Bukowina, Banat, Siebenbürgen, Spiegelbild einer wahrhaft europäischen Kultur, vieldeutig, vielschichtig, für den in der Geschichte dieser Gebiete bis dahin nicht bewanderten Ermittler. Bewohnt von einer Vielzahl ethnischer Minderheiten, geprägt durch immer wieder wechselnde Staatszugehörigkeiten. Mühsam sind die Ermittlungen, die sich auf alte und widersprüchliche Urkunden der vor dem Ceausescu Regime Geflüchteten beziehen. Die von den Ermittlungen betroffenen Menschen sind hingegen durchaus liebenswürdig und zeigen dem Ermittler eine ungewohnte Gastlichkeit, wie sie diesem weder davor noch danach jemals wieder widerfahren sollte.
Kurz, nachdem Bokolic zur absonderlichen Soko gekommen ist, eröffnet ihm Ruppert, der bisher das Geschäftszimmer geleitet hat, dass er gedenkt, den neu eingerichteten Lehrgang für altgediente Beamte des mittleren Dienstes zu besuchen, um danach Kommissar werden zu können. Er übergibt in den nächsten Wochen an Bokolic eine Vielzahl von Vorgängen und weiht ihn in die Besonderheiten der Soko ein. Zuerst macht er ihn mit den höchstrichterlichen Urteilen vertraut, die nichts Anderes besagen, als dass die jahrelang gehegte Rechtsauffassung des Staatsanwaltes vom BGH verworfen wurde und nun in einer Vielzahl von Fällen mit einer Ablehnung der Anklagen zu rechnen ist. Kurz vor seinem Abschied gelingt es Ruppert jedoch den Staatsanwalt zu bewegen, endlich konkrete Ermittlungsschritte gegen die Rechtsanwälte einzuleiten, die nach bisherigem Erkenntnisstand verdächtig sind, falsche Zeugenaussagen herbeigeführt zu haben und Sachbearbeiter in Behörden mit Bakschisch geschmiert zu haben. Einer dieser Anwälte ist Herr Baikalsee, der nach vorliegenden Unterlagen in einem Fall die Zeugenaussage eines in Südamerika lebenden Rumänen eigenhändig ohne dessen Zutun aufgesetzt und diesem zur Unterschrift vorgelegt hat. Auf polizeiliche Vorladung erscheint jedoch nicht Herr, sondern Frau Baikalsee und bittet um ein Gespräch. Frau Baikalsee ist eine dezent gekleidete Dame in den Sechzigern, äußerst redegewandt und offensichtlich um Gut Wetter bemüht. Sie legt als Erstes ein Attest vor, dass das Erscheinen des Herrn Rechtsanwalts in weite Ferne rücken lässt. Danach gibt sie zu verstehen, dass sie mit allen Ermittlungen der Soko vertraut ist, ohne jedoch in irgendeiner Art ihre Erkenntnisquellen preiszugeben. Danach geht sie sofort in die Vorwärtsverteidigung, indem sie zuerst anschiebt, dass die gegen Ihren Mann, den Herrn Rechtsanwalt, erhobenen Vorwürfe doch offensichtlich verjährt sind, um danach, sollte dies in dem einen oder anderen Punkt nicht zutreffen eine umfassende Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden in allen Fällen zuzusagen, die ihr bekannt sind oder von denen sie auch nur annehmen kann, dass sie Ermittlungen der Behörden rechtfertigen könnten. Auf konkrete Nachfragen weicht sie geschickt aus. Sie habe die Vermutung, dass einige der Mandanten nicht ganz die Wahrheit gesagt haben, auch seien ihr verdächtige Urkunden und Schriftstücke aufgefallen. Sie habe sich als Bürovorsteherin jedoch immer abgesichert und, auch um ihren Mann, den Herrn Rechtsanwalt zu schützen, darauf bestanden Mandantenaussagen und Vermerke zu den Handakten zu nehmen. Einer, der mehreren ihrer Mandanten rumänische Urkunden besorgt habe, sei ein gewisser Tadelmann. Diese Urkunden zeigen alle Siegel, die zumindest teilweise nicht in der Zeit ihrer angeblichen Ausstellung von den Behörden benutzt wurden. Dann setzt sie noch eins obendrauf. Gerne legt sie die entsprechenden Mandantenakten vor, wenn und soweit ein richterlicher Beschluss vorgelegt wird. Daraufhin werden von Ruppert und Bokolic ihre Aussagen protokolliert und dieses Protokoll dem Staatsanwalt und später mit dessen Antrag dem Ermittlungsrichter vorgelegt. Gleichzeitig bemüht sich Bokolic den Tadelmann zu identifizieren, was mithilfe eines Dolmetschers gelingt, der eine Vielzahl von rumänischen Urkunden für Mandanten des Büros Baikalsee übersetzt hat. Knapp zwei Wochen danach liegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse sowohl für die Praxis Baikalsee als auch für die Wohnung Tadelmanns vor.
Bokolic hat nie zuvor und nie danach von einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion in einer Rechtsanwaltskanzlei gehört, die sich ausschließlich auf Mandantenakten bezog, die zuvor von der Büroleiterin der Kanzlei nach Verdachtsgründen aussortiert werden. Und doch ist es so. An einem frühen Montagmorgen suchen Bokolic und sein Kollege Günter Frau Baikalsee zuhause auf und legen dem etwas unpässlichen Rechtsanwalt die richterlichen Beschlüsse vor. Dieser nimmt dieselben kurz zur Kenntnis, übergibt ein bereits ausgefertigtes Schriftstück, in dem er die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft uneingeschränkt zusichert, und seiner Ehefrau und Bürovorsteherin Vollmacht erteilt, die im Beschluss pauschal benannten Akten auszuhändigen. Im Gegensatz zur üblichen Praxis hat es der Staatsanwalt vorgezogen mit weiteren Beamten der SOKO zur Durchsuchung bei Tadelmann anzureisen und überlässt Bokolic und seinem Kollegen Günter den heiklen Part der Kanzlei-Durchsuchung. Auf einem übergroßen Schreibtisch hat Frau Baikalsee dreihundertachtundneunzig Mandanten-Akten aussortiert und in alphabetischer Namensabfolge ausgelegt. Während Bokolic die anderen Akten in Hängeregistratur stichprobenartig überprüft, macht sich Günter daran die auf dem Tisch liegenden Akten im Sicherstellungsprotokoll aufzulisten. Kurze Zeit später kommt Bokolic mit Frau Baikalsee dazu, die Bokolic zu jeder einzelnen Akte in sein Memocord eine Begründung diktiert, warum und wieso der Verdacht bestehen könnte, dass möglicherweise in diesem besonderen Fall der Mandant unrichtige Angaben oder einer der Zeugen eine Gefälligkeitsaussage gemacht hat oder eine vorgelegte Urkunden widersprüchlich, möglicherweise auch falsch sein könnten. Hierbei ist sie immer bemüht sowohl Gefahren für sich und den Gemahl und Rechtsanwalt aus dem Wege zu gehen, ohne irgendwie in den Geruch des Parteienverrats zu gelangen. Auf die handschriftlichen Kürzel auf verschiedenen Aktendeckeln angesprochen, erläutert sie diese wie folgt: Die Mandanten werden bei gewissen Verdachtsgründen belehrt und geben alle entsprechende Erklärungen ab, die sie unterschriftlich bestätigen Diese befinden sich bei den als möglicherweise problematisch erkannten Schriftstücken. Auf den Aktendeckeln habe sie dies nur für unsere Kanzlei mit Kürzeln vermerkt. So steht „SP“ für möglichen Verdacht auf Spionage bei Mandanten, deren Urkunden durch die als Spionagezentrale der Securitate bekannte Rumänische Botschaft in Paris überbeglaubigt wurden. Dies betrifft vor allem Ingenieure und Mediziner, die als ehemalige Kontraktarbeiter über Staaten des Nahen Ostens wie Algerien in die Bundesrepublik kommen. „FU“ steht für eine oder mehrere mögliche Falschurkunden, wenn diese widersprüchlich sind oder Ausstellungsmodalitäten unklar sind; „FA“ steht für widersprüchliche, möglicherweise auch falsche Angaben des Mandanten; „FZ“ betrifft unglaubwürdige Aussagen von Zeugen. So erläutert sie ein Kürzel nach dem anderen und weist Bokolic, der genau wie Günter als Kriminalbeamter lediglich zu einer Grobsichtung solcher Akten befugt ist, auf die von ihr eingelegten Reiter hin. Eine Akte nach der anderen wandert nach dem Diktat der Beschlagnahmebegründung und dem Eintrag in das Sicherstellungsprotokoll in einen Karton, der nach drei Stunden im Beisein von Frau Baikalsee versiegelt wird. Dann werden noch der Terminkalender der Frau Bürovorsteherin, Notizbücher und Mandantenquittungen kopiert und nach Unterschrift des Sicherstellungsprotokolls ist die Aktion zu Ende. Bokolic und Günter schleppen den Karton mit den sichergestellten Handakten zu Ihrem Dienstwagen und verabschieden sich von Frau Baikalsee.
Da Bokolic auch als zukünftiger Sachbearbeiter im Verfahren Tadelmann eingetragen ist, erkundigt er sich nach Abschluss der Durchsuchung Baikalsee nach dem Stand der Dinge bei der Durchsuchung Tadelmann. Der Staatsanwalt gibt am Telefon nur durch, man habe, bis auf die persönlichen Urkunden Tadelmann´s, bisher keine belastenden Schriftstücke oder Fälschungsutensilien gefunden. Daraufhin fährt er zum Ort der Durchsuchung. Er findet im Wohnzimmer einträchtig auf dem Sofa in einer Ecke seinen Staatsanwalt, in der anderen den Dolmetscher, und dazwischen ein nervös mit den Augen zwinkerndes, händereibendes kleines Männchen mit schütterem Haarkranz, das ihm als Betroffener der Durchsuchung, nämlich als Herr Arcadie Tadelmann vorgestellt wird. Gegenüber sitzt in dem einen Sessel eine aufgelöste weinende Frau Tadelmann und daneben in dem anderen Sessel Liebling, Bokolic’s SOKO Leiter. Kollege Heinz Wiesel kehrt gerade aus dem Kinderzimmer zurück und erklärt, ergebnislos die Durchsuchung dort beendet zu haben. Zwei weitere Kollegen wühlen in den Schränken des Tadelmann´schen Schlafgemachs, Helmuth schraubt im Badezimmer an dem Revisionsverschluss der Badewanne und der vom Staatsschutz hinzugezogene Experte versichert, die auf dem Couchtisch ausgebreiteten rumänischen Urkunden seien allesamt echt. Bokolic kennt die Schwachstellen seiner Kollegen. Er verkündet unter dem Schmunzeln seiner Kollegen, er wolle sich nochmals gründlich im Kinderzimmer umsehen, da dort von Heinz Wiesel eine Schreibmaschine mit rumänischen Schrifttypen geortet wurde. Was aber hat eine solche in einem Kinderzimmer verloren, wenn nicht zum Urkundenfälschen? Günter folgt Bokolic und flüstert ihm heimlich zu, er möge doch Liebling eins auswischen, denn nach Feststellungen von Helmuth liege auf dem Wohnzimmerschrank eine Waffe, die Liebling bei der Durchsuchung wohl übersehen habe. Zuerst schauen sich die Beiden im Kinderzimmer um. Auf dem Schreibtisch vor dem Fenster steht die besagte Schreibmaschine, daneben ein Stapel Papier, das es in solch schwerer Qualität äußerst selten in Deutschland gibt. Bokolic wendet sich um und sieht auf dem zweitürigen Kleiderschrank den Zipfel einer Plastiktüte. Er greift sich die Plastiktüte und schon purzeln Stempel, Stempelkissen, Tusche und Federn auf den Boden. Sie sammeln dies alles wieder auf, legen es mitsamt der Tüte, in der sich noch diverse Schriftstücke befinden, wieder an den Fundort zurück und beratschlagen kurz, wie sie den allzu leichtfertigen Kollegen Wiesel bestrafen wollen. Günter hat eine zündende Idee. Er greift nach seiner Dienstpistole, entlädt das Magazin und steckt diese dann ohne Magazin hinter ein Buch im Bücherregal. Dann gehen sie zu Helmuth ins Bad, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Helmuth hat die Revision der Badewanne abgeschlossen. Er greift nach dem Badhocker und winkt die Beiden hinter sich her in das Wohnzimmer. Dort erklärt er dem verdutzt dreinschauenden Liebling, er möge den Hocker in sein Sicherstellungsprotokoll als Beweisstück für Dämlichkeit eintragen. Dieser springt wutentbrannt auf, wird von Helmuth auf den Hocker gehoben und sagt trocken: “Siehst Du nun endlich, wonach wir die ganze Zeit suchen?“ Liebling schaut sich um und entdeckt endlich die Waffe auf dem Wohnzimmerschrank. Nachdem diese gesichert, entladen und sichergestellt ist, verkündet der Staatsanwalt dem gebrochenen Tadelmann die vorläufige Festnahme, während Helmuth mit Hocker im Kinderzimmer verschwindet, um wenig später den verdatterten Heinz Wiesel mit der gleichen Frage, die er wenig zuvor dem SOKO Leiter gestellt hatte, ebenfalls auf den Hocker zu heben. Auch dieser schaut in die Runde und entdeckt die bei seiner Durchsuchung übersehenen Beweismittel. Wenig später greift Günter auf das Bücherregal, schiebt ein Buch zur Seite und fragt Wieselchen trocken: „Ist das deine Waffe?“ Wiesel erbleicht, eine Entschuldigung nach der anderen stotternd und bemerkt erst, als das Gelächter der herbeigeeilten Kollegen zu laut anschwillt, dass man ihn geneppt hat. Nachdem Urkunden, Schreibmaschine, Papier, Stempel, Siegel, Tusche und Federn sichergestellt und aufgelistet sind, werden Kalendarien, Adressbücher und diverse Kontaktnotizen zur späteren Auswertung ebenso sichergestellt, wie diverse Kontobelege und Bankunterlagen. Danach wird Tadelmann zur örtlichen Dienstzelle verfrachtet, wo er nach der üblichen Prozedur einer erkennungsdienstlichen Behandlung bis zur späteren Vorführung beim Haftrichter in der Zelle vor sich hinbrütet.
Beschuldigtenvernehmungen in der Haftanstalt sind immer wieder ein kraftraubendes, zeitaufwendiges Ding. Anmeldeprozedur und Kontrolle sind an sich schon nervtötend. Schlimmer ist jedoch das Hin und Her Geschleppe von Akten, Schreibmaschine und ganz und gar unmöglich die Ein- und Ausfuhr von vorzulegenden Beweismaterialien. Wenn Bokolic den nunmehr auf den ersten Haftprüfungstermin zusteuernden Tadelmann besucht, ist es zudem noch belastend in dem engen Vernehmungszimmerchen einem solch hartnäckigen Verdränger gegenüberzusitzen. Der Rechtsanwalt hat es nach der zweiten Runde entnervt aufgegeben, bei den folgenden Vernehmungen dabei zu sein. Er will nur noch die Durchschläge der Vernehmungsprotokolle übersandt bekommen. Das kleine fahrige Männchen Tadelmann sitzt Bokolic gegenüber, und wie jedes Mal beginnt ein zähes Feilschen und Gerangel um die Wahrheit. Tadelmann streichelt über eine vorgelegte Urkunde, reibt danach die Finger aneinander, als wolle er den Inhalt der Urkunde erfühlen. “Herr Bokolic, ist es doch eine schöne Urkunde. Mehr als Hundertprozentig echt. Zumindest was Geschrieben steht, ist richtig. Hab ich doch nicht falsch gemacht.“ Nach einer Viertelstunde Feilschen: „Ja sind meine Stempel, aber Papier ist echt. Hat mir der Doktor Gedulescu doch gegeben echte rumänische Heiratsurkunde von seinem Vater. Wieso soll seine Mutter nicht eine geborene Schmidt sein. Nein Abstammung von die Mutter war nicht in die Urkunde geschrieben. Aber muss doch deutsche Siebenbürger Sächsin sein, wenn sie doch Schmidt heißt. Nein, Name war in Rumänisch geschrieben. Ja, doch, haben sie Recht Herr Kommissar, habe ich nur ins Deutsche übersetzt, wo sie doch eine Siebenbürger Sächsin war. Nein kenne ich sie nicht, hat aber doch Dr. Gedulescu mir hoch und heilig versichert.“ Nach mehrmaligem Hinweis auf die Unstimmigkeiten in den Ausstellungsdaten kommt nach etwa einer Stunde die Kompromissformel: „Habe ich doch nur die Urkunde gemacht nach Angaben des Herrn Doktor Gedulescu, weil er Urkunde für seine Anstellung brauchte“. Danach wird das Letztere zu Protokoll gegeben unter dem schriftlichen Zusatz, dass Tadelmann trotzdem darauf besteht, dass die ihm vollkommen unbekannte Mutter Gedulescu eine Siebenbürger Sächsin gewesen sein könne. Es beginnt danach die Aufarbeitung der Tadelmann´schen Buchführung. Warum und Wieso sind fünfundzwanzig Tausend Mark aus Österreich mit dem Vermerk „auf Konto Rotes Kreuz Tadelmann für Zusammenführung überwiesen worden. „Habe ich, die Ausreise einer Schwäbin aus Arad in die Bundesrepublik ermöglichen sollen. Läuft das alles unter Deutsches Rotes Kreuz. Nein bin ich nicht Mitglied von Deutsches Rotes Kreuz. Nein ist die Dame noch nicht ausgereist. Hat gezahlt ihr Neffe, der wohnt in Österreich. Nein habe ich nicht mit offiziellem Amt gesprochen. Nein habe ich Kontakt zu Leiter Securitate Arad gehabt. Leiter wohnt in meine Villa in Arad. Nein ist nicht mehr meine Villa. Ist zu Zeiten Ana Paukers meine Villa gewesen. Ist enteignet worden. Leiter ist mir noch einen Gefallen schuldig. Nein habe nicht für ihn gearbeitet. Doch, ja habe ihm einen neuen Canon-Farbkopierer nach Arad gebracht. Nein ohne Ausfuhrgenehmigung, nur über Österreich. Ausfuhr nach Österreich ist doch nicht strafbar. Nein, habe ich nichts dafür bekommen, nur meine Tante in Arad. Ja hat sie mir erzählt, dass sie Geschenk von Leiter Securitate bekommen hat“. So wird Woche um Woche eine Urkunde nach der anderen, ein Beleg nach dem anderen und ein Kontakt nach dem anderen mühsam und manchmal auch wenig ergiebig abgearbeitet, wobei Tadelmann mehr mit den Augen und Händen zugibt, als mit seinen Worten. Viele der Urkunden hat Tadelmann für Ärzte gefälscht. „Es hat sich so ergeben. Frau Baikalsee begleitet diese Leute bei Behörden, betreut sie bei der Zulassung im Sozialministerium und bei allen Banken, wo sie Darlehen für die Eröffnung ihrer Praxis und für die Gebühren aufnehmen dürfen. Mich bringt sie zur Siemens Medizintechnik, wo ich als freier Mitarbeiter die Einrichtung dieser Arztpraxen vermittele. Im Gegenzug darf ich bei manchen Problemen mit Zeugen und Urkunden aushelfen. Nein ausdrücklich hab ich Frau Baikalsee nie über Herkunft und Zustandekommen der Zeugenaussagen oder der Urkunden informiert. Glaube ich, hat sie so oder so Bescheid gewusst. Ihren Ehemann den Herrn Rechtsanwalt sehe ich nur dreimal im Büro, wenn er Unterschriften notariell beglaubigt. Ja erzählen mir Mandanten, dass Frau Baikalsee alle Behördengänge mit den Mandanten zusammen erledigt. Ja glaube ich erzählen sie auch von Plastiktüten und Kuverts, die Frau Baikalsee regelmäßig bei den Behördenbediensteten abliefert. Die von Banken gewährten Darlehen kassiert Frau Baikalsee mit Vollmacht und zahlt unter Abzug ihrer Unkosten später an die Mandanten. Meine ich, zehn Prozent kassiert sie für Bürgschaft und weitere zwanzig Prozent für Behördenbetreuung bei Anträgen“.
Da sich aus ersten Angaben zu Person und Lebenslauf Tadelmanns Ungereimtheiten ergeben, hat Bokolic alle sichergestellten Unterlagen zu dessen Person erneut durchgesehen und hält diese zum Abschluss der Vernehmungen dem Tadelmann vor. Diese Befragung ergibt das Bild einer schillernden höchst fragwürdigen Persönlichkeit. Tadelmann ist zweifellos nach seiner Abstammung ein waschechter Banater Schwabe. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hat er sich auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen und dank deren Unterstützung in Arad das Möbelhaus seines ehemaligen Chefs, eines Juden aus der Bukowina übernommen. Später ist er der Waffen-SS beigetreten und letztlich vor Stalingrad in russische Gefangenschaft gekommen. Eine alte Urkunde weist aus, dass er bereits wenige Zeit danach eine führende Rolle beim Aufbau einer rumänischen Partisanenarmee übernimmt und gegen Ende des Krieges von dem tschechischen General Svoboda einen Orden für seine Dienste bei der Befreiung des tschechischen Volkes erhält. Nach Ende des Krieges, zu Zeiten Ana Paukers in Rumänien wird er mehrfach wegen seiner Mithilfe bei der Säuberung des Landes von deutschen Umtrieben ausgezeichnet und wohnt vor seiner Ausreise in der Villa, die jetzt dem Leiter der Securitate als Dienstsitz dient. Diese Vorgänge sind alle durch Dokumente belegt, die nach Auskunft aller damit befassten Institutionen zweifellos echt sind. Von all diesen echten Dokumenten hat Tadelmann sich jedoch auch mit einem seiner falschen Siegel versehene gefälschte notariell beglaubigte Abschriften angefertigt. Nach Bokolic’s Meinung, die jedoch nicht maßgeblich ist, muss Tadelmann von einer Fälschungsmanie besessen sein. Letztlich bestätigt dieser aus Freude an „seinen“ Urkunden in vielen Fällen auch Urkunden für sich und Andere „angefertigt“ zu haben, selbst wenn deren Inhalt bis ins Letzte mit dem der echten Urkunden übereinstimmt. Zu den vielen Brüchen in seinem Leben befragt, kommt Tadelmann zu dem Schluss, er habe damit nicht allzu viel zu tun. Nein es sei immer nur der Zwang der Ereignisse gewesen. Verkauft und verraten habe er niemanden auch nicht sich selbst. Er habe halt in schwierigen Zeiten nur überleben wollen. Auch gut, denkt Bokolic, Tadelmännchen hat wohl nicht nur überleben, sondern nebenbei auch noch gut leben wollen, auf wessen Kosten auch immer. Doch das spielt für die Ermittlungen keine Rolle.
Die erste Dienstreise in Sachen des Urkundenfälschers Tadelmann führt Michael und Bokolic von Hessen gen Süden bis an den Bodensee und später gen Osten bis fast an die tschechische Grenze. Frau Dr. Schilkea ist Rumänin und eine Spezialistin auf dem Gebiet der Kieferchirurgie. Sie hat sich nach Ausreise aus Rumänien in Bayreuth niedergelassen und zählt viele, auf Schönheit bedachte Prominente zu ihren Kunden. Trotzdem ist ihr Leben nicht einfach. Da sie im Gegensatz zu vielen ihrer Emigrantengefährten nur Asylstatus genießt, hat es recht lange gedauert, bis sie, nach Anerkennung ihrer Ausbildung, frei praktizieren kann. Auch hat sie keine Aussicht auf eine Rente nach dem Fremdrentengesetz. So ist sie gezwungen, in der verbleibenden Zeit zwischen dem fünfzigsten Lebensjahr und ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben, sich eine ausreichende private Altersvorsorge aufzubauen. Aus diesem Grunde arbeitet sie Tag und Nacht. Sie ist sich selbst nicht zu schade, in ihrem eigenen zahntechnischen Labor zu arbeiten, denn auch dies hat sie in ihrer Heimat gründlich gelernt. Wie das Leben in einer regulierten bundesrepublikanischen Gesellschaft es so will, erreicht nach Jahren ein Schreiben der Abrechnungsstelle Frau Dr. Schilkea, in dem ihr mitgeteilt wird, dass ihre Abrechnungen wohl überhöht seien, denn kein Zahnarzt habe so hohe Fallzahlen. So sieht sich Frau Dr. Schilkea nachträglich um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Die Abrechnungsstelle weist ihr in dem Schreiben jedoch auch den Weg aus der Misere. „Sollten Sie, werte Frau Dr. Schilkea, in ihrer Praxis tatsächlich einen so großen Patientenstamm betreuen, ist es angebracht, einen Kollegen aufzunehmen und die Praxis als gemeinschaftlich weiterzuführen. Als Glücksfall wertet Dr. Schilkea, dass zu diesem Zeitpunkt ein deutschrumänischer Flüchtling aus Siebenbürgen im Rentenalter den Weg in ihre Praxis findet. Diesen kennt Frau Doktor noch aus ihrer Kindheit in der alten Heimat, wo der jetzige Rentner sich um die Klempnerarbeiten in der Nachbarschaft gekümmert hat. Mit diesem Klempner nun erörtert Frau Doktor ihre Probleme. Der Siebenbürger Sachse versteht sehr schnell, dass die Hereinnahme eines zweiten Zahnarztes nicht die Lösung der Probleme von Dr. Schilkea sein kann. Er verspricht ihr jedoch, gegen leichte Aufbesserung seiner kargen Rente, sich etwas einfallen zu lassen. Nach mehreren Wochen erscheint der Klempner strahlend und überreicht Frau Doktor einige notariell beglaubigte Abschriften rumänischer Urkunden, in denen dem Klempner die Ausbildung zum Zahntechniker und danach zum Zahnarzt bescheinigt werden. Frau Doktor ist ob dieser Berufskarriere ihres Freundes etwas erstaunt, nimmt dies jedoch hin. Die Urkunden werden dem zuständigen Sozialministerium vorgelegt, von dort für gut, echt und richtig befunden, und mit der Anerkennungsurkunde wird Dr. Klempner Sozius in der Praxis Dr. Schilkea. Frau Doktor arbeitet nach wie vor von frühmorgens bis spät in die Nacht, da sie nicht beabsichtigt den alten Mann an die Kiefer und Zähne ihrer Patienten zu lassen. Dieser tut sich nützlich in Hof und Garten, ab und zu auch bei der Behebung technischer Mängel in der Praxis. Somit scheinen alle Seiten zufrieden gestellt. Die Fallzahlen und Abrechnungen werden fürderhin von der Abrechnungsstelle problemlos anerkannt. Wie es jedoch der Teufel will, werden im fernen Wiesbaden zur gleichen Zeit von Bokolic Stempel- und Siegelabdrucke auf anderen notariellen Beglaubigungen rumänischer Urkunden untersucht und als Fälschungen des Herrn Tadelmann identifiziert. Frau Dr. Schilkea bezahlt die Geldbußen, die ihr und Dr. Klempner vom Gericht auferlegt werden. Dr. Klempner arbeitet weiter zur Aufbesserung seiner Rente bei Frau Doktor – nun aber als einfacher Herr Klempner. Die Abrechnungsstelle hat nach mehrmaliger Prüfung und Kontrolle eingesehen, dass Fallzahlen auch individuell gewertet werden müssen, und erkennt, angesichts besonderer Umstände, die Arbeitsleistung von Frau Doktor uneingeschränkt an. Der Zulauf vermögender Privatpatienten ist, aufgrund überaus positiver Berichterstattung zu diesem Fall, so, dass sich Frau Doktor keine Sorgen um ihre finanzielle Sicherheit im Alter machen muss.
Hoch oben im Bayerischen Wald, fast an der Grenze wohnt Doktor Gedulescu. Nach seinem Aussehen beschließt Bokolic ihn als den ältesten der sieben Zwerge aus Grimms Märchen anzusehen. Alt und schrumpelig, dabei verschmitzt oder aber durchtrieben grinsend öffnet der nach den Unterlagen von einer Höchstrente nach dem Fremdrentengesetz lebende Gnom die Tür seines kleinen Häuschens. Nach eingehender Begutachtung der Dienstausweise und des vorgelegten Beschlusses zur Durchsuchung seiner Wohnung telefoniert er zuerst mit seinem Rechtsanwalt, um dann eine Mappe mit allen im Durchsuchungsbeschluss benannten Unterlagen und Urkunden aus einer Schublade des Wohnzimmerschranks hervorzuzaubern. Nach Durchsicht sind alle Unterlagen vorhanden und werden im Sicherstellungsprotokoll aufgelistet. Auch hier hat der Vorwarndienst nach der Verhaftung Tadelmanns offensichtlich gut funktioniert, denn Dr. Gedulescu kann es sich nicht verkneifen einige Sprüche auf die böse Königin aus dem Märchen, nämlich Frau Baikalsee loszulassen. Er selbst will Schneewittchen spielen, denn er betont immer wieder, er sei unschuldiges Opferlamm. Nach kurzer Befragung zur Person, bei der er angibt, von seiner wohlverdienten Rente zu leben und nur ganz nebenbei, sozusagen als Privatier, in der Gynäkologie des nahe gelegenen Krankenhauses der Kreisstadt bei einem Kundenstamm von vermögenden Frauen den Höhlenforscher zu spielen, wie er sich ziegenbartmeckernd ausdrückt, will Bokolic danach den unangenehmen Gnom zur Sache befragen. Dies lehnt dieser unter Hinweis auf den Rat seines Rechtsanwalts rundweg ab. Damit ist der Besuch zu Ende und Bokolic rückt mit dem Kollegen und sichergestellten Unterlagen ab. Zwei Wochen später erscheint Dr. Gedulescu auf Vorladung in Wiesbaden ohne Rechtsbeistand zur Vernehmung. Bokolic hat alle Unterlagen ausgewertet und seinen Staatsanwalt bereits auf die Eigenheiten des Gynäkologen vorbereitet. Diese Vernehmung entwickelt eine Eigendynamik, wie sie Bokolic und dem Staatsanwalt noch nie untergekommen ist. Doktor Gedulescu hat sich bei seinem Rechtsbeistand wohl eingehend auf alle möglichen Fragen vorbereitet. Es beginnt ein Frage- und Antwortspiel mit allen taktischen Winkelzügen, wie man sie üblicherweise nur vom Schachspiel kennt. „Natürlich hat Tadelmann die Urkunden angefertigt. Dies sei wohl auf Anraten der Frau Baikalsee erfolgt. Die gefälschte Heiratsurkunde seiner Eltern habe er gar nicht zu Gesicht bekommen. Die Angaben seien aber im Kern alle richtig. Das Heiratsdatum seiner Eltern habe er als Gynäkologe ja ausrechnen können. Neun Monate vor seiner Geburt, auf den Tag genau. Dies habe er so Tadelmann angegeben. Aber sicher, seine Mutter habe ihm immer versichert, er sei in der Hochzeitsnacht gezeugt worden. Wieso solle der Eintrag in der falschen Urkunde, seine Mutter sei eine Deutsche gewesen, nicht stimmen. Ihr deutscher Geburtsname sei lediglich von den Behörden romanisiert worden. Auch spiele das eigentlich keine wesentliche Rolle. Er habe sich immer als Volksdeutscher gefühlt. Das Gegenteil müsse ihm der Herr Staatsanwalt doch beweisen. Er habe schließlich in seiner Jugend einen Deutschen Schäferhund gehabt und eine Deutsche Lederhose getragen. Bei dem Deutschen Kindermädchen habe er die Deutsche Sprache gelernt. Seine Mutter und sein Vater hätten ihm Deutsche Märchen vorgelesen. Nein nicht in deutscher Sprache, da die Bücher in Rumänien nur in rumänischer Sprache erschienen seien. Aber immerhin. In seinem rumänischen Wehrpass sei wohl von den Behörden die falsche Volkszugehörigkeit eingetragen worden, weil man ihn als Arzt bei einem den Rumänen vorbehaltenen Truppenteil haben wollte. Nein selbstverständlich nicht als Gynäkologe, nur als Truppenarzt. Nein er sei nicht als Arzt zur Armee eingezogen worden. Das spiele aber keine Rolle. Ja er sei als Kontraktarzt in Libyen gewesen und bei einem Heimaturlaub über Frankreich in die Bundesrepublik geflüchtet. Er habe sich wegen seiner Volkszugehörigkeit verfolgt gefühlt. Ja, es sei wohl richtig, dass seine Volksdeutsche Mutter nach dem Krieg nicht deportiert wurde. Ihr Geburtsname sei ja seit der Heirat romanisiert gewesen. Nein er habe bei seiner Beförderung zum Oberarzt keine konkreten Benachteiligungen erfahren. Hierfür sei er zu gut qualifiziert gewesen. Dies könne einer seiner früheren Assistenzärzte der Doktor Negotea bezeugen. Der habe ja bei Frau Baikalsee und den Behörden für sein Deutschtum gezeugt“. Nach mehr als fünf Stunden Protokoll von Ausflüchten und Einreden gibt der Staatsanwalt erschöpft und entnervt auf und lässt das Vernehmungsprotokoll unterschreiben. Den später vom Gericht ergehenden Strafbefehl wegen Gebrauchs von Falschurkunden akzeptiert Doktor Gedulescu sofort. Gegen die Einziehung seines Flüchtlingsausweises A und die Aberkennung seiner Fremdrente klagt er, jedoch erfolglos, bis in die höchste Instanz.
Die zweite Dienstreise in Sachen des Urkundenfälschers Tadelmann führt Michael und Bokolic von Hessen nach Norden und später gegen Westen bis fast an die niederländische Grenze. Nördlich von Hannover in einer Kleinstadt treffen die beiden gegen Nachmittag ein. Nach Rücksprache mit der örtlichen Polizeidienststelle wegen notwendiger Abstimmungen sowie Objekt- und Personenabklärungen suchen sie auf Rat des kundigen Ortssheriff einen kleinen Landgasthof zur anstehenden Übernachtung auf. Die Wirtstochter, wie auch die am Stammtisch sitzenden Bauernburschen scheinen alle Nachfahren von Goliath zu sein. Keiner unter zwei Meter, mit Händen groß wie Schaufeln und Oberarmen wie Preisboxer. Ebenso groß fällt auch das bestellte Jägerschnitzel aus. Michael meint, wir hätten besser eine Kinderportion bestellen sollen. Zum Abschluss genehmigen wir uns einen doppelten Klaren, um späteres Bauchdrücken zu vermeiden. Danach fallen wir satt und müde in unsere Betten, denn am Morgen wollen wir beim ersten Hahnenschrei unserem Zahnarzt Alexandrescu einen lange geplanten Besuch abstatten. Überpünktlich eine Minute nach sechs Uhr frühmorgens, jedoch im durchaus erlaubten Rahmen strafprozessual korrekter Durchsuchungszeiten, klingeln wir an der Tür zur Villa unseres Klienten. Nach längerem Warten wird die Tür von einer älteren Dame im seidenen Morgenmantel geöffnet. Sie kann, wie viele der aus dem rumänischen Altreich stammenden Frauen, ihre slawische Abstammung nicht verleugnen. Unter dunkelschwarzem zum Kranz geflochten Haar schaut uns ein rosiges volles Gesicht mit hohen Wangenknochen und tiefbraunen mandelförmigen Augen freundlich an und fragt mit leichtem Akzent nach unserem Begehr. Wir zeigen ihr unsere Dienstausweise und bitten sie den Herrn Dr. Alexandrescu zu verständigen. Sie ruft, obwohl wir sie nicht auf den Grund unseres Hier seins angesprochen haben: „Alex Alexandrescu, die Herren wollen dich wegen Tadelmann sprechen“. Dann bittet sie uns herein, schließt die Tür hinter uns und deutet mit ausladender Geste auf die Sessel im angrenzenden Raum. „Meine Herren nehmen sie doch so lange Platz, bis mein Mann kommt. Ich hole ihnen sofort einen Kaffee“. Damit ist sie in der angrenzenden Küche verschwunden. Wie Bokolic schon bei früheren Durchsuchungen im Kreis der Rumänen feststellen musste, käme eine Ablehnung des angebotenen Kaffees einer tödlichen Beleidigung gleich und würde somit jede Zusammenarbeit verhindern. Also setzen sie sich bequem in die Sessel und warten auf den Kaffee und den Hausherren. Zuerst kommt der Kaffee, rabenschwarz und süß, serviert auf silbernem Tablett mit offensichtlich selbst gebackenen ebenfalls zuckersüßen Knabbereien. Die Hausfrau leistet Gesellschaft und plaudert vor sich hin: „Ja, haben wir schon auf sie gewartet, die ganze Zeit. Der feine Herr Tadelmann sitzt ja, wie man so hört immer noch im Gefängnis. Ist kein schlechter Mensch, der Herr Tadelmann, hat vielen Rumänen geholfen, ihre Praxis einzurichten. Hat vielleicht zu viel des Guten gemacht, hat gemeint alle Rumänen müssten Deutsche sein, das wäre besser, auch für Darlehen und später für die Rente. Müssen wir Ältere uns ja schon sorgen für später“. Sie verstummt als Dr. Alexandrescu die Treppe von den oberen Räumen herunterkommt. Nach kurzer Begrüßung legt Bokolic Herrn Doktor den Durchsuchungsbeschluss vor, den dieser, ohne einen Blick darauf zu werfen zur Seite legt. Nachdem der Kaffee ausgetrunken ist, bittet der Herr Doktor ihm in sein angrenzendes Büro zu folgen. Er schließt sorgfältig die von innen gepolsterte Tür und erklärt dann: „Wissens, bin i besorgt um meine Frau, hat sie Probleme mit die Herz und die Luft, regt sich immer so leicht auf“. Danach beginnt ein überaus zähes Ringen um die Notwendigkeit förmlicher Durchsuchung, ob und wenn ja welche der gesuchten Dokumente in seinem Besitz sind und inwieweit Dr. Alexandrescu diese Dokumente von sich aus und ganz freiwillig aushändigt. Ja Dokumente hat er, Ja auch welche von Tadelmann, ja man könne über Alles reden. Nein er wolle uns nicht sagen, wo die Dokumente sind. Ja er habe einen Tresor, nein er wolle ihn uns nicht zeigen. Doch er befinde sich an der von uns vermuteten Stelle hinter dem Ölgemälde über seinem Sessel. Fast eine Stunde ist vergangen, als endlich Bokolic der Geduldsfaden reißt. Nein Herr Alexandrescu, wir verhandeln nicht weiter, sondern wir durchsuchen nun alle Räume und bis zum Abschluss der Durchsuchung werde der Panzerknacker eintreffen, den Bokolic jetzt anfordere. Der wird auch ihren Tresor öffnen. Herr Doktor schaut ganz entgeistert: „Können sie doch nicht machen, mein armer Tresor, wäre doch schade, hat mich viel Geld gekostet“. Dann drückt er auf einen Knopf unter der Schreibtischplatte, diese hebt sich ein wenig, Doktorchen greift nach einem in einer Vertiefung liegenden Schlüsselbund, schiebt das Ölgemälde beiseite und öffnet mit tiefem Seufzen den Tresor. Wertpapiere, Zahngold und Geld interessieren nicht sonderlich. Auf der unteren Ebene des Tresors steht eine alte Briefwaage und auf den beiden Waagschalen liegen fein säuberlich gestapelt rumänische Urkunden. Bevor Bokolic zu einer Sichtung derselben schreitet, fragt er so zum Spaß: Wo Herr Doktor liegen nun ihre echten Urkunden, auf der linken oder der rechten Waagschale“? Der Doktor schüttelt abwägend den Kopf und antwortet nach einem längeren Seufzer: „Rechts Herr Kommissar, rechts liegen die Echten“. Und dann noch einmal tief seufzend: „Das sieht man doch, echte Urkunden sind schwerer“. So ist es auch. Die rechte Waagschale der Briefwaage steht wesentlich tiefer als die Linke, obwohl der Stapel an Urkunden rechts wie links die gleiche Höhe aufweist. Bei anschließender Vernehmung des Dr. Alexandrescu antwortet dieser auf die Frage, warum er die falschen Urkunden, die ihm Herr Tadelmann gefertigt hatte, nicht vernichtete, nachdem er von dessen Verhaftung und den darauf folgenden Durchsuchungen hörte, wie folgt: „Ach wissens Herr Kommissar, könnt man die Eine oder Andere doch noch brauchen, man weiß es nicht so genau. Außerdem hat er scheene Urkunden gemacht der Herr Tadelmann.“ So sind sie nun mal Bokolic´s rumänische Mandanten. Wie alle von der Sonderkommission verfolgten Ceaucescuflüchtlinge, jedoch nicht unbedingt deutsche Heimatvertriebene: sehr höflich und gastfreundlich, immer etwas unsicher, dabei aber durchaus den Schalk im Nacken und faustdick hinter den Ohren.
Im ersten Gerichtsverfahren wird Dr. Negotea wegen Gebrauchs von Tadelmann gefälschter Urkunden zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie sich unschwer anhand der in seinen Unterlagen vorgefundenen alten aber echten Originalurkunden feststellen lässt, ist seine Mutter, nicht wie von Dr. Negotea behauptet, eine Siebenbürger Sächsin. In deren echter Geburtsurkunde wird sie mit der Origine Etnica „Romania“ geführt. Es braucht eine gute halbe Stunde bis Bokolic das Gericht von der Bedeutung des Eintrages einer bestimmten Volkszugehörigkeit der Elternteile in Geburtsurkunden eines Vielvölkerstaats wie Rumänien überzeugt hat. Der clevere Rechtsanwalt Rundler des Dr. Negotea nutzt die Unsicherheit des Gerichts und kann der Forderung des Staatsanwalts nach einer Haftstrafe auf Bewährung in seinem Plädoyer eine Geldstrafe entgegensetzen, weil, wie er ausführt, sein Mandant in gutem Glauben dem Urkundenfälscher Tadelmann und der Vorsteherin des Rechtsanwaltbüros Baikalsee auf den Leim gegangen ist, die ihm suggerierten, ohne diese Urkunden könne er nie in der Bundesrepublik eine Arztapprobation erhalten. Auch seien die an Tadelmann und Baikalsee gezahlten Entgelte für deren missratene Dienste so hoch, dass sie schon ein Teil der gerechten Bestrafung für den Gebrauch der Falschurkunden darstellen. Einige Zeit später flattern Bokolic weitere Urkunden des Dr. Negotea auf den Tisch. Dieser hat inzwischen seine Anerkennung als Frauenarzt beantragt und auch bekommen und kuriert nun in einer Privatpraxis die Damen der feinen Gesellschaft, die dem jugendlichen Charme des Dr. Negotea meist erliegen. Eine der durchweg älteren ab auch reicheren Damen, fühlt sich nunmehr von Dr. Negotea über den Tisch und sprichwörtlich ausgezogen. Sie hat dem Charmeur nicht nur Leib und Seele anvertraut, sondern auch große Teile ihres Geldbeutels. Die Anzeige, die sie erstattet, führt zu einer Durchsuchung der Wohn- und Praxisräume und hierbei ganz nebenbei zum Auffinden einiger Urkunden, die den Kollegen von Bokolic etwas seltsam vorkommen. So darf sich Bokolic erneut mit Dr. Negotea und seinen Urkunden beschäftigen. Als er sich lange genug mit den rumänischen Urkunden des Dr. Negotea zu dessen Arzt- und Facharztausbildung in Rumänien beschäftigt hat, kommt er zu dem Schluss, dass Dr. Negotea lediglich Assistent in einem Krankenhaus war und sowohl die Bescheinigungen über Facharztausbildung als auch über seine Approbation teils von ihm selbst verfälscht, teils von Tadelmann gefälscht sind. Nachdem Dr. Negotea eine Vorladung zur Vernehmung erhält, meldet sich Rechtsanwalt Rundler telefonisch bei Bokolic. „Mir sitzt der Dr. Negotea gegenüber, Herr Bokolic, er sagt, er wisse gar nicht, was das Ganze solle. Er sei doch wegen der Urkunden schon einmal verurteilt worden. Sagen sie mir also bitte Herr Bokolic, um welche Urkunden es denn konkret geht. Der Dr. Negotea lügt mich doch nur an. Also geht es wieder um Abstammungsurkunden. Nein, dann muss ich den Dr. Negotea kurz ins Vorzimmer schicken“. Nachdem die Tür auch für Bokolic am Telefon hörbar ins Schloss gefallen ist, fährt Rechtsanwalt Rundler fort: „Da ist doch noch etwas Schlimmeres im Gange. Habe meine Zweifel, ob ich den noch vertreten soll. Also worum geht es denn. Mein Honorar, das wissen sie selbst Herr Bokolic ist immer ein wesentlicher Bestandteil der Strafe, öfter als mir lieb ist sogar die einzige Strafe. Es geht doch nicht etwa um seine Zulassung als Arzt? Er hat mir treuherzig versichert, dass da alle Urkunden in Ordnung sind. Nein, doch nicht. Was sie sagen, nicht nur solche von Tadelmann“. Rundler ruft nach seiner Sekretärin. Aus dem Gemurmel kann Bokolic nur heraushören, dass die Sekretärin eine Quittung über zwanzigtausend Mark ausstellen und dem Dr. Negotea diese Summe sofort abknöpfen soll, dann könne er wieder zu ihm reinkommen. Er spricht mit Bokolic weiter über einen fälligen Termin zur Vernehmung und, dass der Staatsanwalt gefälligst dabei sein soll. Dann schreit er den Dr. Negotea an, der wohl nach Bezahlung wieder zu ihm ins Zimmer gelassen wurde. „Wie, auch noch den eigenen Vertrauensanwalt belügen, muss ich mir das bieten lassen“. Bokolic hört ein klatschendes Geräusch und danach wieder die Stimme des Rundler. „Die Ohrfeige hat er verdient“, brummelt Rundler ins Telefon. „Bis dann Herr Bokolic“. Das Gespräch wird danach abrupt unterbrochen. Bei der zweiten und letzten Runde in Sachen Urkunden sieht Dr. Negotea gar nicht gut aus. Rundler widerspricht nur halbherzig dem Staatsanwalt, der eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren fordert. Trotzdem gelingt es ihm in unnachahmlicher Art das Gericht davon zu überzeugen, dass Dr. Negotea auch mit achtzehn Monaten auf Bewährung bestraft genug ist. Beim Honorar für Rundler wird es nach Überzeugung Bokolic’s jedoch nicht bei den zwanzigtausend Märkern geblieben sein.