und größeren Bäumen herkam, die über den ganzen Planeten verstreut wuchsen. Nach einer Weile wandte sich das Mädchen mir zu und fragte mit heller Stimme: „Hast Du deinen Baum noch nicht gefunden? Du musst auf die Melodien achten. Erst wenn Du Dich an Deine Melodie erinnerst, kannst Du das Kaleidoskop deiner Erinnerungen finden. Jeder Mensch im Universum hat hier einen Baum mit den Blüten seiner Erinnerungen. Die Blüten sind wie Kaleidoskope. Du kannst mit ihnen die Splitter deiner Erinnerungen fühlen, hören, sehen, riechen und schmecken “ Und so habe ich nach längerer Zeit auf diesem Planeten auch den Baum meiner Erinnerungen gefunden. Zum Abschied pflückte mir der Alte ein Kaleidoskop von diesem Baum und sagte: „Gib gut Acht auf dieses Kaleidoskop, es enthält die Erinnerung an alle Deine vertrauten Freunde und Dinge auch an den Weg zu deiner Heimat“.

 

Lyrik und Sprüche

Moderation:

 Weitere Geschichten zum geflügelten kleinen Prinzen sind: Der vegetarische Maulwurf; Auf den Inseln der Glückseligen und der Verdammten, Der Planet der Wissenschaft und der allwissenden Müllhalde, Der Digitale Planet, Der Planet der Banker.
Andere unvollendete Geschichten sind Grimmige und Anders(ens) artige Märchen wie: Hänsel und Gretel oder Hasan und Geza, Hans im Glück oder Jonny Goodluck; Des Kaisers neue Kleider oder der nackte Cäsar

 Gemischtes aus meiner Schreibwerkstatt: Lyrik und Sprüche. Ganz bewusst kommen wir nun zu einem Thema in meiner Schreibwerkstatt, das sich mit dem Zustandekommen, den Gründen und Abgründen sprachlicher Kommunikation beschäftigt. „Ihr Menschen aber habt eine persönliche, individuelle Erinnerung, im Unterschied zu allen anderen Lebewesen. Eure Erinnerungen sind kostbar. Sie sind Euer wertvollstes Gut, viel mehr wert als alles Gold der Welt, die Edelsteine eures Gedächtnisses“, sagte der Fuchs in unserer ersten Lesung zum geflügelten kleinen Prinzen. Wie aber funktioniert das „Erinnern“ und wie „barrierefrei“ ist die zwischenmenschliche Kommunikation? Die nachfolgenden Lesungen sollen nur verdeutlichen, dass Worte und Sätze keineswegs frei von Fehl- oder Missdeutung beim Hörer oder Leser sind und dies oftmals so vom Sprecher oder Schreiber ganz bewusst gewollt ist. Bei der Lyrik kommt noch hinzu, dass hier die Sprache Erinnerungen an Gefühle wecken sollte. Doch hören wir selbst:

 Zuerst zwei Spruchwortvarianten ; danach  Gedanken zum Begriff Zeit und zum Abschluss ein Gedicht. Danach dürft Ihr gerne Fragen zu den Texten und zu deren Zustandekommen stellen und gemeinsam über das Handwerk des Schreibens diskutieren, bevor es mit Lesungen aus meinen Büchern weitergeht.

 

Sprichwörtlich; uMSCHREIBUNGEN ÜBER DIE zEIT UND EIN gEDICHT

2. Lesung für 2 Vorleser:

1. Leser:    2.  Leser:

 

 

Sprichwörtlich  doch nicht so wörtlich

 

Was sich liebt, das neckt sich
Wer jemand sucht, versteckt sich
Wer Schatten sucht, der braucht auch Licht
Im Spiegel sich die Wahrheit bricht
Die Sonne bringt es an den Tag
Auch wenn man dies nicht gerne mag
Der frühe Vogel fängt selbst dann den Wurm
Wenn´s dreizehn schlägt vom Glockenturm
Müßiggang soll aller Laster Anfang sein
Arbeit ist nie des Lebens Zweck allein
Morgenstund hat Gold im Mund
Verkündet der Gebissträger zu jeder Stund
Liebe macht blind, Eifersucht taub und Hass stumm
Gleichgültigkeit jedoch macht immer dumm
Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach
Besser tief geschlafen, als die ganze Nacht wach
Die Kirche sollt ihr im Dorf lassen
Gleichwie im Schrank die Tassen
Wenn der Hahn kräht auf dem Mist
Sehen selbst die Hühner wie das Wetter ist
Es ist zwar alles für die Katz
Denn den Letzten beißen die Hunde
Der Prophet gilt im eigenen Lande nicht
Selbst wenn er sich die Gräten bricht
Viele Hunde sind des Hasen Tod
Schlechte Nachrichten sind des Journalisten Brot
Glücklich ist, wer nicht vergisst
Dass die Welt nicht zu ändern ist
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
Drum gibt’s von den Dummen immer mehr.

 

 

 

Umschreibungen der Wahrheit

 

Sachzwang bedeutet Kapitulation vor der Wahrheit
 
Ethnischer Konflikt bedeutet Völkermord
 
Interessenkollision heißt nichts anderes als Krieg
Schutz vor Verfremdung ist gleich Rassenhass
Identitätswahrung bedeutet Fremdenfeindlichkeit
 
Prekär Beschäftigte machen Arbeit zu Dumpinglöhnen
 
Finanzoptimierer sind  Raubritter
Nützliche Aufwendungen heißt klarer Schmiergeldzahlungen
Synergien freisetzen bedeutet Mitarbeiter feuern
 
Ein Praktikant ist eine kostenlose Arbeitskraft
Finanztourismus ist dasselbe wie Steuerhinterziehung
Ressourcenerschließung nennt man auch Ausbeutung
verbraucheroptimierte Verpackung ist eine Mogelpackung
Mitnahmeeffekte ausnutzen bedeutet Reibach machen
politische Kompromisse finden ist gleich Schachern
Wahlversprechen sind Geschenke mit Verfallsdatum
Alternative Fakten sind nichts anderes als Tatsachenverdrehungen

 

3. Lesung:  Über die Zeit

 

 Sagt die Bibel in Prediger 3: Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

 

Zeitworte:
Tageszeit, Wochenzeit, Monatszeit, Jahreszeit, Lebenszeit,
Regenzeit, Trockenzeit, Sommerzeit, Winterzeit, Erntezeit
Zeitpunkt, Zeitdauer, Zeitmaß, Zeitraum,
Uhrzeit, Freizeit, Arbeitszeit, Teilzeit,
Zeit vergeht, Zeit zu gehen, Zeit läuft weg, Zeit steht still,
Worte zum Umgang mit der Zeit:
Zeit haben, Zeit geben, Zeit lassen, Zeit verlieren, Zeit gewinnen,
 Zeit vergeuden, Zeit genießen, Zeit schinden, Zeit totschlagen,
Zeit ist Geld, Die gute alte Zeit, Der Zahn der Zeit, Der Zeitgeist.

 

4. Lesung:  Abgesang auf den Sommer

 

Gestern noch stiegen Schwalben in den Himmel so blau
Sommerselig der Sonne zustrebend
Danach im Zickzack taumelnd der Erde entgegen
Heute wie leergefegt der Himmel so grau
Blätter im Sturmwind über die Erde fegend
Bleiern die Wolken mit herbstlichem Regen.
Kraniche mit klagendem Ruf gen Süden ziehen
Über die Wälder so farbenfroh;
Über die Seen in silbernem Glittern
Wolken in der Sonne purpurn erglühen.
Abgeerntet die Felder voll Stroh
Schwere Luft riecht nach Herbstgewittern.
Wildgänse in Scharen schnattern in kahler Furche
Verkünden vom Fernweh nach südlichen Ländern.
Frühnebel graudüstere Farben um kahle Äste malen.
Verkrochen unter Laub schlafen Igel und Lurche.
Altweibergespinste segeln in silbrigen Bändern
Trauriger Abschied von wärmenden Sonnenstrahlen.

 

 

 

Die verschwundene Milchstraße

Moderation: „Die verschwundene Milchstraße“

 

Zitat de Saint-Exupéry: Woher stamme ich? Ich stamme aus meiner Kindheit. Ich stamme aus meiner Kindheit wie aus einem Land. Wenn ich meine Erinnerungen an Kindheit und Jugend in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde dieser Satz in etwa so lauten: „Dies ist die Beschreibung meiner Heimat“.

 

Ich glaube, dass die Geschichten dieses Buches das Muster wiedergibt, nach dem wir alle in diese Welt hineinwachsen. Am Anfang eines Menschenlebens steht die Erkundung des Zuhause, und der darin befindlichen Dinge. Bei diesen Schritten helfen uns Bezugspersonen über die wir uns in die Welt hinein tasten. Nach Kindergarten und Schule, wo erste  soziale Kontakte - Freundschaften wie Feindschaften -geknüpft werden, folgt der Weg ins Berufsleben, in die weite Welt und oft immer weiter weg von unseren Wurzeln und unserer Heimat. Erst sehr viel später, wenn der Druck langsam aus dem Kessel des Lebens entweicht, haben wir die Zeit zurückzuschauen und uns zu erinnern. Dieses Buch ist Teil meiner doch sehr persönlichen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Es folgt die Schlüsselgeschichte aus der Verschwunden Milchstraße und je eine Geschichte aus meiner Kindheit und meiner Jugend. Nach diesen drei Lesungen wollen wir uns etwas über bestimmte Eigenheiten des Buches und dieser Erzählungen unterhalten.

 

Bild 3: Gote und Großmutter

 

Doch schauen wir uns zuerst Bild Nr. drei etwas genauer an:

 

Diese beiden Frauen sind – neben allen Verwandten - die mich am meisten prägenden Menschen meiner Kindheit gewesen. Was unterscheidet sie aber?

 

DIE gESCHICHTE VON DER VERSCHwUNDENEN mILCHSTRAssE

5. Lesung:

Die verschwundene Milchstraße

 

Zitat Antoine de Saint-Exupéry: „Ich frage mich, ob die Sterne leuchten, damit jeder eines Tages den seinen wieder finden kann“.

 Wir schreiben den siebenundzwanzigsten September 2009, 10 Tage nach meinem 68. Geburtstag. An diesem doch recht kühlen Herbstabend sitze ich auf unserer Terrasse im Süden von Berlin, schaue nach oben und sehe nur wenige Sterne, die sich gegen das widerspiegelnde Lichtermeer der Großstadt am Abendhimmel durchsetzen können. Die Milchstraße, das Sternenband aus meiner Jugendzeit ist jedoch nicht mehr zu erkennen.

 Großmutter und die Gote gehören der gleichen Generation an, haben in etwa die gleiche Statur, sind aber im Erscheinungsbild unterschiedlicher, als man nicht sein kann. Während Großmutter in ihrer indigoblauen Kittelschürze, immer nach Küche und Kernseife riechend, die harte Arbeit nicht verleugnen kann, ist die Gote eine modisch gekleidete, stets dezent geschminkte und nach einem Hauch Lavendel oder Eau de Cologne duftende damenhafte Erscheinung. Trotzdem verstehen sich die Beiden mehr als gut. Beide haben das Schicksal der frühen Witwenschaft gemeinsam. Während die Gote jedoch in dieser Witwenschaft allzeit in finanziell gut abgesicherten Verhältnissen lebte, musste Großmutter mit einer nie zum Leben ausreichenden Pension sowohl das Häuschen als auch ihre beiden Kinder und später noch ihre drei vaterlosen Enkel großziehen. Großmutter ist mehr dem praktischen Leben zugewandt, ihr protestantischer fast puritanischer Gottesglauben gibt ihr den unerschütterlichen Halt alltäglich die Mühen dieses Lebens zu überstehen. Die Gote hingegen ist freigeistiger, eher Anhängerin einer Naturreligion.

 Es ist ein lauer Sommerabend. In den Sommerferien dürfen wir Kinder bis Einbruch der Dunkelheit draußen bleiben. Die beiden Älteren haben sich mit ihren Freunden zum Fußballspielen verabredet. Da sie den Kleinen, wie sie mich scherzhaft nennen, nicht dabei gebrauchen können, bin ich zum Bienenhaus hinaufgestiegen, sitze neben der Gote auf der Bank und schaue mit ihr den langsam funkelnden Sternen zu. Später hat sich Großmutter dazugesellt; allem Anschein nach um mich daran zu erinnern, dass mit Einbruch der Dunkelheit nicht nur die Hühner auf ihre Schlafstangen zu gehen haben, sondern auch die kleinen Buben unter ihre Schlafdecken kriechen sollten. Wie so oft redet Gote, mehr mit sich selbst und doch uns zugewandt:

 „Vor endlos langer Zeit hat sich Mutter Erde mit Vater Sonne vermählt. Von da an kämpften Vater Sonne und Mutter Erde gegen den Fürsten der Kälte und Finsternis. Im ersten Frühjahr, als sie nach langem Winter den Fürsten in den hohen Norden vertrieben hatten, wurde ihnen ein Sohn geboren. Dieser folgt seitdem seinem tagleuchtenden Vater in der dunklen Nacht nach. Danach gebar Mutter Erde in jedem Frühjahr die Kinder der Erde, Pflanzen und Tiere und zuletzt auch uns Menschen. Doch den Kindern der Erde ist es nicht vergönnt ewig auf der Erde zu leben. Deshalb schickt Mutter Erde ihre toten Erdenkinder zu ihrem Erstgeborenen in den Himmel, wo sie den lebenden Erdenkindern zum Trost in der Nacht als Sterne funkeln und ihnen den Weg zeigen sollen. Da aber die Sternenkinder immer noch des Trostes bedürfen gibt Mutter Erde ihnen die Milchstraße. Die Milchstraße ist das Band, das Sonne Mond und Sterne wie auch uns Erdenkinder beschützt vor der großen tiefen Dunkelheit des unendlichen Alls.“ Großmutter erhebt sich schwerfällig von der Bank und sagt: „Dies ist wahrhaft ein gutes Gleichnis für den Lauf des Lebens. Der Tag war lang. Bleibt nicht zu lange auf“. Dann strebte sie bedächtig dem Hause zu, dabei ab und an den Kopf schüttelnd um dann kurz den Blick von der Erde zum Sternenhimmel zu richten. „Mein Junge“, sagt die Gote „die Milchstraße ist das Band unserer Träume, das uns mit allen Wesen dieser Erde verbindet. Wenn wir die Träume unserer Jugend vergessen, dann verblasst dieses Band, es wird immer schwächer, bis es irgendwann ganz verschwindet. Zurück bleibt nur Asche in unseren Herzen und Staub auf unserer Erde. Wie Mutter Erde den Sternenkindern das Band am Himmel als Trost schenkt, so schenkt sie uns Träume von einer besseren Welt. Ohne dieses Band und ohne diese Träume sind wir Erdenkinder in der Dunkelheit und Kälte des Alls auf immer verloren“. Gote nimmt danach meine Hand, steht auf und wir beide gehen still durch die Nacht zum Haus.

 

nACHKRIEGSRECYCLING

Moderation "Nachkriegsrecycling"

 

All die Kinder, die in kinderreichen aber vaterarmen Familien der Nachkriegszeit groß wurden, haben das Prinzip der Wiederverwertung durch Übernahme von Bekleidung, Spielzeug und Schulsachen vom Vorgänger zu sich selbst und den Nachkommenden in der Praxis durchlitten. Heute sind solche Vorgänge auf die anonymen Second Hand Läden verlagert Zu unserer Zeit waren Markennamen kein Auf- oder Abwertungskriterium. Der Phantasie waren bei der Wiederverwertung der Dinge des täglichen Gebrauchs keine Grenzen gesetzt, getreu dem Wahlspruch „Not macht erfinderisch“ wurde aus den Dingen des täglichen Bedarfs, wenn sie zu ihrer Zweckbestimmung nicht mehr taugten, all das herausgeholt, was menschliche Phantasie noch irgendwie in sie hineininterpretieren konnte.

 

Bild 4: Die drei Jungs 1947
Wir schreiben das Jahr 1947. Drei Jungen auf der Wiese neben dem heimatlichen Haus. Nichts Besonderes, außer, dass sie etwas klapperdürr aussehen? Nein man beachte die Hosen und die Schuhe, sie erzählen eine besondere Geschichte.

 

6. Lesung:  Nachkriegsrecycling:

 

 Tante Änni hatte, woher auch immer, einen Stapel an dreiviertellangen „HJ- Hosen“, also Uniformhosen der Hitlerjugend beiseite geschafft. Um die Herkunft gegenüber möglicherweise bösgläubigen Dritten, zu verschleiern, wurden die Hosen mit Nussschalen im Wäschebottich gekocht. Daraufhin nahmen sie eine dunkelbraune Farbe an und waren als ewige Verschleißteile für uns drei Jungs geeignet. Ein leidiges Problem bei uns Buben waren jedoch die Schuhe. Unsere Füße entwuchsen immer wieder viel zu schnell den angepassten Sohlen. Mein Großvater, der als pensionierter Grubenschmied sich nicht nur mit den Sohlen von Pferden auskannte, hatte sich zu diesem Thema mehrmals Gedanken gemacht. So war ihm in den Sinn gekommen, dass wohl auch Wehrmachtautos auf Reifen durch die Gegend gefahren waren und diese ausgeschlachtet aber meist noch bereift, vor sich hin rosteten. Wenn die Autos auf den Reifen durch die halbe Welt gefahren waren, warum sollten seine Enkel nicht auf dem gleichen Material über Stock und Stein hüpfen können? Gedacht, getan: mehrere solcher Schrottkisten wurden ihrer Reifen entledigt, alte Motorradschläuche eingesammelt, und auch noch die weggeworfenen Essgeschirre aus Aluminium hinzugezogen. Aus den Reifen wurden passende Stücke herausgeschnitten. Danach wurden die Füße auf das so entstandene Sohlenmaterial gestellt und mit einem scharfen Schnitzmesser die Sohlen auf die gewünschte Form zurechtgeschnitten. Ein aufgeklebter Filz, aus den alten Sitzbänken der Wehrmachtsautos entfernt, sorgte dafür, dass wir vom schwarzen Gummi der Sohlen später keine Schweißfüße bekamen. Für das Obermaterial wurden gespaltene Gummiteile verwendet. Die zu Sandalen und Schuhen verarbeiteten Stücke, wurden mit stabilen Haltebändern aus Motorradschläuchen versehen. Im Übrigen verhalf die Nietenpresse zu dauerhaften Verbindungen der einzelnen Teile miteinander. So waren wir trotz der Knappheit immer ausreichend mit Kleidungsstücken und Schuhen versorgt.

 

dIE ROTE zORA UND DER KLEINE rITTER VON sT: jOHANN

 7. Lesung

Die rote Zora ist am St. Johanner Markt ein Begriff. Sie lebt vom Verkauf von Zeitungen sowie von Alkohol, nicht jedoch von dessen Verkauf. Der junge Bokolic hat gerade einmal drei Monate als Lehrling im Elektrohandwerk hinter sich gebracht. Der Geselle, dem er zugeteilt wird ist ein gutmütiger kräftig gebauter Junggeselle, der immer noch mit leicht polnischem Einschlag den Dialekt seiner oberschlesischen Heimat spricht. Die beiden sind am frühen Morgen vom Meister persönlich zu einer der Kneipen am Markt geschickt worden. Dort sollen sie nun endlich mit der Sanierung der maroden Elektrik beginnen, bevor die Bauaufsicht das ganze Gebäude wegen Brandgefahr sperren kann. Die Sanierung geht bei laufendem Betrieb vonstatten, denn der Besitzer des alten Hauses und gleichzeitig Inhaber der Kneipe kann es nicht riskieren einen einzigen Kunden zu verlieren. So lernt Bokolic während der Arbeit ganz nebenbei das Leben und die Menschen am Markt kennen, die Stammgäste und Kneipengänger, die jungen grell geschminkten Mädchen, ihre braungebrannten Jungs, die ihren Tag mit Kartenspielen und Würfelspielen im Nebenzimmer verbringen und dabei das Geld verzocken, das sie vorher mit fordernder Hand von ihren Mädchen absahnen, wenn diese mit einem befriedigten, zufriedenen Kunden die Stiege herabkommen und die Kneipe betreten. Die Rote Zora ist auf ihrer täglichen Verkaufsrunde durch die Kneipen des Marktviertels zu guter Letzt in ihrer Stammkneipe gelandet. Den von der Morgentour übrig gebliebenen Stapel Zeitungen schiebt sie auf den Tresen. Dies stört offensichtlich zwei sturzbesoffene junge Kerle, die daraufhin die Rote Zora massiv anpöbeln. Als einer der beiden Streithansel jedoch mit unbedachter Bewegung den Stapel Zeitungen zu Boden fegt, steigt der oberschlesische Junggeselle von der Leiter, drückt Bokolic ein kurzes Kabelende in die Hand und meint bedächtig: „Nur für alle Fälle, mein Jungchen, wenn Du es brauchst“. Dann setzt er noch hinzu: „Aber jetzt wollen wir mal. Schließlich könnte die Rote Zora ja unsere Großmutter sein“. Der erste Schlag, den der oberschlesische Junggeselle landet, ist nicht von schlechten Eltern. Der größere der beiden Randalierer bekommt ihn vollkommen unerwartet in die Magengrube. Der kleinere und jüngere der beiden scheint jedoch in Schlägereien geübter zu sein. Er stößt die Rote Zora mitsamt ihrer Zeitungstasche gegen den Tresen, duckt sich vor dem kommenden Schlag weg und erwischt mit seiner Parade den oberschlesischen Elektriker voll an der Schläfe, worauf dieser sich zu dem am Boden liegenden Säufer gesellt. Dann wendet er sich dem jungen Bokolic zu. Bokolic sieht sich bereits bei seinem Gesellen am Boden enden, als ihm das Kabelende in seiner rechten Hand bewusst wird. Er schlägt mit kaum wahrnehmbarem Ansatz kurze harte Schläge auf die in Boxerstellung gehobenen Arme seines Gegenübers. Dieser jault auf, verzieht schmerzlich das Gesicht, will aber nicht von Bokolic ablassen. Dessen letzter Schlag lässt mit weit ausholendem Schwung das Kabelende auf das rechte Schlüsselbein krachen. Der Schlagarm fällt daraufhin kraftlos nach unten. Der Getroffene taumelt nach hinten und hält sich, weiter jammernd, mit seiner linken Hand den rechten Oberarm. Zwischenzeitlich hat das Gekreische der zuschauenden Damen ihre braungebrannten Jungs aufgeschreckt. Sie sympathisieren sofort mit der Roten Zora, die irgendwie ja auch zu ihnen gehört. Mit kräftigem Schwung werden die beiden schlappen Schläger vor die Tür befördert, nicht ohne ihnen vorher das Kleingeld für die Zeche, Schmerzensgeld und eine Lokalrunde abgeknöpft zu haben. Immer, wenn Bokolic in den nachfolgenden Jahren der Roten Zora über den Weg läuft, begrüßt sie ihn mit: „Na mein kleiner Ritter von St. Johann, wie geht es dir?“ Dann bleibt Bokolic nichts anderes übrig, als seine letzten Groschen zusammen zu kratzen und auf diesen Spruch mit der Roten Zora in der nächsten Kneipe einen oder auch mehrere zu heben.

 

 

gESCHICHTEN AUS DEM bULLENALLTAG

 

Moderation "Bullenalltag"

 

Ein knappes Jahr vor meinem 60ten Geburtstag ging die Zeit meiner zehn Jahre währenden Abordnung nach Berlin zu Ende. In der folgenden Zeit habe ich Geschichten aus meinem Leben geschrieben unter dem Titel „Die Memoiren des Herrn Bokolic, Geschichten aus dem Leben eines Taugenichts“ In Eigenarbeit geschrieben, kopiert, beschnitten, gebunden und mit Umschlag versehen ohne irgendeine Hilfe von Dritten. Für meine Berufskollegen, schilderte es Herkunft, Kindheit und Jugend an der Saar; für meine zuhause gebliebenen Freunde wiederum schilderte es meinen Weg als Polizist und Ermittler. Erst die dritte Fassung dieser Geschichten wurde als „Bullenalltag“ und „Die Verschwundene Milchstraße“ veröffentlicht. Es folgt eine Lesung aus der Zeit als ich von der Schutzpolizei zur Kripo überwechselte, danach eine Geschichte aus einer Sonderkommission, die ich bis zu ihrer endgültigen Beerdigung und noch einige Jahre darüber hinaus begleiten durfte und zum Schluss noch eine Geschichte aus der Zeit der Wiedervereinigung.

 

wIE bOKOLIC ZU SEINEM nAMEN KOMMT

Bild 5: Wulf Bokolic

 

Wer von Euch erkennt diesen Verbrecher auf dem dreiteiligen Foto des Erkennungsdienstes der Kriminalstation Hofheim? Welche Bewandtnis würdet Ihr mit diesem Fahndungsfoto verbinden?

 

 

Wie Wulf Bokolic aufersteht

 Bokolic, wie er sich später nennt, ist inzwischen bei der Kriminalpolizei angekommen. Zu dieser Zeit ist die Politik bei der Bekämpfung des staatsbedrohenden RAF-Terrors mit immer neuen Gesetzesinitiativen schnell zur Hand, Weite Teile der weit mehr Staat und Bürger bedrohenden Alltagskriminalität werden zwar endlos diskutiert, warten aber noch auf Gesetzesinitiativen und deren praxistaugliche Umsetzung. Hierzu gehört auch die Diskussion über die Grundlagen für den Einsatz Verdeckter Ermittler und deren gesetzliche Fixierung. So agierten diese Verdeckten Ermittler oder U-Bootfahrer zu dieser Zeit weitgehend auf eigenes Risiko in einem ungeschützten rechtsfreien Raum.

 

8. Lesung: Wie Bokolic zu seinem Namen kommt:

 

Im Landkreis zwischen Wiesbaden und Frankfurt treibt eine Einbrecherbande ihr Unwesen. In den Gewerbegebieten am Rande der Gemeinden lässt die Bande aus Supermärkten und Baumärkten unerbittlich all das mitgehen, was sich schnell zu Geld machen lässt. Eine erste Auswertung lässt nur einen Schluss zu: Es sind mindestens drei Teams unterwegs, die die heiße Ware mit Kleintransportern über den Schnellweg in Richtung Frankfurt am Main abtransportieren. Die Ermittler sind sich klar darüber, dass die Festnahme einzelner Bandenmitglieder keinen Erfolg verspricht. Vielmehr gilt es Auftraggeber und Hehler zu enttarnen, um dem Treiben endgültig ein Ende zu setzen. Eine Kneipe mitten im Frankfurter Bahnhofsviertel ist als Treffpunkt der Bandenmitglieder lokalisiert worden. Ein Vertrauensmann der Frankfurter Polizei berichtet, die Bande habe wohl Zugriff auf das polizeiinterne Datensystem. So kommt die Führung der Sonderkommission auf die Idee sich in diesem Fall eines Verdeckten Ermittlers zu bedienen. Hier nun kommt der zur SOKO delegierte Jungkommissar ins Spiel. Zwar spricht er keine der auf dem Balkan vorherrschenden Sprachen, dafür aber leidlich Französisch und etwas Englisch. Es gilt lediglich eine passende Legende zu finden, die jeder Überprüfung standhält. Letztere wird von einem Kollegen sozusagen frei Haus geliefert. Dieser berichtet von einem vor Jahren zur Fahndung ausgeschriebenen Deutschserben, der sich danach zur Fremdenlegion nach Frankreich abgesetzt hat. In den beigezogenen Akten befinden sich alle für eine Legende notwendigen Angaben und auch die Personaldokumente nebst Führerschein, die der unter Auflagen aus der Untersuchungshaft Entlassene damals abgeben musste. So lernt der Jungkommissar sich mit seiner neuen Identität vertraut zu machen.

Nachdem Lichtbilder und Bögen der erkennungsdienstlichen Behandlung auf mich als die neue Person Bokolic getrimmt sind, auch der Fahndungscomputer auf den neuesten Stand gebracht ist, kann der wiederauferstandene Bokolic in sein neues Leben eintauchen. Bokolic bezieht ein kärglich möbliertes Zimmer in einer der alten abbruchreifen Mietskasernen gegenüber der Eckkneipe, in der seine zukünftigen Partner verkehren. Den alten Opel Caravan, der auf einen im Kahn einsitzenden Knacki zugelassen ist, stellt er in dem Parkhaus gegenüber der Kneipe ein, nicht ohne einen längeren Plausch mit dem Kassierer gemacht zu haben. So ist sich Bokolic sicher, dass die von ihm gezielt gestreuten Informationen über seine Person vom Hausverwalter, wie auch vom Parkhauswächter, den Weg über die Straße in die Eckkneipe finden werden. Drei, vier Tage lungert Bokolic scheinbar planlos durch die Kneipen des Bahnhofsviertels, fährt mitten in der Nacht mit seinem mit Kartons voll beladenen Caravan in die Garage, drückt dem Wächter einen Fünfziger in die Hand, weil dieser auf den Wagen und die heiße Ware aufpassen soll, die er am nächsten Morgen zu seinem Abnehmer Alfons in den süddeutschen Raum bringen will. Danach fragt er diesen treuherzig, wo er denn noch ein kurzes Spielchen machen könne und gerät in das Hinterzimmer seiner anvisierten Eckkneipe. Dort verliert er in kurzer Zeit beim Kartenspiel ein paar Hunderter und erklärt nach einem gewonnenen Spiel, es sei für ihn nun Zeit Schlafen zu gehen, da er morgen Früh seine Ware nach Kehl bringen müsse. Am nächsten Morgen drückt er dem Parkwächter erneut einen Fünfziger in die Hand, schiebt ihm einen Zettel mit der Telefonnummer des Alfons zu, und bittet ihn ein Telefongespräch mit diesem führen zu dürfen, da sein Telefon möglicherweise nicht ganz sauber sei. Der Wächter hört so ganz nebenbei das Telefonat mit. Den Zettel mit Adresse und Nummer vergisst Bokolic ganz zufällig wieder einzustecken. Stunden später steht der Caravan auf dem Hof einer südhessischen Dienstelle. Ein Mechaniker bringt mit einer Bohrmaschine den Kilometerzähler auf den entsprechenden Stand für die fehlende Entfernung nach Kehl und zurück, derweil Bokolic die Kartons in einer Polizeigarage einlagert. Am Abend ist er mit einem dickeren Bündel Geldscheinen wieder zurück in seiner neuen Heimat, wo er in seiner Eckkneipe seinen Kumpels ein paar Lagen auf das erfolgreiche Geschäft, spendiert. Die Überprüfungen seiner Person und der Kontakte scheinen zu einem für die Gegenseite befriedigenden Ergebnis geführt zu haben, denn aus dem Hinterzimmer erscheint ein älterer Mann, dem die Runde am Tisch einen Platz an Bokolic´s Seite freimacht. Dank einiger von Bokolic aufgeschnappter Hinweise ist es der Sonderkommission gelungen, einen Großhehler der Bande im Großraum Stuttgart aus dem Verkehr zu ziehen. Nun hat die Bande ein Problem. Waren hat sie im Überfluss gehortet. Der Absatz aber ist ins Stocken geraten. Da kommt es dem Alten zupass, dass er über Bokolic`s Hehler in Kehl genau Bescheid zu wissen glaubt. Absprachegemäß scheitert ein Kontaktversuch der Bande, weil der übervorsichtige Alfons auf Einschaltung einer Vertrauensperson besteht. Erst als ihm angeboten wird, den ihm bekannten Bokolic mit der Abwicklung der Geschäfte zu betrauen, stimmt dieser unter Vorbehalten zu. Alle Zahlungen für die Heiße Ware sollen unbar von seinem Konto in Frankreich auf ein noch anzugebendes Konto der Bande in Deutschland erfolgen. Nach langem Zögern des Alten, wird dem zugestimmt. In der folgenden Woche ist Bokolic jeden Tag unterwegs, räumt aus angemieteten Hallen, Schuppen und Garagen Karton um Karton in den Kleintransporter, fährt über die Autobahn Richtung Süden, wo die Fahrt auf dem Hof einer Polizeistation endet. Nur zweimal sieht sich Bokolic gezwungen bis nach Kehl zu einer von Alfons angegebenen Notfallgarage durchzufahren, weil sich offensichtlich ein Aufpasser der Bande an seine Fersen geheftet hat. Dieser Kreislauf von Waren und Zahlungen setzt sich zwei Wochen fort. Dann sind die Lager der Bande weitgehend geräumt, die Erkenntnisse über die Struktur der Bande und ihre Hintermänner, dank des unbaren Zahlungsverkehrs, soweit aufgeklärt, dass an einen Zugriff gedacht werden kann. Der Alte hat derweil seine Vertrauten und Bokolic zu einer Besprechung in das Hinterzimmer der Eckkneipe gebeten. Dabei geraten jedoch Gegner und Befürworter der vorgeschlagenen Aktionen massiv aneinander. Bokolic hat längst den Notfallknopf seines Peilsenders gedrückt, als er plötzlich einen schmerzhaften Stich in seinem Rücken verspürt. Dann wird es für kurze Zeit dunkel vor seinen Augen. Als er wieder aufwacht, ist die Lage durch das massive Einschreiten seiner herbeigerufenen Kollegen weitgehend unter Kontrolle. Bokolic wird, wie alle Anwesenden festgenommen und, da er verletzt ist, von einem Notarztwagen abtransportiert, während die Bandenmitglieder sich auf den harten Bänken der grünen Minna wiederfinden. Wie die Zeitungen am übernächsten Tag berichten ist dem verletzten Bandenmitglied Bokolic auf dem Weg zum Gefängnislazarett die Flucht gelungen. Der Messerstich in Bokolic´s Rücken stellt sich, aufgrund seiner robusten Lederjacke, als ein Mückenstich dar. Was Bokolic ärgert ist, dass ein verknöcherter Verwaltungsbeamter eine Neubeschaffung seiner geliebten Lederjacke abschlägig bescheidet. Man könne das durch den Messerstich entstandene Loch durchaus mit einem aufgesetzten Flicken reparieren. Da Bokolic jedoch nicht vor hat als Flickenteppich zu enden, nimmt er sich vor, in Zukunft für solche Einsätze nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

 

 

dOKTOR kLEMPNER ODER DIE aBRECHNUNGSPRAXIS BEI zAHNÄRZTEN

 9. Lesung

 

Frau Dr. Schilkea ist Russin und eine Spezialistin auf dem Gebiet der Kieferchirurgie. Sie hat sich nach Ausreise aus der Sowjetunion in Bad Godesberg niedergelassen und zählt viele, auf Schönheit bedachte Prominente zu ihren Kunden. Als Asylantin hat sie keine Aussicht auf eine Rente nach dem Fremdrentengesetz. So ist sie gezwungen, in der verbleibenden Zeit zwischen dem fünfzigsten Lebensjahr und ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben, sich eine ausreichende private Altersvorsorge aufzubauen. Aus diesem Grunde arbeitet sie Tag und Nacht. Sie ist sich selbst nicht zu schade, in ihrem eigenen zahntechnischen Labor zu arbeiten. Wie das Leben in einer regulierten bundesrepublikanischen Gesellschaft es so will, erreicht nach Jahren ein Schreiben der Abrechnungsstelle Frau Dr. Schilkea, in dem ihr mitgeteilt wird, dass ihre Abrechnungen wohl überhöht seien, denn kein sonstiger Zahnarzt habe so hohe Fallzahlen. Die Abrechnungsstelle weist ihr in dem Schreiben jedoch auch den Weg aus der Misere. „Sollten Sie, werte Frau Dr. Schilkea in ihrer Praxis einen Kollegen aufnehmen ist gegen die erhöhte Abrechnung nichts einzuwenden“. Als Glücksfall wertet Dr. Schilkea, dass zu diesem Zeitpunkt ein deutschrussischer Emigrant den Weg in ihre Praxis findet. Diesen kennt Frau Doktor noch aus ihrer Kindheit in der alten Heimat, wo der jetzige Rentner sich um die Klempnerarbeiten in der Nachbarschaft gekümmert hat. Der Emigrant versteht schnell, dass die Hereinnahme eines zweiten Zahnarztes nicht die Lösung der Probleme von Dr. Schilkea sein kann. Er verspricht ihr jedoch, gegen Aufbesserung seiner kargen Rente, sich etwas einfallen zu lassen. Nach mehreren Wochen erscheint der Klempner strahlend und überreicht Frau Doktor notariell beglaubigte Abschriften russischer Urkunden, in denen ihm die Ausbildung zum Zahntechniker und danach zum Zahnarzt bescheinigt werden. Frau Doktor ist ob dieser Berufskarriere ihres Freundes etwas erstaunt, nimmt dies jedoch hin. Die Urkunden werden dem zuständigen Sozialministerium vorgelegt, von dort für gut, echt und richtig befunden, und mit der Anerkennungsurkunde wird Dr. Klempner Sozius in der Praxis Dr. Schilkea. Frau Doktor arbeitet nach wie vor von frühmorgens bis spät in die Nacht, da sie nicht beabsichtigt den alten Mann an die Kiefer und Zähne ihrer Patienten zu lassen. Dieser tut sich nützlich in Hof und Garten, ab und zu auch bei der Behebung technischer Mängel in der Praxis. Somit scheinen alle Seiten zufriedengestellt. Die Fallzahlen und Abrechnungen werden fürderhin von der Abrechnungsstelle problemlos anerkannt. Wie es der Teufel will, werden im fernen Wiesbaden von Bokolic Stempel- und Siegelabdrucke auf notariell beglaubigten russischen Urkunden untersucht und als Fälschungen identifiziert. Gut Ding braucht Weile. Nach zwei Jahren werden die Urkunden des Dr. Klempner über die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft in Nordrhein Westfalen nach Wiesbaden auf den Weg gebracht und dort für falsch befunden. Frau Dr. Schilkea bezahlt die Geldbußen, die ihr und Dr. Klempner vom Gerichte auferlegt werden. Dr. Klempner arbeitet weiter zur Aufbesserung seiner Rente bei Frau Doktor – nun aber als einfacher Herr Klempner. Die Abrechnungsstelle hat nach mehrmaliger Prüfung und Kontrolle eingesehen, dass Fallzahlen auch individuell gewertet werden müssen und erkennt, angesichts besonderer Umstände, die Arbeitsleistung von Frau Doktor uneingeschränkt und ohne Abstriche an. Der Zulauf vermögender Privatpatienten ist, aufgrund einer überaus positiven Berichterstattung zu diesem Fall so, dass sich Frau Doktor keine Sorgen mehr um ihre finanzielle Sicherheit im Alter machen muss.

 

vERGNÜGLICHE dIENSTREISEN

 

10. Lesung

 

Nachdem wir Schumacher ausführlich erklärt haben, weswegen wir gekommen sind, und nachdem wir den förmlichen Teil der Belehrung hinter uns gebracht haben, sprudelt es nur so aus ihm heraus: Über die Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten der Wendezeit, wie auch durch Selbstmitleid über die verfahrenen persönliche Situation zum Alkoholiker geworden, will er nun eine Generalabrechnung mit sich selbst und allen anderen starten. Wir, damit meint er offensichtlich die Gemeinschaft aller Ostler, haben ja nicht gewusst, was auf uns zukommt. Sie, damit meint er offensichtlich alle Westler, insbesondere diejenigen, die sich nach der Wende in Richtung Osten orientiert haben, haben uns einfach überfahren, in den Sack gesteckt, ausgenommen wie Weihnachtsgänse, und dann haben sie uns weggeworfen wie ein Stück Dreck. Nach der Wende wird er aufgrund des vielköpfigen familiären Rückhaltes in der kleinen Gemeinde vor den Toren von Halle zum Bürgermeister gewählt. Investoren aus dem Westen stehen schon Schlange vor dem Rathaus. Der Rat der Gemeinde, will alle vorgeschlagenen Projekte am liebsten auf einmal durchziehen. Rechts- und Planungssicherheit scheren beide Seiten einen Dreck. Ja es ist richtig, dass seine Familie und die seines damaligen Stellvertreters, des jetzigen Nachfolgers im Amte, von einem der Investoren zur Besichtigung seiner Firma in den schönen waldreichen Spessarts eingeladen werden. Ja dieser honorige Geschäftsmann bezahlt das alles. Es ist auch richtig, dass er von einem der an der Erschließung des Gewerbeparks beteiligten Bauunternehmer eine Urlaubsreise mitsamt seiner Familie nach Mallorca bezahlt bekommt. Nein er empfindet dies nicht als verwerflich. Alle, die aus dem Westen kommen, sagen, dass dies dort durchaus üblich ist. Sie müssen es doch besser wissen. Wir haben keine Ahnung von solchen Dingen. Auch habe ich den Urlaub dringend nötig gehabt. Ich weiß, dass auch in anderen Gemeinden des Kreises solche und ähnliche Dinge an der Tagesordnung sind. Ja zu Messebesuchen werden Bürgermeister und Bauamtsleiter eingeladen. Eingeladen werden sie von dem Planungsingenieur, der die Planung der Verbandsgemeinde für die Abwasseranlagen und Gewerbepark durchführt. Geldzuwendungen werden nur in bar geleistet, meist im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften, der Ausweisung von Bauland, der Genehmigung eines Bauvorhabens oder der Vergabe kommunaler Aufträgen. Monate später verabschiedet sich Schumacher mit einer tödlichen Dosis Hochprozentigem aus seinem jämmerlichen Diesseits. Die weiteren Ermittlungen sieht er sich von Wolke Sieben an.

 

Noch vor Abschluss der Ermittlungen verabschiedet sich auch der Planungsingenieur Hosenthaler durch einen tödlich verlaufenden Verkehrsunfall aus dem Diesseits. In seinen sichergestellten Geschäftsunterlagen finden wir Belege wie Reisekosten, besondere Aufwendungen und Bewirtungen für Amtspersonen wie auch Namen und Funktionen der bedachten Amtsträger. „Wie alljährlich führen wir für all die mit uns herzlichst (geschäftlich) verbundenen Amtsträger eine Fahrt zur BAUMA nach München durch. Sie sind auserwählt zusammen mit einer Person Ihrer Wahl, zu dieser drei- bis viertägigen Exkursion. Dem Messebesuch wird eine Besichtigung unseres Mutterhauses in Fürstenhafen sowie eine Erkundung der näheren Umgebung vorausgehen“. So oder so ähnlich haben wohl die Einladungen des Ingenieurbüros Hosenthaler an Bürgermeister und Bauamtsleiter ausgesehen. So fährt man denn in kleinen Gruppen, meist mit Hosenthalers firmeneigenen Autos, ins ferne Rheintal. Der eine hat als Begleitung seine ihm angetraute Ehefrau, ein anderer seine Geliebte, seine Tochter oder entfernte Kusine mitgenommen. Höchst vergnüglich gestalten sich diese Besichtigungsfahrten. Der nächste Tag bringt die Gruppe mit der Eisenbahn nach München zur BAUMA. Nach obligatorischem Kurzrundgang sind alle furchtbar durstig und hungrig. Diesmal zeigt Herr Hosenthaler den Geschäftsfreunden das kulinarisch anspruchsvolle München. In einem Gastronomietempel der Nouvelle Cuisine wird für 300 Deutsche Mark pro Kopf und Nase, zuzüglich der Getränke fürstlich diniert. Fürwahr lumpen lässt sich Herr Hosenthaler an diesem Tage nicht, denn der beiden Seiten allzu teure Abend endet in einem Hotel, das nur drei und mehrstelligere Suitenpreise kennt. Am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen von Hosenthalers Spendierhosen. Ein Teil der Gruppe fährt der Heimat entgegen, die Familiensinnigen begeben sich, weil ihre Aufträge für Hosenthaler besonders lukrativ sind, noch auf eine vierzehntägige Provisionsreise durch die italienische Toskana.

 

Diskussion mit Fragen und Antworten zu den Lesungen

 

Kurz und knapp bis zu 10 Minuten

 

 

eSSEN UND tRINKEN HÄLT lEIB UND sEELE ZUSAMMEN

 

Moderation: "Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen"

 

Das war der Leitspruch meiner Großmutter und der ist auch mir bis heute so geblieben.

 

Brandenburg hat mit meiner Heimat, dem Saarland etwas gemeinsam, das ist die ehemalige Zugehörigkeit zu Preußen, was sich zum Ersten an der bis heute existierenden Provinzial Haftpflicht Feuerversicherung und zum Zweiten an dem gleichermaßen von der Obrigkeit verordneten Kartoffelanbau zeigt. So kommt es, dass bis heute die Bundesrepublik zweigeteilt ist in Gebiete, in denen Mehlspeisen wie Spätzle und Mehlknödel dominieren und solche in denen die Kartoffel als Grundlage für Klöße bevorzugt wird.

 

11. Lesung:  „Dibbelabbes“, „Hoorische“ und „Gefüllte“

 

 Dibbelabbes“, ein typisch saarländisches Gericht, ist eigentlich kein Kloßgericht. Er entspricht eher den in anderen Gegenden bekannten Kartoffelpuffern. Großmutter reibt neben den Kartoffeln noch einige Zwiebeln, stellt eine gusseiserne Pfanne auf den Herd, lässt gewürfelten Schinkenspeck in Griebenschmalz goldbraun werden und gibt die mit Muskatnuss gewürzte Kartoffelmasse dazu. Sobald die Masse anfängt am Pfannenboden anzubacken, zerpflückt Großmutter mit dem Pfannenwender die Masse in kleinere Stücke und wartet, bis diese Stücke rundherum eine goldbraune Farbe angenommen haben. Zusammen mit Sauerrahm, Schnittlauch, und Gartenkräutern verfeinert, ergibt sich so ein einfaches aber deftiges Gericht.

 

„Hoorische“, so benannt nach ihrem etwas haarigen Äußeren und „Gefillte“, so genannt nach ihrem wohlschmeckenden Inneren, gehören zusammen, wie Mann und Frau. Großmutter hat immer darauf bestanden, diese beiden so verschiedenen Klöße gemeinsam zuzubereiten. So schwammen die „Hoorische“ und die „Gefüllte“ nacheinander in der gleichen Brühe und dem gleichen Topf, ähnlich zwei alten Eheleuten, die nacheinander in die nur einmal gefüllte Badewanne steigen. Zuerst werden Kartoffeln geschält und in eine mit einer Mullbinde ausgeschlagenen Schüssel gerieben. Ist diese Arbeit beendet, hebt die Großmutter die gefüllte Mullbinde hoch, verknotet die Enden und hängt sie über die große Schüssel, so dass das überflüssige Wasser in die Schüssel laufen kann. Danach werden gekochte Kartoffeln vom Vortag aus ihrer Pelle befreit und zu Brei gestampft. Die rohe Kartoffelmasse ist trocken genug und wird mit gehackten Kräutern, geriebenem Muskat, Salz und Pfeffer gewürzt, in gleichen Hälften auf zwei Schüsseln verteilt. Aus der einen Hälfte formt Großmutter armdicke Würste, die an den Enden spitz zulaufen. Diese werden in das sprudelnd aufkochende Wasser im Topf gegeben und werden, sobald sie vom Boden aufsteigen in einen gusseisernen Bräter gegeben, wo die „Hoorische“ im warmen Backofen ausruhen dürfen. In der Zwischenzeit vermengt Großmutter Blut und Leberwurst mit Brotwürfeln zu Füllsel wie, unter Zugabe von Mehl und Eiern den Rest der rohen Kartoffelmasse mit den gekochten und gestampften Kartoffeln zu einem gleichmäßigen Teig, der danach rund ausgerollt mit der Wurstmasse gefüllt zu Klößen geformt wird. Die „Gefillte“ wandern ins gleiche kochende Wasser wie zuvor die „Hoorische. In einer kleinen Pfanne wird Schinkenspeck mit Zwiebeln angebraten, mit zwei Kellen Kloßbrühe und vier Löffeln Sauerrahm ergänzt und die Klöße danach mit dieser Soße übergossen. Die übrig gebliebenen „Hoorische“ werden in Scheiben geschnitten in der Pfanne mit Griebenschmalz auf beiden Seiten goldbraun gebacken und mit der restlichen Soße serviert.

 

aBSCHLUSSMODERATION

 

Blicken wir gemeinsam zurück auf den Anfang dieses Abends, erinnern wir uns:

 

Der Fuchs sagte: „Eure Erinnerungen sind kostbar. Sie sind Euer wertvollstes Gut, viel mehr wert als alles Gold der Welt, die Edelsteine eures Gedächtnisses.“

 

Das kleine Mädchen sagte: „Du musst auf die Melodien achten. Erst wenn Du Dich an Deine Melodie erinnerst, kannst Du das Kaleidoskop deiner Erinnerungen finden. Jeder Mensch im Universum hat hier einen Baum mit den Blüten seiner Erinnerungen. Die Blüten sind wie Kaleidoskope. Du kannst mit ihnen die Splitter deiner Erinnerungen fühlen, hören, sehen, riechen und schmecken “ Und so habe ich nach längerer Zeit auf diesem Planeten auch den Baum meiner Erinnerungen gefunden.

 

Der alte Mann sagte: „Gib gut Acht auf dieses Kaleidoskop, es enthält die Erinnerung an alle Deine vertrauten Freunde und Dinge auch an den Weg zu deiner Heimat“.