Das Verhältnis der Polizei zum Bürger und zum Staatsapparat

 

Zwiespältig, damit sind die Verhältnisse sowohl zum Bürger als auch zum Staatsapparat umfassend umschrieben. Der Polizist: „Dein Freund und Helfer“, so wird in Hochglanzlügenbroschüren immer wieder versucht das Verhältnis der Polizei zum Bürger darzustellen. Dieser Anspruch scheitert jedoch regelmäßig an der Realität. Der Polizist wird vom Bürger meist nur situationsbedingt wahrgenommen.

Hat der Bürger ein subjektiv immer als berechtigt empfundenes Anliegen, so will er dieses Anliegen durch den von ihm gerufenen Vertreter der „Ordnungsmacht“ auch durchgesetzt sehen. Dabei vergisst er allzu oft die dem Polizisten gesetzten normierten Schranken. Er ist enttäuscht von der seiner Meinung nach mangelnden Hilfsbereitschaft, auch wenn diese schlicht und einfach auf seiner Unkenntnis der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten beruht. So empfindet er die meist eingeschränkte Ordnungsmacht der Polizei als Ordnungsohnmacht. Dies führt dazu, dass selbst eine korrekte Verhaltensweise des Polizisten häufig als mangelnde Einsatzbereitschaft, ja als Dummheit oder Faulheit eines schmarotzenden beamteten Staatsdieners gesehen wird.

Wird der Bürger jedoch, aus welchem Anlass auch immer, ungewollt mit der Polizei konfrontiert, betrachtet er dies durchweg ebenso subjektiv als ein ungerechtfertigtes Eindringen in seine Privatsphäre oder sogar als Verletzung seiner Menschenrechte. Selbst in seiner Eigenschaft als Zeuge scheint der Bürger von Zweifeln geplagt zu werden, ob ihm durch die Ordnungshüter nicht doch ein Strick gedreht werden soll. Selten geschieht es, dass beim betroffenen Bürger von vorneherein die Einsicht in die Notwendigkeit des polizeilichen Einschreitens besteht.

Sowohl die allgemeinen Ordnungsbehörden als auch die Justiz bestimmen im Wesentlichen wie er seine Aufgaben wahrzunehmen hat, so wird er vielfach zu Recht als der Büttel des Staatsapparates angesehen.Seine wesentliche Aufgabe ist die Gefahrenabwehr und somit die Aufrechterhaltung der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung". In  den Bundesländern ist nach dem Trennungssystem meist die eigentliche, materielle Polizeiaufgabe, der allgemeinen Verwaltung übertragen. Die Polizei ist nur für die Gefahrenabwehr in Eilfällen zuständig. Somit sind weisungsbefugt die mit den Aufgaben der Verwaltungspolizei betrauten Ordnungsbehörden. Im Gegensatz zum Legalitätsprinzip der Strafverfolgung sind diese nach dem Opportunitätsprinzip zur Gefahrenabwehr nicht in jedem Fall verpflichtet, sondern entscheiden nach pflichtgemäßen Ermessen über den Einsatz.

Bei der ihm übertragenen Aufklärung von Straftaten wird der ermittelnde Polizist heute als Ermittlungsperson (zu meiner Zeit noch als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft) bezeichnet. Es handelt sich um eine Funktion, die in Personalunion mit dem Beruf ausgeübt wird. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind keine Mitarbeiter, sondern „Zuarbeiter“ einer Staatsanwaltschaft. Die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft ist originär für die Anordnung und Durchführung von Maßnahmen zuständig, da sie „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ ist. Sie hat Weisungsbefugnis gegenüber allen Ermittlungspersonen in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit

Gerne gefeiert wird schon immer im Gebiet zwischen Taunus, Rhein und Main. Im Rheingau sind es die Weinfeste, in der Ebene zum Maintal die Kirschblütenfeste und im Hinterland zum Taunus die Apfelblütenfeste ganz abgesehen von den Äppelwoifeschte, in neudeutsch oder hochdeutsch Apfelweinfesten, die in Mainhattan oder Frankfurt, der großen Metropole des Rhein Main Gebietes das ganze Jahr über am Laufen sind. Im Polizeikommissariat sind die einzelnen Orte zur Betreuung auf die Schichtdienstgruppen verteilt. Jeder von Bokolics Kollegen hat entweder einen größeren Ort oder zwei drei kleinere Ortschaften zu betreuen. Die beamteten Betreuer arbeiten mit den Verwaltungen und Bürgermeistern Hand in Hand und sind gleichzeitig Ansprechpartner für die Bürger aus ihren Gemeinden. Aus diesem Grunde ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der Kontaktbeamte zu jedem Fest oder öffentlichem Anlass in „seiner Gemeinde“ als Vertreter der Sicherheitsbehörde eingeladen wird. Üblich ist es, dass er in Ausgehuniform erscheint. Zu diesen Anlässen wird er meist von einem Kollegen seiner Dienstgruppe mit dem Dienstwagen gefahren, weil, mit Genehmigung des Landrates zur Kontaktpflege ausnahmsweise das im Dienst sonst geltende Alkoholverbot zu solchen Anlässen für den Kontaktbeamten aufgehoben ist. Bokolic ist vom Bürgermeister seiner Gemeinde zum Äppelblütefescht geladen. Wegen der angespannten Personalsituation an diesem Wochenende ist Bokolic selbst mit dem Streifenwagen zu diesem Anlass aufgebrochen. Auch die Verkehrsregelung anlässlich des Umzuges zur Eröffnung des Festes hat er zusammen mit der Freiwilligen Feuerwehr des Ortes vorab organisiert. Er hat sich bei seinem Schichtleiter lediglich ausbedungen, dass er von der letzten Spätstreife am Festplatz abgeholt wird, und einer der Kollegen seinen Streifenwagen zum Polizeikommissariat zurück steuert. Zu Beginn des Festumzuges hat Bokolic den polizeigrünen VW Käfer an der Abzweigung zum Festplatz mit laufendem Blaulicht so abgestellt, dass er die gesamte Straßenbreite absperrt und damit die Durchfahrt durch die gesperrte Straße vereitelt. Den Motor muss Bokolic laufen lassen, weil sonst die altersschwache Batterie in kurzer Zeit den Geist aufgeben würde. Der Bürgermeister winkt den neben seinem Fahrzeug stehenden Bokolic zu sich auf die an der Einfahrt aufgestellte Ehrentribüne, auf der sich die Honoratioren des Landkreises und der Gemeinde tummeln. Nach den gegenseitigen Honneurs, bevorzugt auch an die ihm bekannten Gattinnen und Töchter der Ehrengäste, bekommt er von Bürgermeisters Töchterlein, wie alle Ehrengäste, einen Becher Apfelwein kredenzt. Mit diesem prostet er brav mit kräftigen Schlucken der Äppelblütenkönigin des Jahres, danach in der Reihenfolge der Würdenträger, dem Pastor, dem Vertreter des Landrates, dem Bürgermeister, der Bürgermeisterin, dem Töchterlein, und ... und zu. Die Dienstmütze wird auf Anraten des Bürgermeisters vorher abgesetzt, weil sich „der Beamte damit außerhalb des Dienstes“ stellt. Das fürsorgliche Töchterlein des Bürgermeisters öffnet dem Polizisten das Jackett, damit dieser die obligatorischen Küsse der Königin und des Töchterlein`s nach dem Zuprosten ungezwungener entgegennehmen kann. Danach winkt Bokolic pflichtgemäß dem niederen Volke zu, den einen oder anderen Polizeibekannten mit dem einen oder anderen Wort dabei grüßend. Auch einen seiner ehemaligen Ausbilder an der Polizeischule, der vor kurzem erst zum Polizeirat avancierte und der in der Festgemeinde wohnt, grüßt er freundlich von der Tribüne herab. Der Nachmittag geht für Bokolic unter Gesprächen mit den Honoratioren über Wohl und Wehe der Gemeinde und über kleine und größere Probleme mit der Ordnungsmacht zu schnell zu Ende. Eine Woche später wird Bokolic zum Leiter seiner Dienststelle gerufen. Dieser ist ein altgedienter Schutzmann, der seine Herkunft und seine Berufung zu diesem Beruf nie verfehlen kann. Selbst unter den jungen Kollegen genießt er hohes Ansehen, da er in allen Belangen zu seinen Untergebenen steht und jede Kritik von außen zuerst einmal mit den Betroffenen bespricht, bevor er eine gerechte Entscheidung trifft. Bokolic wird nach Begrüßung auf den Stuhl an der vorderen Schreibtischkante genötigt. Dann liest der Dienststellenleiter aus einem ihm vorliegenden Schriftstück vor: ...“Der Beamte hat sich mehrerer Verkehrsordnungswidrigkeit schuldig gemacht, da er das ihm anvertraute Dienstfahrzeug unverschlossen, mit laufendem Motor über einen längeren Zeitraum unbeaufsichtigt im Straßenbereich abstellte. Ferner hat er in nicht korrekter Dienstkleidung unter Absetzen der Dienstmütze und mit geöffnetem Dienstjackett dem Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit schweren Schaden zugefügt. Er hat zudem alkoholische Getränke in der Öffentlichkeit zu sich genommen, mit erkennbar Andersgeschlechtlichen teils Minderjährigen Küsse ausgetauscht und darüber hinaus im Dienst einen ihm als ranghöher bekannten Polizeibeamten nicht oder nicht vorschriftsmäßig gegrüßt. Diese Handlungen stellen ernste und grobe Dienstvergehen dar. Ich bringe hiermit pflichtgemäß die Dienstvergehen des Polizeimeisters Bokolic dessen Dienstvorgesetzten zur Kenntnis. Über die getroffenen disziplinarrechtlichen Maßnahmen bitte ich mich über die hessische Polizeischule zu unterrichten, damit diese Beispiele, selbstverständlich anonymisiert, in den Fächern Dienstkunde und Beamtenrecht den Schülern als Beispiele einer ebenso schlechten wie auch nicht korrekten Dienstauffassung nahe gebracht werden. Unterschrieben war das Dokument von dem zuvor erwähnten Polizeirat. Nachdem Bokolic den Vorfall aus seiner Sicht geschildert hat, lässt der Dienststellenleiter zwei Kopien des Schriftstücks anfertigen und übergibt diese Bokolic, mit der Empfehlung jeweils eine dem Stellvertreters des Landrates sowie dem Bürgermeister der Festgemeinde zu übergeben. Danach diktiert der Dienststellenleiter die Anschreiben an die beiden Herren und bittet um eine kurze aber prägnante Stellungnahme zu den geschilderten Vorfällen. Offenbar sieht er den Vorfall als erledigt an und bittet Bokolic lediglich, die jungen Mädchen nicht zu sehr zu ermuntern, denn er wisse selbst aus leidvoller Erfahrung, dass viele der Mädchen halt auf Uniformen fliegen. Dies möge er durchaus als Tadel betrachten. Weitere Maßnahmen wurden gegen Bokolic nicht getroffen. Monate später berichtet Bokolic ein Vertrauensmann aus der Polizeischule, dass der Polizeirat zu seinem Leidwesen an die Front zur praktischen Ausbildung angehender Schutzpolizisten nach Frankfurt abkommandiert wurde. Die Schulleitung hat nach gleicher Quelle zu urteilen, das Antwortschreiben des Vorgesetzten von Bokolic mit den bemerkenswerten Stellungnahmen lachend zur Kenntnis genommen. In den Stellungnahmen wird darauf verwiesen, dass die Hessische Polizei gar nicht genug zu ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung beitragen kann, um das Negativimage, das durch solche Anzeigen gegen allseits be- und geliebte junge Beamten entstehe, nur einigermaßen wieder auszugleichen.

 

Die handfeste Gegendarstellung

Georg ist schon ein Jahr pensionierter, somit Schutzmann außer Dienst, als er, als einziger Geschädigter und Zeuge in einer üblen Sache zu Gerichte vorgeladen wird. In seinem letzten Dienstjahr hatte er mehrere Anzeigen gegen einen stadtbekannten und einschlägig vorbestraften Schläger aufgenommen, und diese, nach ordnungsgemäßer Vernehmung des Beschuldigten, trotz aller von diesem ausgesprochenen Drohungen, wie es sein Amt vorschrieb, zur weiteren Veranlassung an die Staatsanwaltschaft abgegeben hatte, wurde Georg, der verhasste Uniformträger, von dem hiervon betroffenen Schläger zu später Stunde auf dem Nachhauseweg in einem stillen Seitenweg überfallen und so verprügelt, dass er am gleichen Abend noch einen Arzt aufsuchen musste. Die daraufhin von den Kollegen verfasste Anzeige wurde wenig später gleichfalls zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Nach über einem Jahr steht der Raufbold nun wegen dieses Vorfalls vor dem Einzelrichter des Kreisstädtchens vor Gericht. Bokolic wird vom Leiter der Dienststelle als Berichterstatter zum Prozess entsandt. Er nimmt nach Meldung beim Richter neben einigen älteren Dauerzuschauern und zwei Vertretern der regionalen Presse auf der Zuschauerbank Platz. Die Verhandlung verläuft, wie so viele solcher Verhandlungen unaufgeregt langweilig, den Formalien eines jeden Strafprozesses folgend. Die beiden Beisitzer scheinen der gleichen Meinung und gähnen ab und zu hinter vorgehaltener Hand. Der Staatsanwalt verliest den Anklagesatz, der Beschuldigte äußert sich auf die Fragen zu seiner Person. Die einschlägigen Vorstrafen des Beschuldigten werden trotz Protestes seines Verteidigers anhand des Strafregisterauszugs verlesen. Danach folgt eine langatmige aber nichts sagende Erklärung des Anwaltes, die in der kurzen Feststellung endet, sein Mandant werde sich vorläufig nicht zur Sache äußern. Gegen die Verlesung des ärztlichen Attests wiederum hat keiner der Beteiligten etwas einzuwenden. Danach ruft der Richter den einzigen Zeugen und gleichzeitig Geschädigten des Vorfalles, den pensionierten Polizeibeamten Georg in den Zeugenstand. Dieser gibt, wie er es vor langer Zeit gelernt hat, dem Gericht, wie auch dem Staatsanwalt und danach dem Verteidiger geduldig auf alle Fragen nach Bestem Wissen und Gewissen Auskunft. Ja, er sei über vierzig Jahre Schutzmann gewesen. Ja, er wisse, dass der Angeklagte schon öfter als Raufbold in Erscheinung getreten sei. Nein, er habe die von dem Angeklagten ausgesprochenen Drohungen nicht ernst genommen. Nein, er habe keine Vorkehrungen gegen einen möglichen Übergriff getroffen. Ja, natürlich habe es Vorfälle dieser Art mehr als einmal in seinem Berufsleben gegeben. Nein, diese Vorkommnisse hätten nicht zu Vorbehalten oder gar Vorurteilen gegenüber Schlägern oder Raufbolden geführt. Auch die teils absonderlichen Fragen des Verteidigers hatten ihn nicht aus der Ruhe bringen können. Bei allzu subjektiven Fragen aus dieser Richtung, seine persönlichen Meinung betreffend, sieht er den Richter kurz an, hebt die Augenbrauen und fragt unschuldig lächelnd: „Muss ich diese Frage beantworten?“ Danach beantwortet er sie trotzdem, was in einigen Fällen dem Angeklagten gar nicht zum Vorteil gereicht, weil Georg seine persönliche Meinung zu dem Angeklagten und dessen Verhalten immer wieder mit Fakten aus den Ermittlungen belegt und untermauert. Irgendwann hat Georg alle an ihn gestellten Fragen zur Befriedigung aller Verfahrensbeteiligten bedächtig ebenso wie auch gewissenhaft beantwortet und nimmt, nach seiner endgültigen Entlassung aus dem Zeugenstand auf der ersten Bank im Zuschauerraum Platz. Es folgt danach das langatmige Plädoyer des Staatsanwaltes, der in gewohnter Routine, die Beweiserhebung würdigt, um danach unter Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Vorstrafen eine nachhaltige mehrmonatige Freiheitsstrafe zu beantragen, verbunden mit einer Geldbuße zugunsten der Polizeistiftung. Auch der Verteidiger sieht in seinem daran anschließenden Plädoyer keine Möglichkeit die Schuld des Angeklagten zu bestreiten. Er meint jedoch, die damalige Amtträgerschaft des Schutzpolizisten Georg müsse zu Gunsten seines Mandanten berücksichtigt werden und begründet dies damit, dass Georg, trotz der gegen ihn ausgesprochenen Drohung, keine Maßnahmen getroffen habe, um den nach aller Lebenserfahrung voraussehbaren Schadenseintritt zu vermeiden. Das letzte Wort hat der Angeklagte, der sich den Worten seines Verteidigers voll anschließt und kein Wort des Bedauerns gegenüber dem von ihm so übel malträtierten Georg findet. Nach kurzer Unterbrechung verkündet der Richter im Beisein seiner beiden düpiert dreinschauenden Beisitzer das Urteil. Insgesamt betrachtet fällt das Urteil mehr als milde aus. In seiner Urteilsbegründung führt der Richter wie folgt aus: „Es ist das Berufsrisiko eines jeden Polizeibeamten von dem polizeilichen Gegenüber angegriffen und verletzt zu werden. Gegen dieses Risiko hat der Polizeibeamte von sich aus ausreichend Sorge zu treffen. Dies ist nach Überzeugung des Gerichtes, trotz der ankündigenden verbalen Drohung, nicht geschehen. Zwar ist dies kein Milderungsgrund im eigentlichen Sinne des Gesetzes, es ist jedoch beim Strafmaß durchaus zu berücksichtigen“. Kaum hat der Richter zu Ende gesprochen und sein schwarzes Käppi vor sich auf den Richtertisch gelegt, das neben dem Talar die ihm zukommende Achtung und Würde symbolisiert, da tritt Georg vor den erhöht im Saal stehenden Richtertisch, greift mit seiner Hand nach oben, packt den Richter an der Halskrause des Talars, zieht dessen Oberkörper über den Tisch zu sich herunter und verkündet mit ruhiger bedächtiger Stimme die gleichen Worte wie die, die der soeben Verurteilte vor der Tat ihm gegenüber gebrauchte: „Wenn ich Dich erwische mein Freund, dann schlage ich dich grün und blau!“ Dann lässt er den Kragen des Richters wieder sausen und begibt sich ruhigen Schrittes wieder an seinen Platz im Zuschauerraum. Der Richter ordnet wutschnaubend seinen Talar, setzt das schwarze Käppi seiner Würde wieder auf, und will offensichtlich zur Verkündung einer saftigen Ordnungsstrafe oder einer entsprechenden Ahndung dieser Ungeheuerlichkeit schreiten. Der Staatsanwalt verkündet daraufhin geistesgegenwärtig unter dem Beifall aller Anwesenden, ja sogar der Gegenpartei selbst, und mit einem maliziösen Lächeln im Gesicht „Berufsrisiko, nichts als Berufsrisiko, Herr Richter“. Erschüttert von dem aufbrandenden Beifall selbst seiner Beisitzer, rauscht der Richter daraufhin wutschnaubend aus dem Saal und knallt laut und vernehmlich hinter sich die Tür zum Richterzimmer zu. Eine kurze markante Glosse im Kreisblatt und den Regionalausgaben der Tageszeitungen führt dazu, dass der Leiter der Behörde den Richter dazu bewegen kann, im Interesse der Reputation der Behörde, von weiteren Schritten gegen Georg abzusehen. In diesem Urteil sieht Bokolic im Nachhinein eine Vorwegnahme späterer Richtersprüche von Richtern der Achtundsechziger Generation, die grundsätzlich Schuld bei Staatsorganen und Geschädigten eher suchten, als bei den Delinquenten.

 

Weihnachtliches Ermessen

 

Schon auf der Polizeischule hat Bokolic einen Narren am Allgemeinen Polizeirecht gefressen. Dieses regelt unter anderem die Zuständigkeit der Polizei bei der Gefahrenabwehr und bei Fragen der Sicherheit und Ordnung. Bokolic liebt dieses Sicherheits- und Ordnungsgesetz, weil es die einzige Gesetzesgrundlage ist, die für polizeiliches Handeln einen sowohl gegenüber dem verantwortungslosen Bürger als auch dem nicht immer präsenten Staatsapparat der Polizei einen gewissen Ermessensspielraum einräumt. Am Heiligabend seines ersten Jahres im Polizeieinzeldienst muss Bokolic auf dem Polizeikommissariat zum Nachtdienst antreten. Die Nachtschicht teilt er sich mit meist älteren Kollegen, denen es mangels Familie nicht besonders unangenehm ist, diesen Abend im Kollegenkreis zu verbringen. Am Tage hat es noch einmal heftig geschneit und nun sind nur noch wenige mit ihrem Auto auf dem Weg nach Hause oder zu ihren Lieben auf den Straßen unterwegs. Kurz nach Dienstübernahme biegt ein vollbesetzter Pkw auf den Hof des Polizeikommissariats ein. Der Fahrer lässt eine ärmlich gekleidete Frau mittleren Alters sowie ein kleines etwa drei Jahre altes Mädchen zusammen mit einem kaum älteren Jungen aussteigen, um danach eiligst davonzufahren. Das traurige Trio wird von Bokolic im Vorraum des Kommissariats in Empfang genommen. Alle drei bibbern mit tränennassen Gesichtern und blauroten Wangen vor sich hin. Bokolic führt sie in den bullig warmen geheizten Gemeinschaftsraum, stellt einen Teller mit Gebäck auf den Tisch, schenkt drei Becher heiße Schokolade aus und fragt erst dann, was die Polizei für die Drei tun kann. Die Frau erzählt, immer wieder von Schluchzen unterbrochen: Sie lebe seit Jahren bei ihrem Freund, der Vater der beiden Kinder sei. Im letzten Jahr habe sich der Vater immer mehr dem Alkohol zugewandt und es sei deswegen häufig zum Streit gekommen. Heute Abend jedoch sei der Streit eskaliert, der Mann habe nicht nur sie, sondern auch die Kinder wegen Nichtigkeiten geschlagen und sie zum Schluss aus seiner Wohnung geworfen. Nun wisse sie nicht mehr weiter. Sie habe auch keine müde Mark mehr, weil der Mann das ganze Weihnachtsgeld für seinen Suff verbraten habe. Bokolic bittet einen Kollegen sich mit den Kindern zu befassen, was dieser mit opahaftem Vergnügen bereitwillig auf sich nimmt. Danach bespricht er mit der Frau alle erdenkbaren Möglichkeiten, kommt am Ende nach mehreren Telefonaten zu dem Schluss, dass die Drei nunmehr als obdachlose Personen anzusehen sind und demgemäß der Bürgermeister des Wohnortes für ihre Unterbringung zuständig ist. Das Telefonat mit dem Bürgermeister ist kurz: „Was fällt ihnen ein, mich an Heiligabend im Kreise meiner Familie mit solchen Kinkerlitzchen zu belästigen. Sehen Sie selbst zu, wie sie die Personen unterbringen, und schicken sie die Rechnung an die Gemeindeverwaltung.“ Bokolic wünscht dem Herrn Bürgermeister und seiner Familie ein seinem mehr als arrogantem Verhalten entsprechendes Weihnachtsfest und beendet das Gespräch, nicht ohne den Bürgermeister außer Dienst auf die Regelungen des Allgemeinen Polizeirechts für solche Fälle hingewiesen zu haben. Bokolic überlegt nicht allzu lange. Die meisten Pensionen und Hotels haben im Vortaunussstädtchen über die Feiertage ihre Tore geschlossen oder sind restlos ausgebucht. Lediglich das Erste Hotel am Platze ist offen und wegen der höheren Preise auch nicht überbucht. Da Bokolic wegen seiner Mithilfe bei der Ergreifung zweier betrügerischer Zimmeranmieter in der Sommersaison beim Management noch einen Gefallen offen hat, versucht er sein Glück und ruft dort an. Die Rezeptionsdame ist hocherfreut und, nachdem Bokolic ihr die traurige Geschichte erzählt hat, tief gerührt. Sie erklärt Bokolic, er möge persönlich mit den Dreien vorbeikommen, denn in einer Stunde beginne ihre Weihnachtsfeier, die im Hotel wie in jedem Jahr mit den Gästen und der Dienst tuenden Belegschaft immer gemeinsam gefeiert werde. Eine Stunde später steht Bokolic, nachdem er sich bei seinem Dienstgruppenleiter für einige Zeit abgemeldet hat, in dem Speisesaal in seiner grünen Uniform, mit einer roten Zipfelmütze und einem weißen Rauschebart vor dem geschmückten Tannenbaum und verteilt mit einer persönlichen Ansprache, die er aus seinem großen Buch abliest, an jeden Gast die Weihnachtsgeschenke. Für die drei Obdachlosen sind dank einer Sammlung beim Personal und den Gästen besonders viele Geschenke auszugeben, darunter auch ein mit Geldscheinen prall gefülltes Kuvert. Wenig später ist Bokolic schon wieder unterwegs zu einem der wenigen an diesem Abend allesamt glimpflich verlaufenden Verkehrsunfälle. So ist es dank dem Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz und einem grünen Weihnachtsmann auch für die Drei zu einer friedlichen, glücklichen Weihnacht gekommen. Der Bürgermeister aber soll sich im Januar über eine gesalzene Rechnung des Hotels als verspätetes Weihnachtsgeschenk besonders geärgert

Die Garantenstellung

 

Wer, außer den Juristen, weiß, was eine Garantenstellung bedeutet. Herr Leisegang ist Oberstaatsanwalt bei der Abteilung für Verkehrsstrafsachen. Er hat es sich - gegen entsprechendes Honorar natürlich - zur Aufgabe gemacht, im Zuständigkeitsbereich seiner Amtsgewalt die Polizisten bei dem im Winter wöchentlich angesetzten Dienstunterricht in Verkehrsstrafrecht über Sachverhalte aufzuklären, die so kompliziert sind, dass sie nicht einmal von jedem Juristen verstanden werden. Lieblingsthema ist: „Die Garantenstellung des Halters eines Fahrzeuges im Straßenverkehr.“ Diese Garantenstellung besagt, dass der Halter sich vor Überlassen des Fahrzeugs an Dritte davon überzeugen muss, dass dieser Dritte im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis und fahrtüchtig ist. Hat er dies nicht getan, so ist er als Garant mitschuldig an den sich ergebenden Verkehrsdelikten. Bezüglich eines Beifahrers, so bekundet Oberstaatsanwalt Leisegang, sei dies in vergleichbarer Weise gegeben. Auch dieser sei, jedoch in eingeschränkter Weise in der Garantenstellung. Wir wollen uns die Einzelheiten solcher vielmals rein theoretischer Erörterungen sparen, weil sie für die allgemeine Praxis so gut wie keine Rolle spielen. Bokolic, nun schon Obermeister und in Vorbereitung auf den nächsten Lehrgang, lauscht den Ausführungen des als Polizistenfresser allgemein verschrienen Leisegang mit Aufmerksamkeit und bringt diesen sogar zweimal durch geschickte Konstruktion abseitiger rein hypothetischer Fälle zur Verzweiflung. Trotzdem ist der Unterricht in der angesetzten Zeit zu einem Ende gelangt. Dies ist nicht den Bemühungen Bokolic’s geschuldet, sondern vielmehr dem Interesse des Dozenten, der keine Minute länger als vorgesehen und bezahlt, referieren will. Wochen später ist eine der Nächte, in denen der Winter nicht mehr weiß, ob er oder der bereits herannahende Frühling das Zepter schwingen soll. Bokolic hat Nachtdienst. Er kennt diese Nächte aus den beiden Jahren zuvor. Sie sind aufreibend, weil man nie wissen kann, an welchen Stellen der Winter den angreifenden Frühling ins Bockshorn jagt und den Regen des Frühlings am Boden mit einem kalten Hauch zu spiegelndem Glatteis gefrieren lässt. Ein Blick auf den Kalender zeigt für diese Nacht noch weitere Unbill an. Dort zeigt die Mondabbildung ein volles und rundes breit lächelndes Mondgesicht. „Oh Gott, Georg, Freitag und Vollmond und Nachtschicht. Es fehlt nur noch, dass heute der Dreizehnte ist“; knurrt Bokolic mehr sich selbst als seinem alten Kollegen Georg zu. So kommt es, wie es in solchen Nächten kommen muss. Die ganze Nacht ist Hektik angesagt. Verkehrsunfälle, Kneipenschlägereien, Familienstreitigkeiten machen Bokolic und seinen Kollegen das Leben schwer. Gegen vier Uhr am Morgen steht für Bokolic und Georg, wie gewöhnlich die Frühstreife auf dem Programm. Sie fahren ihre Runde, im Kreisstädtchen beginnend, dann durch den Wald in Richtung der Vortaunusdörfchen. Im hohen Buchenwald, in einer scharfen Linkskurve der ansteigenden Straße sieht Georg, der ewige Beifahrer einen matten Lichtschein zwischen den Stämmen. Bokolic stellt in gebührendem Abstand hinter der Kurve den Streifenwagen ab, nicht ohne das Blaulicht einzuschalten. Beide klettern über das Laub, die Böschung hinunter und entdecken einen größeren Personenwagen mit eingeschalteten Scheinwerfern, dessen Seitensprung von der Straße von einer dicken Buche gestoppt wurde. Sie leuchten mit Handweitleuchten das Innere des Fahrzeugs aus und entdecken zwei männliche Personen angeschnallt auf den Vordersitzen. Beim Öffnen der Türen ist der Alkoholgeruch unverkennbar. Bis auf eine Beule am Kopf des Beifahrers sind keine äußeren Verletzungen zu erkennen. Beide Personen schnarchen friedlich vor sich hin. Georg steigt wieder hinauf zum Wagen, um die Rettungswache zu verständigen, während Bokolic sich um die Scheintoten kümmert. Die Feuerwehr zieht den verunglückten Personenwagen am frühen Morgen aus dem Wald. Der Notarzt konstatiert an Ort und Stelle nur leichte Verletzungen bei Fahrer und Beifahrer. Ein Krankenwagen bringt die beiden Verunglückten zur ärztlichen Versorgung und veranlassten Blutentnahme ins Krankenhaus. Kopfschüttelnd nimmt der diensthabende Arzt zur Kenntnis, dass auch beim Beifahrer eine Blutentnahme angeordnet ist. Bei Aufnahme aller Individualdaten der Verunglückten und des Fahrzeugs ist Bokolic gegen alle Gewohnheit heiter und beschwingt. Er lächelt, als die Verunglückten nach einer Belehrung umfassend von ihrem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machen. Er teilt den Beiden trocken mit, ihre Führerscheine werden trotz Widerspruchs einbehalten und mit den Akten dem zuständigen Ermittlungsrichter zur Entscheidung über die Beschlagnahme vorgelegt. Bokolic erläutert dem Beifahrer ohne, dass dieser ihn auffordert, ausführlich die mögliche Strafbarkeit bei einer Garantenstellung des Beifahrers. Danach telefoniert er mit mehreren Gaststättenbesitzern in dem naheliegenden Dörfchen, um später auf der Dienststelle zufrieden einen mehrseitigen Vermerk über diese Ermittlungen zu den Akten zu schreiben. Dies sollte der einzige Fall einer Garantenstellung eines Beifahrers im Straßenverkehr in Bokolic’s gesamter Laufbahn bleiben. Der Beifahrer hieß übrigens Leisegang und war von Beruf Staatsanwalt. Er hat nach diesem Vorfall bei der Polizei bei keinem Dienstunterricht mehr über die Garantenstellung referiert. Auch wurde er vom Verkehrsdezernat zu einem Dezernat versetzt, das mehr mit der Kriminalpolizei zu tun hatte. Ein Polizistenfresser war er schon allemal und brauchte somit keine weiteren Vorurteile mehr gegen diesen Berufsstand aufbauen.

 

Alkohol im Dienst?

 

Georg hat heute seine letzte Dienstschicht und gleichzeitig auch den allerletzten Nachtdienst. Knapp einen Monat vor Beginn seines wohlverdienten Ruhestandes ist sein Landkreiskommissariat als einundzwanzigster Polizeiabschnitt zu einem Anhängsel des großstädtischen Frankfurter Polizeipräsidiums geworden. Dies hat bisher außer vielen Nachteilen nur einen Vorteil für die Schutzleute und Landpomeranzen gebracht. Des Nachts macht eine Einsatzgruppe Frankfurter Ausbildungseinheiten den ländlichen Dienstbezirk unsicher. Begierig stürzen sich die jungen Beamten auf jede Einsatzmöglichkeit, die ihrem Gruppenführer vom Schichtleiter der Dienststelle oder vom Funksprecher Frank direkt angeboten wird. So können Bokolic und seine Kollegen in aller Gelassenheit in diesem, sowieso schon ruhigen, weil sonntäglichen Nachtdienst eine kleine Abschiedsfeier für Georg, den altgedienten Kollegen organisieren. Wie bei solchen Anlässen üblich hat dieser diverse kalte Häppchen zusammengestellt, sowie für die späteren Stunden vorsorglich einen großen Pott Gulaschsuppe geordert. Bokolic ist schon eine Weile in Georgs Fußstapfen getreten und Schichtleiter geworden. Da Bokolic’s Schicht sich, trotz allzeit einsatzbereiter Jungschar, nicht ganz vom dienstlichen Geschehen verabschieden können, ist neben Kaffee und diversen Säften als einziges alkoholisches Getränk der bodenständige „Äppelwoi“ zur Feier des Tages zugelassen. Selbstverständlich lädt Georg die Jungschar, nebst ihrem wichtigtuenden, Lametta betressten Ausbilder ein, an dem kleinen Imbiss teilzunehmen. Während die jungen Beamten kräftig bei den belegten Schnitten zulangen, betont der Ausbilder in korrekter Vorgesetzten- und mehr als sinnbildlicher Vorbildhaltung, dass Alkohol im Dienst selbstverständlich auch nicht in verdünnter Form von „Gespritztem“ - mit Sprudel versetztem Äppelwoi - für ihn und seine Truppe grundsätzlich und keinesfalls und niemals und überhaupt nicht infrage kommt. Keiner von Bokolic’s alten Schichthasen nimmt dies dem Frankfurter Schleifer übel. Alle, auch Georg lassen es bei dem von dem Goldbetressten für ihn und seine Mannen ausgesprochenen Verbot bewenden, was jedoch auch keinen der Stammschicht davon abhalten kann, von dem spendierten guten „Stöffche“ zu lassen. Für Schichtdienst Leistende ergeben sich schließlich sowieso nur wenige Gelegenheiten zu einer fröhlichen gemeinsamen Feier. Am nächsten Morgen fahren Bokolic und seine Kollegen satt, glücklich und zufrieden nach Hause. Im Wachbuch steht es dann auch schwarz auf weiß geschrieben: „Keine besonderen Vorkommnisse“. Sogar die Einsatzgruppe hat sich über die ruhige Nacht gefreut. Bokolic hat kaum sein müdes Haupt zur Ruhe gebettet, da reißt ihn ein hartnäckiges Klingeln aus dem wohlverdienten Schlaf. Vor der Tür steht ein junger Kollege der Frühschicht und fordert Bokolic grinsend auf, sich in Dienstgala zu werfen und unverzüglich zum Rapport beim Leiter des Abschnitts zu erscheinen. Bokolic weiß, dass solche Aufforderungen nichts Gutes bedeuten und dass man diesen schleunigst nachkommen muss. Also quält er sich erneut in seine Uniform und fährt mit dem Spund zur Dienststelle. Der Dienststellenleiter ist ein altgedienter Schutzmann, der bereits vor Jahren in seinem damaligen mittelhessischen Kommissariat den älteren Bruder Bokolic’s in die Geheimnisse bevölkerungsorientierter Betreuung eingeweiht hat. Er ist einer von der Sorte Vorgesetzte, die Ihren Beruf noch als Berufung ansehen, denen die lebensnahe Praxis mehr bedeutet als Paragrafenreitende Sesselfurzerei von Stabsbeamten. Mit kurzer Geste zwingt er Bokolic auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch und schlägt dann mit der flachen Hand auf das Bandgerät, das unter seiner Telefon- und Rundrufanlage installiert ist. Das Band springt leise surrend an und Bokolic vernimmt die Stimme des Ausbilders der Einsatzgruppe des gerade vergangenen Nachtdienstes. Dieser zitiert ausschweifend die Disziplinarordnung, danach mehrere entsprechende Ergänzungserlasse des Ministers des Innern und zu diesen wiederum die Ergänzungsverfügungen des Herrn Polizeipräsidenten. Die Stimme erhebt sich immer mehr, wird lauter und immer schriller, um zum guten Schluss in einem Stakkato zu enden, das nichts anderes besagt als „Verführung abhängiger Auszubildender zum Laster Alkohol, darüber hinaus Alkohol im Dienst, verboten, verwerflich, abscheulich, untragbar, unsagbar und unzumutbar. Die väterlich vertraute Haltung meines Chefs verändert sich im Laufe der sich steigernden Tiraden fast unmerklich, von stillem, mildem Lächeln zu schiefem, hüstelndem Grinsen bis hin zu prustendem breitem Lachen. Als das Band zu Ende gelaufen ist, hört Bokolic im Raum nur noch ein leises Klackern der sich weiter drehenden Tonbandspulen und einen Seufzer seines Vorgesetzten: „Nun denn mein Junge, wollen wir uns mal an eine passende Erwiderung machen. Vorher möchte ich aber wissen, wie viel Flaschen Äppelwoi ihr wirklich gesoffen habt heute Nacht“. Die Dienstliche Äußerung des jungen Bokolic, die dieser zusammen mit seinem Vorgesetzten auf die Anschuldigungen des Frankfurter Gruppenführers verfasst, ist, wie alle Dienstlichen Äußerungen Bokolic’s auf Beschwerden oder Dienstaufsichtsbeschwerden, kurz und bündig: Mir ist bekannt, dass der Genuss von alkoholischen Getränken im Dienst und in den Diensträumen grundsätzlich untersagt ist. Ausnahmen bedürfen laut Erlass eines begründeten Anlasses und der Genehmigung des Dienststellenleiters. Laut dem Erlass ist gegen den Genuss eines alkoholischen Getränkes, - wie ein Bier - O. Ä. -, anlässlich der Einnahme einer Hauptmahlzeit jedoch nichts einzuwenden. Die Beschwerde ist aus genannten Gründen unzutreffend und läuft ins Leere: In dem hier monierten Fall ist festzuhalten, dass als begründeter Anlass die Verabschiedung eines langjährigen Mitarbeiters der Dienst tuenden Schicht gegeben ist. Es liegt die Zustimmung des Dienststellenleiters vor, eine Form für die Beantragung oder Erteilung der Zustimmung wie z. B. die Schriftform, wird im Erlass nicht gefordert. Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, dass anlässlich der Einnahme des kalten Büffets, das im Verlauf der zwölf Stunden Nachtschicht die Einnahme einer Hauptmahlzeit ersetzt, von jedem der Beamten auch ein leicht alkoholisches Getränk – hier Äppelwoi – zu sich genommen wird. Alle fünf Kollegen der Dienstschicht werden bestätigen, dass in dieser Nachtschicht von den diensthabenden Beamten der Nachtschicht lediglich zwei Flaschen Apfelwein getrunken wurden und dies über den Zeitraum von zwölf Stunden verteilt. Von disziplinarisch zu ahndendem Alkoholgenuss kann ebenso wenig die Rede sein wie von Alkoholabusus. Der Beschwerdeführer ist auf die Wahrheits- und Sorgfaltspflicht bei Abfassung dienstlicher wie auch innerdienstlicher Schriftstücke hinzuweisen und gegebenenfalls zu belehren. Nachdem die Dienstliche Äußerung geschrieben ist, lässt sich der altgediente Dienststellenleiter von Bokolic die beiden leeren Äppelwoiflaschen zeigen. Wie er bereits bei der Abfassung der Dienstlichen Äußerung vermutet hat, handelt es sich keineswegs um normale Flaschen. Es sind vielmehr die bei den kelternden Bauern des Vortaunus üblichen Fünfliterkorbflaschen. Trotzdem gibt er sich mit Bokolic’s Äußerung zufrieden, nachdem er festgestellt hat, dass der Nachtdienst ordnungsgemäß und reibungslos, ohne Beanstandung über die Bühne gegangen ist. Lediglich sein erhobener Zeigefinger und eine saloppe Bemerkung bei der Kommissariats Besprechung lassen es seinen Untergebenen angeraten erscheinen, im Dienst nicht über die Stränge zu schlagen und die Grenzen des noch Erlaubten einzuhalten.

 

 

Stromverbrauch und Funkmissbrauch

 

Georg hat heute seine letzte Dienstschicht und gleichzeitig auch den allerletzten Nachtdienst. Knapp einen Monat vor Beginn seines wohlverdienten Ruhestandes ist sein Landkreiskommissariat als einundzwanzigster Polizeiabschnitt zu einem Anhängsel des großstädtischen Frankfurter Polizeipräsidiums geworden. Dies hat bisher außer vielen Nachteilen nur einen Vorteil für die Schutzleute und Landpomeranzen gebracht. Des Nachts macht eine Einsatzgruppe Frankfurter Ausbildungseinheiten den ländlichen Dienstbezirk unsicher. Begierig stürzen sich die jungen Beamten auf jede Einsatzmöglichkeit, die ihrem Gruppenführer vom Schichtleiter der Dienststelle oder vom Funksprecher Frank direkt angeboten wird. So können Bokolic und seine Kollegen in aller Gelassenheit in diesem, sowieso schon ruhigen, weil sonntäglichen Nachtdienst eine kleine Abschiedsfeier für Georg, den altgedienten Kollegen organisieren. Wie bei solchen Anlässen üblich hat dieser diverse kalte Häppchen zusammengestellt, sowie für die späteren Stunden vorsorglich einen großen Pott Gulaschsuppe geordert. Bokolic ist schon eine Weile in Georgs Fußstapfen getreten und Schichtleiter geworden. Da Bokolic’s Schicht sich, trotz allzeit einsatzbereiter Jungschar, nicht ganz vom dienstlichen Geschehen verabschieden können, ist neben Kaffee und diversen Säften als einziges alkoholisches Getränk der bodenständige „Äppelwoi“ zur Feier des Tages zugelassen. Selbstverständlich lädt Georg die Jungschar, nebst ihrem wichtigtuenden, Lametta betressten Ausbilder ein, an dem kleinen Imbiss teilzunehmen. Während die jungen Beamten kräftig bei den belegten Schnitten zulangen, betont der Ausbilder in korrekter Vorgesetzten- und mehr als sinnbildlicher Vorbildhaltung, dass Alkohol im Dienst selbstverständlich auch nicht in verdünnter Form von „Gespritztem“ - mit Sprudel versetztem Äppelwoi - für ihn und seine Truppe grundsätzlich und keinesfalls und niemals und überhaupt nicht infrage kommt. Keiner von Bokolic’s alten Schichthasen nimmt dies dem Frankfurter Schleifer übel. Alle, auch Georg lassen es bei dem von dem Goldbetressten für ihn und seine Mannen ausgesprochenen Verbot bewenden, was jedoch auch keinen der Stammschicht davon abhalten kann, von dem spendierten guten „Stöffche“ zu lassen. Für Schichtdienst Leistende ergeben sich schließlich sowieso nur wenige Gelegenheiten zu einer fröhlichen gemeinsamen Feier. Am nächsten Morgen fahren Bokolic und seine Kollegen satt, glücklich und zufrieden nach Hause. Im Wachbuch steht es dann auch schwarz auf weiß geschrieben: „Keine besonderen Vorkommnisse“. Sogar die Einsatzgruppe hat sich über die ruhige Nacht gefreut. Bokolic hat kaum sein müdes Haupt zur Ruhe gebettet, da reißt ihn ein hartnäckiges Klingeln aus dem wohlverdienten Schlaf. Vor der Tür steht ein junger Kollege der Frühschicht und fordert Bokolic grinsend auf, sich in Dienstgala zu werfen und unverzüglich zum Rapport beim Leiter des Abschnitts zu erscheinen. Bokolic weiß, dass solche Aufforderungen nichts Gutes bedeuten und dass man diesen schleunigst nachkommen muss. Also quält er sich erneut in seine Uniform und fährt mit dem Spund zur Dienststelle. Der Dienststellenleiter ist ein altgedienter Schutzmann, der bereits vor Jahren in seinem damaligen mittelhessischen Kommissariat den älteren Bruder Bokolic’s in die Geheimnisse bevölkerungsorientierter Betreuung eingeweiht hat. Er ist einer von der Sorte Vorgesetzte, die Ihren Beruf noch als Berufung ansehen, denen die lebensnahe Praxis mehr bedeutet als Paragrafenreitende Sesselfurzerei von Stabsbeamten. Mit kurzer Geste zwingt er Bokolic auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch und schlägt dann mit der flachen Hand auf das Bandgerät, das unter seiner Telefon- und Rundrufanlage installiert ist. Das Band springt leise surrend an und Bokolic vernimmt die Stimme des Ausbilders der Einsatzgruppe des gerade vergangenen Nachtdienstes. Dieser zitiert ausschweifend die Disziplinarordnung, danach mehrere entsprechende Ergänzungserlasse des Ministers des Innern und zu diesen wiederum die Ergänzungsverfügungen des Herrn Polizeipräsidenten. Die Stimme erhebt sich immer mehr, wird lauter und immer schriller, um zum guten Schluss in einem Stakkato zu enden, das nichts anderes besagt als „Verführung abhängiger Auszubildender zum Laster Alkohol, darüber hinaus Alkohol im Dienst, verboten, verwerflich, abscheulich, untragbar, unsagbar und unzumutbar. Die väterlich vertraute Haltung meines Chefs verändert sich im Laufe der sich steigernden Tiraden fast unmerklich, von stillem, mildem Lächeln zu schiefem, hüstelndem Grinsen bis hin zu prustendem breitem Lachen. Als das Band zu Ende gelaufen ist, hört Bokolic im Raum nur noch ein leises Klackern der sich weiter drehenden Tonbandspulen und einen Seufzer seines Vorgesetzten: „Nun denn mein Junge, wollen wir uns mal an eine passende Erwiderung machen. Vorher möchte ich aber wissen, wie viel Flaschen Äppelwoi ihr wirklich gesoffen habt heute Nacht“. Die Dienstliche Äußerung des jungen Bokolic, die dieser zusammen mit seinem Vorgesetzten auf die Anschuldigungen des Frankfurter Gruppenführers verfasst, ist, wie alle Dienstlichen Äußerungen Bokolic’s auf Beschwerden oder Dienstaufsichtsbeschwerden, kurz und bündig: Mir ist bekannt, dass der Genuss von alkoholischen Getränken im Dienst und in den Diensträumen grundsätzlich untersagt ist. Ausnahmen bedürfen laut Erlass eines begründeten Anlasses und der Genehmigung des Dienststellenleiters. Laut dem Erlass ist gegen den Genuss eines alkoholischen Getränkes, - wie ein Bier - O. Ä. -, anlässlich der Einnahme einer Hauptmahlzeit jedoch nichts einzuwenden. Die Beschwerde ist aus genannten Gründen unzutreffend und läuft ins Leere: In dem hier monierten Fall ist festzuhalten, dass als begründeter Anlass die Verabschiedung eines langjährigen Mitarbeiters der Dienst tuenden Schicht gegeben ist. Es liegt die Zustimmung des Dienststellenleiters vor, eine Form für die Beantragung oder Erteilung der Zustimmung wie z. B. die Schriftform, wird im Erlass nicht gefordert. Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, dass anlässlich der Einnahme des kalten Büffets, das im Verlauf der zwölf Stunden Nachtschicht die Einnahme einer Hauptmahlzeit ersetzt, von jedem der Beamten auch ein leicht alkoholisches Getränk – hier Äppelwoi – zu sich genommen wird. Alle fünf Kollegen der Dienstschicht werden bestätigen, dass in dieser Nachtschicht von den diensthabenden Beamten der Nachtschicht lediglich zwei Flaschen Apfelwein getrunken wurden und dies über den Zeitraum von zwölf Stunden verteilt. Von disziplinarisch zu ahndendem Alkoholgenuss kann ebenso wenig die Rede sein wie von Alkoholabusus. Der Beschwerdeführer ist auf die Wahrheits- und Sorgfaltspflicht bei Abfassung dienstlicher wie auch innerdienstlicher Schriftstücke hinzuweisen und gegebenenfalls zu belehren. Nachdem die Dienstliche Äußerung geschrieben ist, lässt sich der altgediente Dienststellenleiter von Bokolic die beiden leeren Äppelwoiflaschen zeigen. Wie er bereits bei der Abfassung der Dienstlichen Äußerung vermutet hat, handelt es sich keineswegs um normale Flaschen. Es sind vielmehr die bei den kelternden Bauern des Vortaunus üblichen Fünfliterkorbflaschen. Trotzdem gibt er sich mit Bokolic’s Äußerung zufrieden, nachdem er festgestellt hat, dass der Nachtdienst ordnungsgemäß und reibungslos, ohne Beanstandung über die Bühne gegangen ist. Lediglich sein erhobener Zeigefinger und eine saloppe Bemerkung bei der Kommissariats Besprechung lassen es seinen Untergebenen angeraten erscheinen, im Dienst nicht über die Stränge zu schlagen und die Grenzen des noch Erlaubten einzuhalten.

 

Die umgekehrte Verstaatlichung

 

Bereits lange vor der Verstaatlichung haben die Polizisten in den Landkreisen bei Abordnungen zur Unterstützung bei Großeinsätzen die Arbeitsbedingungen in einer überbürokratisierten Großstadtpolizei kennen gelernt. Nun ist die Verstaatlichung der vormals kommunalen Polizeien Frankfurts, Wiesbadens und anderer Städte Hessens vollzogen. In Frankfurt wie auch in Wiesbaden selbst hat sich bislang nicht viel verändert. Lediglich im Landkreis zwischen Frankfurt und Wiesbaden sind größere Veränderungen eingetreten. Die östlichen Vorortgemeinden von Wiesbaden stehen nun vor der Eingemeindung, die kommunale Polizei Wiesbadens ist nunmehr auch für die ländlichen Gemeinden in ihrem neuen Einzugsbereich zuständig. Bokolic’s Kommissariat, früher für die gesamten Gemeinden des Landkreises zwischen Wiesbaden und Frankfurt, bis zum Gipfel des Feldberges zuständig, wird nun zu einem hinterwäldlerischen Anhängsel des Polizeipräsidiums Frankfurt. Es werden keineswegs die Arbeitsweisen und Strukturen der staatlichen Polizei endlich auch in Frankfurt eingeführt. Nein die gehassten bürokratischen Strukturen und Arbeitsweisen der ehemals kommunalen Großstadtpolizei sollen schlagartig nun auch im ländlichen Raum gelten. Bald schon wenden sich die meisten Beamte der Schutzpolizei mit Grausen von ihrer Entmündigung und der Entwertung ihrer Arbeit ab. Ein Teil von ihnen, darunter auch Bokolic, versucht so schnell als irgend möglich durch Bewerbungen auf andere Dienstposten bei anderen Dienststellen der Frankfurter Entmündigung zu entgehen. Bis diese Bestrebungen von Erfolg gekrönt sind, vergeht jedoch eine gewisse Zeit, in der Beamte aus schierer Verzweiflung die Auswüchse der Bürokratie mit List zu unterlaufen versuchen. So gibt es unzählige Beispiele, wie sich die an selbstständiges Arbeiten gewöhnten Landespolizisten der sie bevormundenden Bürokratie erwehren.

 Bokolic hat Frühschicht. Diese beginnt um sechs Uhr in der Frühe, wenn auch der Berufsverkehr einsetzt, und die Pendler aus Vortaunusgemeinden sich über Landstraßen auf den Weg machen Richtung Rhein-Main-Schnellweg, um dann zu ihren Arbeitsstätten in den Großstädten Mainz, Wiesbaden und Frankfurt zu gelangen. Das Wetter ist regnerisch, die Landstraßen sind glitschig vom gefallenen Herbstlaub der Obstbäume am Wegesrand. Die Leitzentrale der Rettungsdienste meldet telefonisch: 06.15 Uhr, Unfall mit mehreren Verletzten an der Kreuzung der Bundesstraße 07 mit der Landestraße 007. Notarztwagen im Einsatz, Rettungshubschrauber Christoph im Anflug, Feuerwehr verständigt, da Benzin ausläuft. Uwe und Bokolic haben trotz Blaulicht und Martinshorn Mühe, sich mit dem VW-Bus, der als Unfallaufnahmewagen dient, durch die zurückstauenden Fahrzeuge einen Weg bis zur Unfallstelle freizumachen. Bereits jetzt ist klar abzusehen, dass spätestens in einer Viertelstunde auf beiden Straßen nichts mehr geht. Bokolic gibt wie von früher gewohnt nach Lageklärung folgende Meldung an seinen Schichtleiter, Frank 21, durch: hier Frank 2140 an der Unfallstelle. Beteiligt sind ein Pkw und ein Kombi. Bei dem Kombi handelt es sich um ein jugoslawisches Fahrzeug mit jugoslawischem Fahrer. Ein Beifahrer ist schwer verletzt, die beiden Fahrer leicht verletzt. Schwerverletzter wird derzeit von Christopher ins Unfallkrankenhaus verbracht. Die Fahrer werden nach Erstversorgung ins Kreiskrankenhaus verbracht. Die Unfallstelle ist abgesichert, ausgetretenes Benzin wird von der Feuerwehr abgestreut. Beide Fahrzeuge sind nicht mehr fahrbereit, daher benötigen wir zweimal Abschleppdienst. Bei dem Fahrer des Pkw besteht der Verdacht auf Trunkenheit. Veranlassen sie Blutentnahme im Kreiskrankenhaus. Bei dem Jugoslawen liegt Vorfahrtverletzung vor. Sicherheitsleistung wird von hier veranlasst. Erbitte eine Verkehrswarndurchsage mit Staumeldung für den Bereich. Hier geht nichts mehr. Großräumige Umfahrung wie gehabt veranlassen. Nach Unfallaufnahme erfolgt neue Meldung. Danach beginnen Uwe und Bokolic wie gewohnt mit der Unfallaufnahme. Diese wird nach kurzer Zeit durch die plärrende Stimme des Funksprechers der Leitstelle im Außenlautsprecher unterbrochen, der ungeduldig nach Frank 2140 verlangt. Bokolic geht zum Wagen, der mit eingeschaltetem Blaulicht die Unfallstelle absichert, schaltet den Funk auf Mikroempfang und spricht die Leitstelle an. Der Funksprecher der Leitstelle verbindet zum Einsatzleiter und dieser gibt dem verdutzten Bokolic über Funk folgende strikt und unter allen Umständen zu beachtende Anweisungen durch: Für die Anordnung einer solchen Verkehrsdurchsage ist im Bereich des PP Frankfurt ausschließlich der Leiter des Lagedienstes oder des Verkehrsunfallkommandos befugt, daher ist die vom örtlichen Schichtleiter veranlasste Durchsage widerrufen worden. Die Festsetzungen einer Kautionshöhe bei Verkehrsvergehen ausländischer Kraftfahrzeugführer ist im Bereich des PP Frankfurt Beamten des höheren Dienstes vorbehalten. Es ist daher das Eintreffen des entsprechend angeforderten höheren Beamten des Verkehrsdienstes abzuwarten. Zur eigentlichen Unfallaufnahme ist unbedingt das Eintreffen des Verkehrsunfallkommandos abzuwarten, das Unfälle mit Schwerverletzten und Toten aufnimmt. Daher ist die Unfallstelle lediglich abzusichern, die Daten Beteiligter sind auf dem in Frankfurt üblichen Erstberichtsbogen festzuhalten. Bokolic hat nach der ersten Anordnung geistig bereits abgeschaltet, drückt nach Beendigung der Ansage die Sprechtaste und gibt mehrmals mit quäkenden und knatternden Nebengeräuschen aus seiner Kehle folgenden Spruch durch: Hier Frank 2140, grrrrrrrr hier Frank 214 ggrqaaarrr, kann sie nicht aufnehmen, bitte wieder raquarr holen sie Frank bi rrrtuquarr te wied arrrr erho quarr len sie brummquarrrrrr. Melde mich wieder brumm, wenn Unfallauf quarr, nahme abgeschlossen. Dann schaltet Bokolic sein Funkgerät auf Oberband, spricht den Schichtleiter wie früher direkt an, wenn der Funksprecher Wiesbaden nicht mithören sollte, und nach kurzer Instruktion schaltet er den Funk ganz ab. Danach begibt er sich wieder zu seinem Kollegen und die beiden beenden in aller Ruhe die Unfallaufnahme, lassen die Unfallstelle räumen und sehen danach zu, dass der Stau, der sich zwischenzeitlich gebildet hat, sich so schnell als möglich auflöst. Gegen 09.30 h trifft dann das Verkehrsunfallkommando Frankfurt mit einem höheren Beamten an Bord ein. Er will die Kaution nach Frankfurter Spielregeln festsetzen. Bokolic bedeutet ihm, er habe zur Höhe der Kaution hier überhaupt nichts zu sagen, da die Unfallstelle im Bereich der Staatsanwaltschaft Wiesbaden liege und für solche Fälle das zuständige Wiesbadener Verkehrsdezernat einen verbindlichen Katalog herausgegeben habe. Außerdem sei er überhaupt nicht anordnungsbefugt, da er als Leiter der Verkehrsunfallbereitschaft nicht mehr Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft sei. Die Beamten des Kommandos grinsen hierbei vielsagend hinter vorgehaltener Hand. Sie sind froh, dass die Arbeit für sie bereits erledigt ist. Verwundert nehmen sie dann jedoch zur Kenntnis, dass Bokolic gar nicht daran denkt, ihnen den Vorgang zu übergeben. Er bedeutet, dass bei Vorgangsübernahme die sonst noch anstehenden Sofortsachen im Zusammenhang mit diesem Vorgang vom Unfallkommando durchgeführt werden müssten. Das wollen die Frankfurter Beamten jedoch vermeiden. So kommt es dazu, dass Bokolic zwei Stunden später mit Uwe im Kreiskrankenhaus, aufgrund der eindeutigen Verfärbung des Pusteröhrchens, wie auch aufgrund des protokollierten Ausgangs der ärztlichen Tests, im Vorgriff auf das zu erwartende Ergebnis der Blutentnahme, den Führerschein des offensichtlich alkoholisierten Pkw Fahrers sicherstellt, und diesen nach ärztlicher Versorgung zur Sache vernimmt. Danach begeben sie sich zur Dienststelle, erstatten Bericht und fertigen die Unfallanzeige, die wegen der Sicherstellung des Führerscheins als Sofortsache behandelt wird. Kaum haben sie ihre Arbeit beendet, da steht der Schichtleiter grinsend in der Tür und deutet auf den neben ihm stehenden höheren Beamten aus Frankfurt, der nach ausführlicher Rücksprache mit dem Einsatzleiter nun beschwerdeführend auftritt. Bokolic schreibt zu dessen Beschwerde einen kleinen Dreizeiler, in dem lediglich aufgeführt wird: Verkehrsdurchsagen sind laut Erlass des Ministers durch die Beamten vor Ort zu veranlassen - Beweis: beigefügte Erlasskopie. Im Bereich der Staatsanwaltschaft Wiesbaden ist die Höhe und Festsetzung einer Kaution durch Verfügung abschließend geregelt - Beweis Rundverfügung der Staatsanwaltschaft Wiesbaden in Kopie. Eine Anordnung über die ausschließliche Zuständigkeit des Verkehrsunfallkommandos Frankfurt für den Bereich des Landkreises oder Teilen davon ist bisher nicht ergangen, die von dem Beschwerde führenden Beamten angeführte Funkdurchsage nicht angekommen und nicht quittiert worden – zum Beweis ist die Aufzeichnung des Funkverkehrs auf dem entsprechenden Funkkreis für den heutigen Vormittag beizuziehen. Nach Kenntnisnahme der Dienstlichen Äußerung des Bokolic zu seiner Beschwerde verlässt der höhere Beamte aus Frankfurt Hufe scharrend die Dienststelle, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Sofortsache gemäß Anordnung des Polizeipräsidenten Nr. 0007 vom xten Tag des xten Monats dieses Jahres unmittelbar und am gleichen Tag der Staatsanwaltschaft vorzulegen ist. Neugierig geworden, lässt Bokolic sofort die angeführte Anordnung vom Geschäftszimmer heraussuchen. Und siehe da, schon wieder einmal hat er den Frankfurter Schimmelreiter auf seinem Amtsschimmel ertappt. Da steht von seinem neuen Obersten Dienstherren abgezeichnet, dass Verkehrssachen mit Sicherstellung oder Beschlagnahmung am gleichen Tage per Kurier unmittelbar dem Bereitschaftsdienst bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft vorzulegen sind. Nachdem die Sache intern ausgiebig besprochen ist, ruft der Schichtleiter erneut den Einsatzleiter der Schutzpolizei in Frankfurt an und fragt treuherzig an, ob diese Anordnung in allen Einzelheiten auch für die neu dem PP Frankfurt zugeschlagen Landkreisteile gelten. Der Einsatzleiter, der, wie alle Bürohengste, lediglich in Einbahnstraßen denken gelernt hat, geht davon aus, dass die neuen Kollegen vom platten Land lediglich an ihre Bequemlichkeit denken und den Weg zur Staatsanwaltschaft in Frankfurt scheuen. Also bestätigt er militärisch: Alle Anordnungen sind auf Punkt und Komma buchstabengetreu auch von ihnen zu befolgen. Sie brauchen sich nicht den Kopf über einzelne Punkte zu zerbrechen, dafür hat doch unser gemeinsamer Polizeipräsident ja seinen Stab und seine Einsatzleitung. Die denkt schon an alles. „Denkste“: Sagt Bokolic, übergibt den gefertigten Vorgang mit Anschreiben und mitsamt sichergestelltem Führerschein seinem Kollegen und lässt ihn in buchstabengetreuer Befolgung dieser Anweisung zur unzuständigen Staatsanwaltschaft nach Frankfurt bringen. Nicht ohne Hintergedanken schreibt er zusätzlich eine Abgabenachricht an die zuständige Staatsanwaltschaft Wiesbaden und teilt unter Beifügen einer Kopie der Unfallanzeige dieser mit, er habe nach ausdrücklicher Remonstration, gemäß Anordnung seines zweitobersten Dienstherren des Polizeipräsidenten in Frankfurt und nach Bestätigung dieser Anordnung durch den diensthabenden Einsatzleiter der Schutzpolizei Frankfurt den Vorgang einschließlich des in Verwahrung genommenen Asservates an die aufgrund des Unfallortes unzuständige Staatsanwaltschaft Frankfurt als Sofortsache abgeben müssen. Die Justiz in Wiesbaden reagiert auf den Affront gegen ihre Zuständigkeit sofort und mehr als nur ungehalten. Vor allen Dingen aber, weil der Rechtsanwalt des von der Sicherstellung des Führerscheins betroffenen Mandanten gegen die Sicherstellung Einspruch bei der zuständigen Behörde in Wiesbaden einlegt und dieser Einspruch wegen des Fehlens der Akte und des Asservats nicht fristgerecht binnen drei Tagen beschieden werden kann. Nach etlichen Wochen ist der Polizeipräsident nicht mehr so sehr am Verbleib des Bokolic im Bereich des Polizeipräsidiums Frankfurt interessiert. Er stimmt mit tiefem Bedauern der beantragten Versetzung zum Hessischen Landeskriminalamt freudig zu, obwohl die Stabsabteilung Wochen zuvor noch jeden Antrag um Versetzung aus dienstlichen Gründen als unmöglich ablehnt.