Die Kriegskasse des Zaren Schalck-Golodkowski und die Strafbarkeit von Devisengeschäften

 

Die Kriegskasse des Zaren Schalck Golodkowski

 Bei Verkaufswegfeststellungen für Handfeuerwaffen aus den KOKO-Kellern taucht immer wieder der Name Kutscher auf. Eine Personenabklärung ergibt, dass besagter Kutscher, von Beruf Büchsenmacher, Inhaber eines Waffengeschäftes in Soltau und eines bereits erwähnten Geschäftes mit angeschlossenem Laden für Freizeitbekleidung im Westberliner Bezirk Schöneberg ist. Kutscher steht im dringenden Verdacht, unter Umgehung aller gesetzlichen Bestimmungen, eine Vielzahl von Waffen und weiteren Embargogütern an den Bereich KOKO geliefert zu haben. Ein Abgleich mit den Unterlagen der im Bereich KOKO für solche Geschäfte zuständigen Außenhandelsfirmen ergibt jedoch keinerlei Hinweise für Geschäftskontakte, Lieferungen von Waffen durch Kutscher oder Zahlungen für solche Lieferungen. Ein Ermittlungsverfahren gegen Kutscher, das bei dem für Waffendelikte zuständigen Kommissariat vor sich hin dümpelt, wird von Bokolic’s Kommissariat übernommen. Bei einer mehr oder minder zufälligen Ermittlung infolge eines anonymen Hinweises ist die Waffensammlung eines höheren Polizeibeamten ins Visier der Ermittler geraten. Es handelt sich bei diesem Waffennarren rein zufällig um den Ehemann, der in Kutschers Modeladen als Aushilfe beschäftigten Verkäuferin. Was diesen Teil der Ermittlungen angeht, wird das Verfahren abgetrennt und wieder an das zuständige Kommissariat abgegeben. Währenddessen beantragt der Staatsanwalt Durchsuchungsbeschlüsse für alle Wohn- und Geschäftsräume Kutschers. Nun stellt sich nicht nur für Bokolic die Frage, aus welchen Beständen die zur Begleichung solcher Lieferungen notwendigen Bardevisen stammen, und danach, inwieweit sich hieraus strafbare Sachverhalte gegen die beteiligten Personen auf der östlichen Seite des „Eisernen Vorhangs“ ergeben, denn nur gegen Kutscher und Andere auf der westlichen Seite sind diese Verletzungen bundesrepublikanischer Waffengesetze anwendbar. Die auf der Ostseite Handelnden sind, soweit sie als „Mitarbeiter“ in den KOKO-Firmen handeln, wegen Staatsauftragshandels nach dem Einzigen im DDR Strafrecht existierenden Waffenparagrafen praktisch sakrosankt. Einziger Angriffspunkt ergibt sich aus der Tatsache, dass in den zur Rede stehenden Fällen „Zar Aleksander“ sich der ausschließlich in seiner persönlichen Verantwortung stehenden „Barkasse“ bedient, um ausschließlich von ihm zu verantwortende „Beschaffungen“ zu realisieren. Wie sich herausstellt, spielt hierbei Geltungssucht und Eitelkeit eine gewisse Rolle. Im Falle der Beschaffung von Nachtsichtgeräten für die Grenzüberwachung durch Hubschrauberbesatzungen der Grenztruppen und NVA ist verbürgt, dass Zar Alexander bei einer Besprechung in hohen Kreisen die eigentlich für die Beschaffung solcher Geräte Verantwortlichen provoziert, indem er ihnen unterstellte, ein solches Vorhaben weder effektiv noch zeitnah umsetzen zu können. Nur er sei in der Lage innerhalb einer Woche die geforderten Geräte zu beschaffen. Er soll sogar auf den Erfolg dieses Unternehmens gewettet haben. Ähnlich geht es auch zu bei der wunschgemäßen „Besorgung“ von persönlichen Luxusjagdwaffen für hochrangige Mitglieder der Wandlitz-Gesellschaft, die vom Zaren persönlich geordert und bei Lieferung aus der Barkasse bezahlt werden. Geliefert wird dem diesen „Schießprügel“ begehrenden „Funktionär“ über die unter anderem zu solchen Geschäften eingerichtete „Waffenabgabestelle“ der Stasi natürlich zum Schnäppchenpreis. Kleinere Stückzahlen moderner westeuropäischer Handfeuerwaffen werden wie auch größere Stückzahlen von Musterwaffen bis hin zu Kriegswaffen ebenfalls auf diesem Wege über den „Interzonenhändler“ Kutscher bestellt, besorgt und nach Übergabe an den Kurier Petrov über die „persönliche Barkasse“ des Zaren abgerechnet.

 

 

Der schweigsame Büchsenmacher

 Kutscher, schweigsamer Büchsenmacher und Embarobrecher

Über die Person des Kutscher, wie auch über seine geschäftliche Tätigkeit gibt es Akten diesseits und jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Für Bokolic sind vor allem die in den beigezogenen Akten befindlichen handschriftlichen Schriftstücke von Kutscher ebenso interessant wie Originale seiner Unterschrift. Wie er es vor einigen Jahrzehnten gelernt hat, vergleicht er die markanten Schriftzüge aus den beigezogenen Akten mit den Schriftzügen auf den Belegen und Quittungen der Barkasse. Danach schreibt er einen kurzen Vermerk und gibt diesen zur Staatsanwaltschaft. Es werden von dieser umgehend die von Bokolic benannten Schriftstücke, Belege und Quittungen im Original einem gerichtsfesten Schriftsachverständigen zur Anfertigung eines Gutachtens vorgelegt. Dieser kommt sehr schnell zu dem Schluss, dass die auf von Bokolic vorgelegten Belegen der Barkasse ersichtlichen Unterschriften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von derselben Person stammen, die auf den von Kutscher handschriftlich gefertigten und unterschriebenen Lebensläufen und Schriftstücken in den Verwaltungsakten aufscheinen. Mehrere Wochen später: An dem Klingelschild des in Wiesen und Felder abseits der Straße eingebetteten Einfamilienhauses steht E. Kutscher, Büchsenmacher. Früh am Morgen ist Bokolic mit mehreren Kollegen aus Berlin angereist und hat sich, wie zuvor telefonisch abgesprochen bei der örtlichen Polizeiwache gemeldet, die nun zwei Durchsuchungstrupps einerseits zu dem Waffenladen des Kutscher an der Hauptstraße und andererseits zu dessen Wohnsitz begleitet. Mit von der Partie sind noch Angestellte der Stadt, welche die Aktion als neutrale Zeugen beobachten sollen. Bokolic drückt mehrmals den Klingelknopf. Außer dem Scheppern der Klingel und einem daraufhin im Innern des Hauses anschlagenden Hund rührt sich jedoch nichts. Einer der uniformierten Beamten deutet auf den unter einem Schleppdach geparkten Kombi und sagt dabei: “Gestern Abend ist er hier angekommen und sein Auto wurde danach nicht mehr bewegt. Er muss also zu Hause sein“. Zwei von Bokolic’s Kollegen umrunden das Anwesen, um einerseits einen möglichen Zugang zu finden und andererseits zu verhindern, dass Kutscher durch eine Hintertür oder ein Fenster das Weite sucht. Nach mehrmaligem vergeblichem Klingeln geht Bokolic zu lautem Hämmern und Poltern an der massiven Tür über. Es dauert wieder eine geraume Zeit, bis endlich eine verschlafene Stimme knurrt. „Ich komm ja schon“. Tatsächlich taucht danach ein zerknittert wirkender Kutscher im hastig übergeworfenen speckigen Morgenmantel auf. An ihm vorbei stürmt ein altersschwacher Jagdhund, der die ungebetenen Ankömmlinge auf seine Weise – aber keineswegs unfreundlich - begrüßt. Den Anblick von Uniformen scheint er gewohnt, denn er umtanzt die uniformierten Kollegen freudig bellend und schwanzwedelnd. Kutscher ist beim Anblick der Streitmacht leichenblass geworden und muss sich am Türrahmen einen festen Halt suchen, als ahne er schon das drohende Unheil. Nachdem ihm Bokolic in kurzen Worten erklärt hat, worum es geht, gibt er immer mehr zitternd den Weg ins Hausinnere frei und lässt sich beim Anblick des roten Haftbefehls in Bokolic´s Hand auf einem der Stühle in der angrenzenden Küche fallen. Bokolic, vorgewarnt durch den ihm bekannt gewordenen inszenierten Herzkasper von Kutschers Waffenbruder Petrov, setzt sich unmittelbar gegenüber an den großen Küchentisch, winkt einen der örtlichen Uniformträger heran und bittet diesen leise einen Arzt, wenn es möglich ist, den Hausarzt des Kutsch anzufordern. Dann wendet er sich Kutscher zu und fragt, ob mit ihm alles okay sei. Dieser deutet auf einen Stapel von Medikamentenschachteln auf dem Küchentisch. Worauf Bokolic fragt, ob Kutscher schon gefrühstückt habe und welche Medikamente er einnehmen müsse. Da Kutscher nur mit dem Kopf schüttelt, schiebt ihm Bokolic den Brotkorb über den Tisch, geht zum Kühlschrank und fragt dabei Kutscher, was er denn zum Frühstück essen und trinken wolle. Wenig später ist Kutscher ruhiger geworden, sitzt kauend und vor sich hin schweigend am Frühstückstisch, während Bokolic dabei ist, diesen in kurzen Worten über die nun anlaufende Durchsuchungsaktion und den Haftbefehl sowie über seine Rechte als Beschuldigter und Betroffener zu informieren. Kutscher will nicht überall dabei sein, er ist zufrieden, dass die ihm bekannten Zeugen des örtlichen Ordnungsamtes und die Uniformierten der örtlichen Dienststelle ein wachsames Auge auf die Durchsuchungsaktion haben. Bei vielsagendem Schweigen bleibt Kutscher auch, als sein Hausarzt eintrifft und nach der Untersuchung ein kurzes Gespräch mit Bokolic führt. Der Hausarzt bejaht Bokolic’s Frage nach der Transportfähigkeit seines Patienten, weist aber darauf hin, dass Kutscher eine Reihe von Medikamenten regelmäßig einnehmen muss, die er bereits vorsorglich aus dem Wirrwarr der Schachteln auf dem Küchentisch herausgefischt hat. Er erklärt dazu, dass Kutscher an einer chronischen Erkrankung der Bauchspeicheldrüse leide und auf regelmäßige ärztliche Kontrolle angewiesen sei. Nach mehreren Stunden, in denen Kutscher weiter vor sich hin schweigt, hat Bokolic zusammen mit Reinhard die von Kollegen mit Sicherstellungsprotokoll vorgelegten Beweismittel auf dem Küchentisch ausgelegt, um sie mit Kutscher einzeln durchzugehen. Kutscher winkt, immer noch den großen Schweiger spielend, ab verweigert die Unterschrift, und so lässt Bokolic den neutralen Zeugen die Protokolle nach Durchsicht auf deren Richtigkeit abzeichnen. Nachdem Kutscher im Beisein eines Kollegen seine „Reisetasche“ gepackt hat, einschließlich der vom Arzt bezeichneten Medikamente, wird er in Bokolic´s Dienstwagen verfrachtet und von diesem zusammen mit Reinhard über die ihm so bekannte ehemalige Interzonenautobahn, vorbei an den Raststätten, die ehemals für Kutscher Treff- und Übergabepunkt für heiße Ware gegen begehrte Devisen aus Petrovs Händen waren, bis in das Polizeigewahrsam, von wo Kutscher am nächsten Morgen dem Haftrichter vorgeführt wird, der dem immer noch stur schweigenden Kutscher daraufhin den Haftbefehl verkündet. Kutscher bleibt in der Folgezeit, wenn er zu fraglichen Aspekten seiner Waffenschieberei befragt wird, weiterhin schweigsam. Dafür ist sein Rechtsanwalt umso rühriger, was jedoch angesichts der Auswertung der Beweismittel, die bei Kutscher sichergestellt wurden, und deren Abgleich mit den übrigen Beweismitteln trotz seines schweigenden Mandanten nicht zum Vorteil ge- und nicht zur Freilassung reicht. Erst sehr viel später, fast zu spät, lässt sich Kutscher bei Konfrontation mit den ihm zugeschriebenen Barkassenquittungen aus der Kasse des Zaren dazu herab, neben den Quittungen auf denen seine typische Kutscher – Unterschrift prangt auch die von ihm in gleichen typischen Schriftzügen mit Müller, Meier, Schulze unterzeichneten Quittungen als die Seinigen anzuerkennen. Bei den weiteren Ermittlungen stellen Bokolic und seine Kollegen folgende Varianten der Lieferungen von Kutscher an den Zaren fest:

 

 

Der Freie Interzonenverkehr

 Der freie Interzonenverkehr zwischen Ost und West

 Bei den Zeugenbefragungen ergibt sich ein bemerkenswertes Bild auf die Gepflogenheiten des Interzonenverkehrs. Den Sicherheitsorganen West genügt offensichtlich die scharfe Kontrolle der Sicherheitsorgane Ost im Interzonenverkehr. So können sie auch nicht bemerken, dass auf der Interzonenautobahn zwischen dem Norden der Bundesrepublik und dem freien Westberlin bestimmte Waren verloren gehen und entgegen ihrer Bestimmung nie im freien Westberlin ankommen. Dies liegt jedoch ausdrücklich nicht an der Laxheit der Sicherungsorgane Ost, die jedem durchreisenden Westbürger oder Berliner selbst die Mitnahme an sich harmloser Presseerzeugnisse untersagen. Es liegt vielmehr an dem fein ausgetüftelten dem von Stasi Oberen ersonnenen System der „Grenzfreimachung in besonderen Fällen“. Kommt ein so anvisierter Besucher mit seinem Gefährt an die Kontrollstelle, wird er auf einer „bevorzugten Spur“ je nach „spezieller Anweisung“ auch bevorzugt durchgewinkt. In Kutschers Fall bedeutet dies, dass er mit seinem Pkw nach kurzer Kontrolle der Personalien einem bereitstehenden Konvoi von eigens hierfür abgestellten Kräften der Observationseinheiten anvertraut wird, die ihn bis zu einem festgelegten Übergabepunkt auf einem der sonst für Interzonenreisende nicht zugänglichen Bereich eines Interzonenparkplatzes geleiten. Dort wartet bereits Petrov, der Spezialkurier des Zaren, und übernimmt unter strengster Abschirmung die vom Zaren höchstpersönlich bei Kutscher bestellte Ware. Den Lohn für die Ware kassiert Kutscher gegen Quittung entweder an Ort und Stelle in einem verschlossenen Umschlag oder er kassiert bei einem seiner Besuche in der Wallstraße im Sekretariat des Zaren. Gezahlt wird grundsätzlich bar und in US-Dollar. Danach wird Kutscher jeweils noch bis zum Überschreiten der Grenze zu Westberlin observiert.

 

 

Umweglieferungen und die Rolle von Traditionsvereinen

 Umweglieferungen und Traditionsvereine im Waffenhandel

 Über die Stasi werden bei dem Zaren von allen Handfeuerwaffen, wie auch von Kriegswaffen wie Sturmgewehren und Vollautomaten, die bei westlichen Sicherheitsbehörden und Armeen im Einsatz sind, je nach möglicher Einsatzlage von fünf bis zu zweihundert Exemplare für unterschiedlichste Zwecke und Dienststellen geordert. Größere Posten von „Musterwaffen“ aus westlicher Produktion aber vor allem Sturmgewehre und Vollautomaten, die unter die Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetztes fallen, kann Kutscher nicht direkt liefern, ohne Gefahr zu laufen hierbei entdeckt zu werden, da er keine Lizenz zum Handel mit Kriegswaffen hat. Hier bedient man sich einer weiteren Form der Lieferung und „Grenzfreimachung“ für solche Waffen durch Kutscher. Dies ist die Umweglieferung, die auch für die Lieferung spezieller Embargogüter anderer Lieferanten genutzt wird. Im neutralen Österreich gilt für den Handel mit den Ostblockstaaten weitgehend der Grundsatz „Geschäft ist Geschäft, mit wem ist egal“. So sucht sich Kutscher zwei Geschäftspartner in Österreich aus, die er daselbst in seiner Büchsenmachermeisterlehre kennen und schätzen gelernt hat und die dem schon genannten Grundsatz verpflichtet, über die entsprechenden Lizenzen verfügen. Kutscher bestellt im Auftrag des Zaren Alexander die gewünschten Waffen, zur Lieferung an deren Adressen, und diese liefern per Luftfracht mit Interflug an eine vom Zaren persönlich initiierte Scheinfirma am Flughafen Schönefeld. Die Firma, die in keinem Register der DDR verzeichnet ist, und die noch nicht einmal einen Vertrag für die von ihr genutzte Halle hat, führt bezeichnenderweise den Namen „Petrov Buldim“ als Firmennamen und Flughafen Schönefeld, DDR als Anschrift. Bei der Vernehmung des ehemals zuständigen Leiters des Zolls für diesen Bereich wird Bokolic klar, wie einfach es war alle Vorschriften dieses Staates außer Kraft zu setzten. „Auf eine von der Staatssicherheit lediglich fernmündlich bestätigten Anordnung des Zaren Aleksander, die gleichfalls nirgendwo schriftlich niedergelegt werden darf, sind Lieferungen an die Adresse der Petrov – Buldim Handelskontor von jeglicher Zollkontrolle befreit. Die dazugehörenden Rechnungen, Fracht- und Zollpapiere werden in verschlossenem Umschlag angeliefert und unterliegen gleichfalls dem strikten Kontrollverbot. Alle Lieferungen sind noch am Eingangstag an das persönliche Sekretariat des Zaren zu melden und werden dem persönlichen Kurier Petrov oder dem schriftlich beauftragten KOKO-Kurier ohne Quittung einschließlich aller Unterlagen ausgehändigt. Auch dürfen keine schriftlichen Hinweise oder Vermerke hierüber angefertigt werden“. Allerdings ist es nicht ganz einfach, diese Umweglieferungen hieb- und stichfest zu beweisen. Wie so oft spielen Divergenzen in der Gesetzgebung und in der Rechtsauslegung und Rechtsprechung der beiden Staaten – nämlich Österreichs und der Bundesrepublik eine gewisse Rolle. Zwar sind die gefundenen Dokumente recht eindeutig, jedoch die Rolle Kutschers und seiner beiden österreichischen Waffenbrüder ist wegen ihrer Relevanz im anstehenden Strafverfahren noch aufzuklären. Nach den bisherigen Ermittlungen geht Bokolic davon aus, dass die beiden österreichischen Waffenhändler sich nach dem Recht ihres Heimatlandes keine Straftat haben zuschulden kommen lassen. Beide sind lizenzierte Waffenhändler, einer davon sogar berechtigt solche Vollautomaten, die in der Bundesrepublik Deutschland unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, offiziell mit entsprechender behördlicher Genehmigung im In- und Ausland zu kaufen und zu verkaufen. Bokolic weiß aus Erfahrungen seiner Kollegen und der Staatsanwaltschaft, dass österreichische Dienststellen bei Ersuchen, die sich auf mögliche vereinigungsbedingte Regierungskriminalität beziehen, zurückhaltend und meistens überhaupt nicht reagieren. Nach Absprache mit seinem Staatsanwalt versucht Bokolic die beiden „Zeugen“ aus Österreich zu einer freiwilligen Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Lieferungen von Waffen durch Kutscher über Österreich in die DDR zu bewegen. Der Wiener Franzo lehnt dies am Telefon rundweg ab mit der Bemerkung er, als Österreicher habe gegen kein Gesetz seines Landes verstoßen und er sei auch nicht bereit im Interesse des Deutschen Staat und für diesen als Zeuge aufzutreten. Es sei ihm egal, was die deutsche Öffentlichkeit und deutsche Behörden von ihm denken. Rundherum gesagt gehe ihm das alles an der Backe, auf der er sitze, vorbei. Bokolic ist nach diesem Telefonat sicher, dass Franzo sich der Rückendeckung durch alle Sicherheitsbehörden seines Landes gewiss sein kann. Aus dieser Erfahrung heraus beschließt Bokolic, nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt, bei dem zweiten Kolieferanten Kutschers in Österreich eine etwas andere Vorgehensweise anzuwenden. Dieser ist im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Österreich beheimatet. Er recherchiert daher zeitaufwendig in allen ihm erreichbaren Quellen zur Person und zu dessen Firmen. Eine dieser Quellen, die verständlicherweise auch heute ungenannt bleiben soll, sagt aus, dass die eine seiner Firmen, die sich überwiegend mit dem Im- und Export von Waffen beschäftigt auch Geschäfte mit halbstaatlichen und privaten Institutionen in Südafrika, Namibia und anderen südafrikanischen Staaten betreibt. Darüber hinaus soll die andere Firma als bevorzugter Lieferant von alten und antiken Waffen an die traditionellen Schützenvereine dieser Gegend tätig sein. Ein Teil dieser Vorder- und Hinterlader stammt wohl aus dem internationalen Antiquitätenhandel der KOKO. Ein Volltreffer denkt Bokolic, der die Einstellung der Traditionsvereinskunden zu solchem Handel wohl richtig einzuschätzen weiß. Bokolic’s Zeuge, der aus einsichtigen Gründen auch hier und heute nicht mit Namen genannt wird, gibt sich nach Erörterung der Gesamtumstände am Telefon durchaus einsichtig und besteht im rein geschäftlichen Interesse nur darauf, dass gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit sein Name und seine Firmen nicht genannt werden. Nach Rücksprache mit seinem Staatsanwalt sichert dies Bokolic in einem zweiten Telefonat zu und vereinbart gleichzeitig einen Befragungstermin auf deutschem Boden bei der ersten Polizeidienststelle an der Grenze zu Österreich. Zwei Wochen später erscheint der Zeuge dort und nach kurzem Vorgespräch ist er bereit die notwendigen Unterlagen wie Handelsbücher, Notizen, Aufträge, Rechnungen und soweit vorhanden auch Frachtpapiere zur Erfassung und zur Belegung seiner Aussagen vorzulegen. So geschieht dies auch, und am Ende dieses endlos langen Tages sind Bokolic und sein Kollege Reinhardt dabei in ihrem Übernachtungshotel, die von Reinhardt kopierten Unterlagen mit der von Bokolic gefertigten Vernehmung provisorisch abzugleichen. Wiederum zwei Wochen danach geht das Ergebnis dieser Recherchen mit Beweismittelsonderordner und Zwischenbericht zur Staatsanwaltschaft. Nunmehr gelten zwei Varianten der Umweglieferung über Österreich als belegt. Bei der ersten Variante bestellt Kutscher direkt beim Hersteller und gibt als Lieferadresse die Einzelhandelsfirma des Zeugen an. Die Rechnungslegung erfolgt an Kutscher, der eine Provision „für die Weiterleitung“ an den Zeugen zahlt. Die Lieferung selbst wird über die Barkasse des Zaren mit einem entsprechenden nicht unerheblichen „Risikoaufschlag“ auf den bei der KOKO bekannten Einzelhandelskatalogpreis des Herstellers bezahlt. Hierbei tritt in den Büchern des Kutscher als Endabnehmer die Firma des Zeugen mit fingierter Rechnungslegung und rabattiertem Katalogpreis in Erscheinung. Der Rest der KOKO-Barzahlung verschwindet im Verschiebebahnhof Kutschercher Konten- und Kassenbücher endgültig und unaufklärbar in den Taschen staatlicher oder illegaler Kasinobetreiber und sonstiger Vergnügungsstätten. Bei der zweiten Variante, die bei der Lieferung von durch das Kriegswaffenkontrollgesetz sanktionierten Waffen angewandt wird, tritt die für solche Geschäfte lizenzierte Firma des Zeugen, im nicht ausdrücklich dokumentierten Auftrag Kutschers, als Besteller und Lieferant der Waffen auf. Rechnungslegung erfolgt teilweise an Kutscher, teilweise an die nicht existente DDR-Firma Petrov Buldim. Die Bezahlung erfolgt nach Lieferung über die Barkasse an Kutscher, der seinerseits in Devisen bar oder über Tarnkonto beim Zeugen bezahlt. Kutschers bezieht hierbei „Risikoprovision“ über Aufschlag bei der Rechnungslegung und daneben noch eine „Vermittlungsprovision“ vom Zeugen. Die Geschäfte mit Franzo, soweit diese anhand vorgefundener Unterlagen aus dem Bereich KOKO und aus dem Bereich Kutscher ohne dessen Mitwirkung aufgeklärt werden können, sind offensichtlich nach dem gleichen Strickmuster abgewickelt worden. Bei den weiteren Recherchen stößt Bokolic mit seinen Kollegen noch auf eine weitere Variante der Umweglieferungen, die jedoch wegen der Schwierigkeiten in der Beweisführung nie restlos aufgeklärt werden kann. Westliche Jagdwaffen, die wohl für die mittlere Funktionärsebene der Mitarbeiter der DDR Nachrichtendienste bestimmt, über den Zaren besorgt und über die besagte Stasi Waffenausgabestelle an die jagdfreudigen Genossen abgegeben werden, sind nach dürftigen Unterlagen von einer Stelle aus dem polnischen Bruderland geliefert worden. Ein entsprechender Hinweis aus der Stasi – Akte, die sich mit Kutscher und seinen Verbindungen zu Westmenschen mit rechtsextremen Hintergrund beschäftigen, zeigt ausgerechnet eine Verbindung dieser von Jagdleidenschaft auf das östlich der Elbe und Oder vorkommende Großwild gepackten Gemeinschaft und der besagten polnischen Lieferfirma von Westwaffen an die KOKO auf, die unter anderem solche Großwildjagden an betuchte Westkunden auch bereits zu Zeiten des Kalten Krieges gegen gute Westdevisen vermittelt. Die Jäger reisen unter der Obhut Kutschers mit eigenen Jagdwaffen an und fahren später mit den stolzen aber auch teuren Jagdtrophäen wieder nach Hause. Hierbei scheinen sie mehr als nur ein paar Waffen in den weiten Sümpfen und Wäldern jenseits der Oder verloren zu haben. Die Verlustmeldungen werden in der Regel erst später im Westen erstattet oder auch gar nicht erst in Erwägung gezogen. So finden sich bei späterer Überprüfung einige der von Osten gen KOKO Osten gelieferten Waffen in den Fahndungscomputern als gestohlen gemeldet, andere wiederum immer noch in den Waffenbesitzkarten der ehemaligen Besitzer als leider nur auf dem geduldigen Papier vorhandene Waffen. So wie dies auch bei einer Vielzahl von Waffen des Waffenhändlers Kutscher der Fall ist.