Erna und der große Knall

 

 

Erna heißt Sie. Sommersprossig, rothaarig und grobknochig ist sie. Ein weibliches Füllen von fünfzehn Jahren, besucht sie das Mädchenlyzeum. Sie kommt aus einer der kleinen Gemeinden im Umland von Neunkirchen und ist Fahrschülerin wie ich. Kein Mensch weiß, wie so etwas passiert, ich habe Sie zwei dreimal zusammen mit ihren Mitschülerinnen auf dem Schulweg gesehen und schon ist es um mich geschehen. Ich glaube und ich fühle: ich bin unsterblich in Sie verliebt. Ich himmele Sie an. Seit Wochen kreist mein ganzes Denken nur um Erna, ihre langen feuerroten Haare, ihre Sommersprossen und ,und .... . Dabei nimmt Sie überhaupt keine Notiz von mir. Ich bin Luft für Sie, nein weniger als das: ich existiere überhaupt nicht für Sie. Da helfen keine kleinen Sträuße, keine noch so wonneseligen Gedichte von mir, die ihr heimlich über mitleidig lächelnde Freundinnen zugesteckt werden, keine Grimassen und keine noch so gut inszenierten Raufereien mit anschließenden Imponiergehabe. Sie hat noch nicht einmal ein verlegenes Kichern für mich und meine Anstrengungen übrig, nur ein verächtliches „Phhh“ mit hochgezogenen Augenbrauen. Das ist niederträchtig und gemein, wo ich doch so unsterblich verliebt bin. Dies fordert eine neue, unerhörte und noch nie da gewesene Aktion heraus. Mein Chemiekasten gibt dezente und verklausulierte Anleitungen für diesen Fall. Kaliumchlorat besorge ich in der Drogerie, mit der Ausrede, es für den Chemieunterricht zu benötigen. Zucker wird in entsprechender Menge aus dem familiären Vorratslager abgezweigt. Den Rest der Zutaten tausche ich gegen sonst so begehrte nun aber als überflüssig erachtete Sammelobjekte bei den Klassenkameraden. Gegen die kläglichen Reste meines Taschengeldes schneidet in der dörflichen Schmiede ein gleichaltriger Lehrling nach meinen Vorgaben mehrere ellenlange Stücke großkalibrigen Wasserohrs ab. An den Enden versieht er diese mit Innengewinde. Ein Ende wird jeweils gleich mit einem gehanften Abschlussstopfen versehen. Der andere Abschlussstopfen wird mit einer Bohrung versehen und ebenfalls mit Hanf umwickelt. Danach schneidet er mir noch die Fassungen aus etlichen alten Taschenlampen und lötet jeweils an die beiden Pole Schießdrähte, die eine ausreichende Länge von zwanzig Metern haben. Ich versehe derweil die so präparierten Fassungen mit Glühbirnchen, von denen ich vorher die Glasumhüllung abschlage, dabei sorgfältig darauf achtend, dass die Glühwendel keinen Schaden nehmen. Danach mische ich nach den Angaben aus meiner Literatur im vorgegebenen Verhältnis Zucker mit Unkrautex, Kaliumchlorat, und den übrigen Zutaten, fülle die Rohre zur Hälfte, stecke die Fassungen mit den präparierten Glühbirnen hinein, fülle weiter mit dem weißen Pulver bis zum Gewindeansatz auf, ziehe durch die mittige Bohrung der Stopfen den Schießdraht und verschließe die Rohre mit diesen Stopfen durch Eindrehen derselben endgültig. In einer Sandkuhle am Alsbach probiere ich am Abend Funktion und Wirkung meiner Erfindung aus, indem ich, hinter einem Erdwall in Deckung, die Pole einer Taschenlampenbatterie gegen die Enden der Schießdrähte drücke. Sowohl Geräusch als auch Sandfontäne überzeugen mich von der beeindruckenden Wirkung der Erfindung. Am nächsten Mittwochvormittag wird der große Versuch gestartet, die Angebetete doch noch zu gewinnen und von meinen Qualitäten zu überzeugen. Zum Schauplatz der Demonstration habe ich den von beiden Schulen genutzten Sportplatz auserkoren. In den letzten beiden Schulstunden des Mittwochs hat nämlich die Klasse meiner Angebeteten Sportunterricht. Bei anhaltend schönem Wetter wird dieser Unterricht sicherlich auf dem Sportplatz ausgetragen. Meinen in dieser Zeit anstehenden Lateinunterricht lasse ich durch Vortäuschen irrer Kopfschmerzen platzen. So aufgeregt und blass wie ich bin, glaubt mir diese Ausrede selbst mein Lateinlehrer. Zur Vorbereitung fahre ich an diesem Morgen einen Zug früher als sonst zur Schule. Den Platz für meine Demonstration habe ich sorgfältig ausgewählt. Es ist ein hohler Baumstamm, der dort nach dem Fällen mehrerer Bäume liegen geblieben ist, und uns in den Pausen zwischen den Sportstunden öfter als Sitzplatz dient. Die Rohrbombe verstecke ich in der Mitte der Höhlung, den Schießdraht führe ich durch das Gras bis hinter eine Brombeerhecke. Die Stunde der Demonstration meines wahren Könnens rückt näher. Hinter der Brombeerhecke verborgen sehe ich die kichernden und prustenden Mädchen unter den gestrengen Augen ihrer Lehrerin im leichten Trab den Pfad vom Lyzeum zum Sportplatz herab kommen. Sie versammeln sich in der Mitte des Sportplatzes. Gerade als die Turnlehrerin gebieterisch “Aufstellung“ gerufen hat und die Mädchen sich in einer Reihe, Gesicht zum Lyzeum und der Brombeerhecke berappeln, drücke ich die zwei Drahtenden gegen die beiden Pole der Batterie. Mit lautem Knall zerbirst der ganze Baumstamm. Holzsplitter segeln über den Platz, eine Qualm- und Staubfontäne steigt in die Luft. Die Mädchen kreischen schrill durcheinander und die gestrenge ältliche Lehrerin sinkt seufzend zu Boden, wo sie, wie ich zu ahnen glaube, eine wohltuende Ohnmacht überkommt. Ich springe auf, stürze hinter der Hecke hervor und veranstalte vor den Augen der ganzen Mädchenklasse und meiner Angebeteten einen Siegestanz. Vom Lärm der Detonation und dem hysterischen Gekreische der Mädchen aufgeschreckt eilen von beiden Schulhügeln besorgte Erzieher zum Sportplatz herab. Mir bleibt daraufhin nur ein taktischer Rückzug zum Tal übrig, von wo ich mich in Richtung Bahnhof verkrümele. Das Ende vom Lied: Ich bekomme einen ernsten Tadel, mit dem Hinweis, dass ein weiterer Vorfall dieser Art unweigerlich zur Relegation führen wird; meinem Chemielehrer muss ich anhand der übrigen Rohrenden die Demonstration meines Könnens bei einer Nachsitzrunde vorführen und bekomme zumindest dafür eine gute Note; meine Mutter bekommt Gott sei Dank keinen blauen Brief; meine Angebetete straft mich immer noch mit Verachtung; von der Liebe und dem anderen Geschlecht will ich längere Zeit nichts mehr wissen und stürze mich in andere Abenteuer.