Ein untreuer Bürgermeister

 Es ist durchaus nicht so, dass er seinem Gemeindevolk nichts als Schulden beschert. Eine nagelneue Infrastruktur mit Straßen, Ver- und Entsorgungsleitungen wird dank einer großzügigen Förderung aus den übervollen Subventionstöpfen geschaffen. Ein überdimensioniertes Gewerbegebiet zeugt vom fleißigen Streben Napoleons nach Macht und Einfluss ebenso, wie die Sanierung der alten Plattenbauten, die der Gemeinde aus dem Besitzstand einer früher volkseigenen Fabrik zugefallen sind. Bei dem letztgenannten Projekt steigen, ebenso wie beim lukrativen Geschäft mit Wasser und Abwasser jeweils Raubritter aus den westlich gelegenen Abendlanden ein. Gemeinsam mit diesen und unter deren kundiger Anleitung, wird, nicht ohne entsprechende Ablasszahlung, der Förderkuchen gebacken und zum Genuss aller Beteiligten verteilt.

 

Wendeturnier

 

Bokolic´s Hauptbeschuldigter, nach der Wende zum Bürgermeister avanciert, hat zweifellos eine poetische Ader. Davon zeugt auch seine Erzählung vom ersten Wahlkampfauftritt der neuen FDP vor den Toren von Halle: Auf den Wiesen vor der Stadt hatte man Zelte aufgeschlagen. Bunte blaugelbe Fahnen flatterten im frischen Wind der Wiedervereinigung. Der berühmte noch lebende Sohn des Kreises war heimgekehrt um den zurückgebliebenen seine Botschaft für freie und geheime Wahlen zu der neuen Volksversammlung nahe zu bringen. Seine übergroßen Ohren zitterten vor innerer Anspannung und Rührung, ebenso wie seine leichten Hamsterbäckchen als er, schützend umringt von Leibgardisten und seinen treuesten Vasallen, die wenigen Stufen zum hölzernen Podest emporstieg, um dann unter dem schwarz-rot-goldenen Banner und den vielen blaugelben Wimpeln, die allein zu seiner Ehre gehisst waren, die erste Ansprache nach der Wende an sein Volk und seine Heimat zu halten. Er sprach mit lauter Verstärkerstimme, die weit über die grünen Wiesen und die sonnengelb wogenden Getreidefelder hallte, bis hin zu der Anhöhe mit dem feldsteingemauerten Rundturm, um den sich, wie Küken um die Henne, die Häuser des kleinen Weilers Tiefverlies scharten. Er erzählte von Veränderungen in der weiten Welt, die er als Meist-gereister in den für seine Zuhörer bisher unerreichbaren fernen und nahen Westlanden erfahren und mitgestaltet hatte. Er begann vom frischen Wind der politischen und auch der wirtschaftlichen Freiheit der Individuen in nahen und fernen Landen zu sprechen. Während die Genossen wie in den Jahren zuvor, bei politisch hochtrabenden Reden geübt abschaltend, den durchaus nur äußerlichen Eindruck von Begeisterung vortäuschten, wuchsen vor den geistigen Augen und Ohren der naiven Zuhörer, unter den heißen Calypsoklängen sonnenbeschienene, Palmen besäumte Strände. Sie sahen Hulamädchen vor ihren nach innen gerichteten Augen unter Schmachtgesängen tanzen, mit Dollarnoten um die Hüften, wie sie Ihnen, den verzückten und entrückten Traumtänzern DM Scheine zu Halsketten geflochten doll-ar-singend um den Hals legten. Erst als der hochverehrte Meister in seiner Rede zum Abschluss auf die von ihnen allen so innig geliebte Heimat und die Sehnsucht nach einer gemeinsamen Zukunft in Frieden und Freiheit zu sprechen kam, erwachten die Zuhörer, weil der, ihnen aus früheren Reden früherer Redner bekannte, pathetische Ton das nahende Ende der Rede ankündigte. So gelang es dem Meister, ohne sein Zutun, die Zuhörer zum Abschluss doch noch zu wahrer Begeisterung zu führen, wobei es einem unbefangenen Zuschauer nicht ganz klar wurde, ob denn die Vorstellungen des Redners von der gemeinsamen Zukunft mit den Vorstellungen seiner Zuhörer von derselben in Einklang zu bringen waren. Allzu weit schienen sich wohl die Vorstellungen der Volksgenossen und des Meisters in den vielen Jahren der Abwesenheit voneinander entfernt zu haben. So erschien es dem unbefangenen Beobachter zumindest. Der aufbrandende brausende Beifallssturm am Ende der Rede überdeckte jedoch die zaghaften leisen Zweifel, obwohl hierbei nicht zu verkennen war, dass ein jeder seinen eigenen durch die großmeisterliche Rede geweckten Vorstellungen Beifall zollte. Nach dem Meister hielten die heimatlichen Honoratioren - wie seit fünfzig Jahren gewohnt - ihre bei- und kniefälligen Bestätigungsreden. Unverkennbar waren die meisten Reden der gewendeten Anhänger der blaugelben Partei des Großmeisters geprägt von dem Geist der Neuen Zeit. Wenn es den Rednern auch nicht glückte, die in Jahren der Knechtschaft verinnerlichten, sozialistischen Floskeln auf ihrem frei demokratischen Niveau umzusetzen. Ebenso wenig waren sie geübt darin, die oft missverstandenen Floskeln und Formeln der Neuen Freiheit in, entsprechend den Regeln, unverbindlicher Weise zu deklamieren. So wuchsen unten auf der Wiese bei den Volksgenossen und Mitbürgern, wie auch oben auf dem Podium bei den zur Herrschaft berufenen oder den zur kommenden Wahl Auserwählten erneut Missverständnis und Disharmonie, ohne dass es den Handelnden und Gehandelten bewusst wurde. Nach und nach verabschiedete sich das Volk von den Rednern, immer wieder zu dem großen Festzelt schielend, um dort, jahrelanger Übung folgend, seinen Seelenschmerz mit den dargereichten leiblichen Genüssen zu betäuben und die alltäglichen Kümmernisse im vertraulich offenen Gespräch, Mann zu Mann und Frau zu Frau, ohne die parteiischen Mitesser, Mitlauscher und Mitschreiber, zu verdrängen. Währenddessen schritt der große Meister mit den großen Segelohren gemäß dem Protokoll zur Ehrung verdienter und noch zu verdienender Mitarbeiter. Sinnbildlich knieten diese vor ihm nieder und ebenfalls nur sinnbildlich schlug er sie, seine überzeugende Rede als Schwert benutzend, zu Rittern seiner Weltanschauung. Zu seiner Rechten kniete der Knappe Altland nieder, als ein Anhänger rechtsliberaler Gesinnung, der wenige Wochen zuvor, in den neuen Teil dieses unseren Landes zugewanderte Spross einer mächtigen, kommunale Gelder- und Vermögen verwaltende Familie aus Alten Landen. Ihn begrüßte der Meister warmherzig und ernannte ihn zum Sachwalter und Statthalter seiner Interessen ohne Parteiportefeuille in seiner alten Heimat den Neuen Landen. Zu seiner Linken kniete Napoleon, ein kleiner, flink gewendeter Neokapitalist einer Blockpartei aus den Neuen Landen. Diesen Knappen schlug er zum Ritter von Tiefverlies, denn dort sollte der später als Napoleon von Tiefverlies bekannt gewordene Vasallen seine Herrschaft antreten. Dann sprach der Große Meister den denkwürdigen, der Nachwelt wörtlich überlieferten Segnungsspruch: „Nun reicht euch beide die Hände, so kommt Ost zu West, vereint unter der schwarz rot goldenen Fahne (gedacht hat er dabei an einen blaugelben Wimpel) sollt ihr die Neue Welt untereinander aufteilen. Gehet hin und herrschet in liberalem (großkapitalem) Frieden.“ Dies wiederum war der einzige Satz in den Reden des Großen Meisters auf den Auen von Halloren, der gleichgültig der Zugehörigkeit zu Ost und West, von den beiden Betroffenen in gleicher Art und Weise verstanden und befolgt wurde. Ob diese Auslegung auch im Sinne des Großen Meisters war oder sich auch hier ein gewaltiges Missverständnis eingeschlichen hat, sei dahingestellt. So erhoben sich die beiden zu Rittern Geschlagenen, reichten sich inniglich die Hände und begaben sich schnurstracks daran ihre Welt, unter sich alleine aufzuteilen. Während der Westgesandte Altland Geld und Vermögen vielerorts in den Neulanden zu verwalten begann, begründete Napoleon von Tiefverlies als Kommunaler Fürst der Kommune Tiefverlies seine Herrschaft daselbst und beide teilten sich die aus Alten Landen fließenden Subventionen und den Zuwachs an kommunalem Geld und Vermögen brüderlich.

 

Napoleon und Josephine von Tiefverlies, Untreuer Ein korrupter Bürgermeister, Napoleon und Josephine von Tiefverlies

 Über seine glorreiche Vergangenheit befragt, erzählt unser Napoleon, der ungetreue Bürgermeister von Tiefverließ, dass er mit dem Landrat früher im gleichen Staatsbetrieb gearbeitet hat. Der jetzige Landrat war in diesem Betrieb für die Zuteilung von Finanzen, der jetzige Bürgermeister Napoleon für die von Material zuständig. Im Grunde genommen hat sich von daher nicht allzu viel geändert. Früher hatten die Beiden eben in brüderlich sozialistischer Weise die Verteilung der vorhandenen knappen Ressourcen vorgenommen Jetzt sind die Rollen etwas vertauscht. Napoleon ist nun als Bürgermeister mehr oder weniger auf die Gnade und das Wohlwollen des Anderen angewiesen. Das ist eine der vielen Segnungen des neuen kapitalistischen Systems, dass man sich viele Dinge teuer erkaufen muss, die früher solidarisch selbstverständlich untereinander geteilt wurden. Napoleon liebt die bildhafte Sprache, so erklärt er den Unterschied zwischen gestern und heute wie folgt: „Früher, mussten Backsteine und Kupferrohre gegen Zusagen und Zuteilungen getauscht werden. Dies war doch ein sehr mühsames Geschäft. Heute reicht ein Köfferchen Bares für eine Zusage oder eine Vergabe. Dies ist unauffälliger und einfacher. Das neue System ist eben doch effizienter.“ Nach der Wende passt sich Napoleon schnell den neuen Gepflogenheiten an. Bei den aus dem Westen zugereisten Raubrittern erlebt er mit, wie diese ahnungslosen Mitgenossen das Grauen über die unbekannten Gefahren eigenverantwortlicher Freiheit abkaufen, und ihnen überflüssige, immer jedoch zu hohe Versicherungen und kapitalbildende Policen, sogar gegen Kredit aufschwatzen. Als hochbegabter Redner, auf allen Hochzeiten tanzend, bei Vereinen und sonstigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen seiner Welt zuhause, steigt er zusammen mit einem ehemaligen Vertreter des Such- und Lauschdienstes des Ancien Regime in eine Bürogemeinschaft ein, die sich den Leitspruch der Raubritter „alles aus einer Hand und alles in unsere Hand“ konsequent zu eigen macht. Später führt er die Agentur Allfinanzversicherungsgesellschaft, die den hochtrabenden aber wohlklingenden Schwyzer Namen Sommerausflug führt. Auch im privaten Bereich passt er sich den Gepflogenheiten der neuen Zeit an. Die früher mit Parteiausweis gezierte Brieftasche zeigt nun die bunten Plastikbilder diverser Kreditkarten, neben goldbedruckten Visitenkarten, jeweils eine für jede einzelne der verschiedenen Geschäftsfunktionen, in denen er tätig ist, und auch eine für das neu erworbene Ehrenamt des Bürgermeisters von Tiefverließ. Als die größte aller Neuerungen im privaten Bereich des kleinen Napoleon von Tiefverließ ist jedoch die aus dem Personalüberhang der Allfinanzgesellschaft rekrutierte schöne Mätresse des kleinen Napoleon namens Josephine zu nennen. Josephine ist ein einziges wahres Schmuckstück für unseren Napoleon. Ihren Nachnamen schmückt sie mit einem vorangestellten Doktorgrad, wobei wir darüber hinwegsehen sollten, dass dieser Akademische Grad mit dem Zusatz „ML“, der für den Begriff Marxismus-Leninismus steht, eine für die nicht eingeweihten Altlanddeutschen nichts sagende Bewertung enthält. Im Gegensatz zu all den verflossenen sozialistischen Geliebten unseres Napoleon ist Josephine jedoch ein wahres Luxusweibchen und dies, wie sich später herausstellt, in jeder Beziehung. Vorerst genügt es Napoleon, dass Josephine bei Geschäftsessen und manchen amtlichen Zusammenkünften sowie bei Vorzeigeterminen, den bescheidenen Glanz der bürgerlichen Herkunft des kleinen Napoleon mit blendenden durch heiße Textilien aufgepäppelten Blitzen edlen Aussehens überstrahlt. Derweil darf die rechtmäßige aber sonst unbedarfte Gattin Napoleons nebst ehelichem Kind mit einer von Napoleon streng zugeteilten und knapp bemessenen Apanage zuhause ihr Dasein fristen. Napoleon tanzt dafür mit Josephine, zwar nicht auf dem Wiener Kongress, jedoch auf den vielen Festen zu Ehren der Wiedervereinigung. Seiner Josephine richtet er ein feines Boudoir ein, in dem er, wie auch seine Geschäftsfreunde, heimlich ein- und ausgehen. In den neu gegründeten Firmen seines im Planungsstadium befindlichen Imperiums begleitet Josephine derweil geschäftsführende Funktionen, ohne jemals wirklich in die tatsächlich laufenden Geschäfte, erst recht nicht in die halb oder ganz illegalen Transaktionen, umfassend eingeweiht zu werden. Ihr genügt die reale Verfügungs-gewalt über stattliche monatliche Abfindungen, für die sie - allzeit bereit - unter alle von Napoleon vorgelegten Papiere ihre geschäftsführende Unterschrift setzt, auch wenn diese Papiere zweifelhafte oder möglicherweise strafbaren Inhalte haben. Später wird sie sich dann auf ihre Unschuld und Unwissenheit in geschäftlichen Dingen berufen, wie sie dies auch im Bereich der (mehr oder weniger) intimen Beziehungen versuchen wird. Glauben werden die Welt und die Justiz der Mätresse des Kaisers Napoleon von und zu Tiefverlies beides ebenso wenig wie Bokolic und seine Kollegen.

 

Napoleon und seine Generäle oder auch Mittäter

 Den Vergleich mit Napoleon lässt der kleine Bürgermeister lächelnd über sich ergehen. Ja er hat schon etliches mit diesem gemeinsam. Für das Grobe bei den Geschäften seiner Regentschaft hat er sich mehrere treue Generäle ausgesucht, mit großem taktischem Geschick und feinem Gespür für deren Fertigkeiten und deren Nützlichkeit für seine Zwecke. Zuerst ergeben sich für den zusammen mit Napoleon im dörflichen, heimatlichen Sportverein nebenamtlich engagierten, von Beruf seit der Wende hauptamtlichen Gemeindeverwalter Allesimgriff, atmosphärische Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der noch amtierenden ehrenamtlichen Bürgermeisterin. Diese sind hinderlich und umso gravierender, da diese rein zufällig mit dem amtierenden Landrat verwandt ist. Bei der nächsten Kommunalwahl kommt gottlob ein älterer mehrfach unbedarfter Ehrenmann in das Ehrenamt. Diesen gilt es während der laufenden Legislaturperiode auszubooten, um dann zusammen mit unserem Napoleon an die Fleischtöpfe der kommunalen Selbstverwaltung zu gelangen. Mit einem gewisse Eigeninteresse verfolgenden Ratsherren und einer Napoleon mehr als körperlich und herzlichst verbundenen Ratsfrau gelingt es, dem wegen der noch anstehenden Gemeindereform um seinen Job bangenden Allesimgriff ein Umsturzkomplott zu schmieden. Der Umsturzplan ist einfach genial. Die Spitzen von Gemeindeverwaltung und Gemeinderat fahren an einem Wochenende gemeinsam gen Westen, um in einer der Partnergemeinden in den Alten Ländern sich in Demokratie schulen zu lassen. Bei der Rückfahrt zeigen sie, wie viel sie von den ihnen ganz neu überkommenen westlichen Sitten bereits verinnerlicht haben. Ihr ungeliebter lediglich vom einfachen Wahlvolk ins Amt gehobener Bürgermeister wird an einer Raststätte immer wieder hochleben gelassen, bis ihm das ausschließlich in seinem Glas zusammen gepanschte Gemisch aus Rotwein und Schnaps den letzten Rest des verbliebenen Verstandes vernebelt. Danach verleitet ihn die genannte holde Ratsweiblichkeit im Schatten einer Bank auf dem öffentlichen Grün der Raststätte zu einer schamlosen körperlichen Entblößung der unteren Extremitäten. Dies dokumentiert hinterlistig der vorgeblich pflichtbewusste Allesimgriff akribisch und fotografisch für die Nachwelt, insbesondere für die darauffolgende Ratssitzung zuhause. Dem so gefoppten Bürgermeister bleibt daraufhin nur ein freiwilliger aber nicht ganz ehrenhafter Rücktritt. Die Ratsversammlung wählt sodann wie vorauszusehen den in allen Lebenslagen bewanderten Napoleon zu dessen Nachfolger. Allesimgriff wird von Napoleon als der hauptamtliche Haushofmeister selbstverständlich in seinem Amt bestätigt. Er wird später als die rechte Hand des Napoleons in die Geschichte der nachfolgenden Beutezüge eingehen. Wie allen bekannt ist, hat Napoleon die Angewohnheit mit angewinkeltem Arm die rechte Hand in der Brusttasche nahe der Brieftasche mit den Geldscheinen zu verbergen. Von Allesimgriff kann man dies im übertragenen Sinne durchaus behaupten, wobei dieser als Rechte Hand Napoleons den direkten Zugriff zu der verborgenen Subventionsknete in dem Gemeindeportfeuille zu nutzen weiß. Mehr Familienberater als untergebener General ist der ehemalige Vertreter vom Such- und Lauschdienst des alten Regimes Rodolfo, mit dem Napoleon eine Bürogemeinschaft eingegangen ist. So bezeichnet späterhin Josephine diesen als ihren väterlichen Freund und Berater, der vordergründig uneigennützig, hintergründig jedoch mit überall ausgestreckter Hand an allen Geschäften, auch den zwielichtigen und ganz und gar verbotenen, mitverdient. Rodolfo ist so etwas wie die graue Eminenz am Hofe Napoleons zu Tiefverließ. Über Rodolfo, die graue Eminenz lernt Napoleon auch den späteren technischen Bevollmächtigten, Mister Fivepercent kennen, Leiter und Inhaber eines Planungsbüros, der ihn großzügig in die ordentlichen, meist aber außerordentlichen, Vergaberichtlinien und die direkt davon abhängigen Zahlungsgepflogenheiten kapitalistischer Bauwirtschaft einweist. An dem unverhofften, wundersamen Geldsegen lässt Napoleon großzügig und wie selbstverständlich auch Josephine und seine Generäle teilhaben. Letztere wiederum danken mit Abnicken und Absegnen zukünftiger Schlachtpläne sowie mit ihren Unterschriften unter allen jetzigen und zukünftigen Vorlagen und Projektentwürfen. So bewahrheitet sich wieder das altbewährte Sprichwort von der einen Hand, die alle anderen wäscht. Napoleon vergisst nicht, sich bei seinem Wahlvolk als mildtätiger Spender darzustellen, was ihm nicht besonders schwerfällt, da seine Spendenkasse durch die erfolgreichen Raubzüge wohl gefüllt ist.

Napoleon und die Umsetzung der Weltpolitik

Napoleon von und zu Tiefverließ ist machtbesessen ehrgeizig und geldgeil. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die bewährten Prinzipien der großen Politik und Wirtschaft aus den Altlanden in seinem dörflichen Imperium maßstabgetreu umzusetzen. So lernt er die Regeln der freien Marktwirtschaft anhand von mehr oder weniger gut vorgelebten oder in den bunten Presseorganen bestens geschilderten Beispielen. Ein leuchtendes Vorbild geben hierbei frühere aber auch noch amtierende Minister der wiedervereinigten Republik ab. Der über die Finanzen herrschende Großmeister mit seinen buschigen Augenbrauen lehrt Napoleon, dass nicht alles unbedingt im Regelwerk eines öffentlichen Haushaltes erscheinen muss. Töpfe außerhalb des regulären Haushaltes, ob Schuldentöpfe oder Guthabenkonten, sind es, die das Spiel mit des Bürger´s Geld erst richtig reizvoll machen. Demzufolge macht sich unser Bürgermeister Napoleon zusammen mit seinem Haushofmeister, dem hauptamtlichen Verwalter Allesimgriff daran, unverzüglich eine halbe Million aus einer ordentlichen Rückzahlung an die Gemeinde auf ein neu eröffnetes pro forma als „Gemeindekonto“ getarntes Konto außerhalb des Gemeindehaushaltes umzuleiten, zu dem die Beiden sich gegenseitig als Unterschriftsbevollmächtigte eintragen lassen. In der Folgezeit werden von diesem Konto dubiose Planungsrechnungen bezahlt, die teilweise lediglich verschleierte Provisionszahlungen an Dritte wie die Mätresse Josephine oder die Graue Eminenz Rodolfo darstellen. Aber auch zwei Mobiltelefone nebst elektronischen Kleinigkeiten, damit beide Herrschaften nicht auf überprüfbare amtliche Kommunikationswege angewiesen sind. Erscheint der Kontostand des Schwarzgeldkontos den Beiden etwas bedürftig werden aus dem regulären Haushaltskonto Rechnungen doppelt gezahlt und die Rechnungsempfänger später aufgefordert den zu viel gezahlten Betrag auf das als Gemeindekonto getarnte Schwarzgeldkonto zurück zu überweisen. Als die Wahlperiode sich dem Ende zuneigt und erneut eine Kommunalwahl ansteht, schließen die beiden Kontenbevollmächtigten wegen der Unwägbarkeiten des Wahlausgangs vorsichtshalber das Konto ab und überweisen den beachtlichen Guthabensrest zu gleichen Teilen auf ihre Privatkonten. Nach der wiederum für Beide erfolgreichen Wahl eröffnen sie unter dem Etikett einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ein wiederum beiden zugängliches Konto und stellen nunmehr der von ihnen verwalteten Gemeinde schlichte aber durchweg fingierte Rechnungen über angeblich von ihnen erbrachte Beratungs- und sonstige Leistungen aus, die nach einer sachlich und rechnerisch Richtigzeichnung durch Haushofmeister Allesimgriff auf das gemeinsame GbR-Konto überwiesen werden, von dem sich Beide bei persönlichen Bedarf entsprechend ihrer Anteile bedienen. So hat Napoleon taktisch geschickt die bereits strafrechtlich attestierten Haushaltstricks der Großen dieser Republik kopiert. Dummerweise hat er in Missverkennung der Lage aus persönlichem Eigennutz aber eine der strafbaren Varianten der Kontenführung außerhalb des regulären Haushaltes gewählt, was Beiden später zum Verhängnis werden soll. Aus uralten Zeitungsberichten über einen krückstockbewehrten ehemaligen Finanzgroßmeister der Republik lernt unser Napoleon wie man diskret mit Zuwendungen der besonderen Art umgeht. Ebenso lernt er hieraus, welche Bedeutung einem guten heißen Draht zu den Bossen der lokalen Wirtschaft zukommt. Von den weltumspannenden Wirtschaftsimperien diesseits und jenseits des großen Teiches schaut Napoleon sich die verschachtelten Holdingstrukturen ab. Für alle, außer für den Imperator Napoleon, müssen die tatsächlichen Strukturen des Imperiums ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Selbst von historischen Größen vermag der kleine Napoleon den einen oder anderen Leitsatz übernehmen. So macht Napoleon den altbekannten Satz: „Teile und herrsche“, zu seinem durchaus nicht missverstandenen aber dennoch missverständlichen Wahlspruch. Wie in vielen Kommunen in den Neulanden stehen auch in Tiefverließ sanierungsbedürftige, kommunale Plattenbauten. Der zusammen mit dem kleinen Napoleon von Tiefverließ zum Ritter der gleichen liberalen Weltanschauung gekürte Altland braucht wenig Überzeugungsarbeit zu leisten, um Napoleon von der Einträglichkeit - für beide Seiten - einer einheitlichen Verwaltung kommunalen Eigentums durch seine in den Neulanden gegründeten Tochterfirma der Firma Altland namens Treusorg zu überzeugen. Nach dem Abschluss der allgemeinen Verwaltungsverträge bedarf es keiner weiteren Überzeugungsarbeit, um danach Napoleon auch von den Vorteilen einer Privatisierung der Wohnungen, nach erfolgreicher und von mehreren Seiten hoch subventionierter Rekonstruktion zu überzeugen. Natürlich übernimmt die Firma Neuland - Treusorg gegen entsprechendes Entgelt die undankbare aber durchaus lohnende Aufgabe, die Rekonstruktion der Plattenbauten einschließlich der Beantragung und Verwaltung von Kreditmitteln bis hin zur Überprüfung und Bezahlung allfälliger Rechnungen zu übernehmen, ja sogar die buchhalterische Abwicklung der Privatisierung der Wohnungen nach der Renovierung. In separaten Kamingesprächen findet mit den jeweils in unter-schiedlichen Teilbereichen einzubindenden Generälen und Protegés die Erörterung des Feldzuges statt. Josephine und Rodolfo werden von Napoleon zu Generalmaklern ernannt, die alle allfälligen Provisionen bei den Wohnungsverkäufen abgreifen und anteilig in den großen Feldherrentopf einzahlen. Daneben darf die Mätresse Josephine als Alleingesellschafterin zwei von Rodolfo besorgte ausgehöhlte und nahezu bankrotte Gesellschaftsmäntel übernehmen und, für Napoleon und Andere, treuhänderisch und verdeckt deren Anteile halten. Gleichzeitig wird sie Geschäftsführerin der Gesellschaften, die bei folgenden Ausschreibungen der beginnenden Rekonstruktion fleißig Aufträge absahnt, um dieselben, gegen eine entsprechende Provisions-zahlung in den Feldherrentopf, an die von Napoleon ausgewählten Subunternehmen weiterzugeben. Mister Fivepercent kommt an der Schaltstelle zwischen dem rein formalen Auftraggeber, der Kommune Tiefverließ und deren Statthalter Napoleon sowie den potenziellen Schmiergeldzahlern, den Chefs der beauftragten Firmen mehrere wichtige Aufgaben zu. Einerseits muss er zahlungswillige Firmenchefs finden, andererseits muss er durch Vergabevorgespräche und durch zielgerichtete und punktgenau Steuerung aller abgegebenen oder auch pro forma abzugebenden Angebote die Vergaben an den ausgewählten zahlungswilligen Mann bringen. Gleichzeitig hat er die Ansätze in den notwendigen Planunterlagen soweit und solange zu erhöhen, bis nicht nur die ursprünglich anvisierten fünf Prozent Feldherrenhonorar in den Kalkulationen enthalten sind, sondern darüber hinaus sein Honorar aus der nunmehr angewachsenen Gesamtsumme auch eine hälftige Teilung mit dem nimmersatten kleinen Napoleon zulassen. Für dessen hochgeschätzte Mätresse Josephine fertigt er ganz nebenbei noch die gesamten Angebotsunterlagen. Der Napoleon treu ergebene, gegenüber seinem Arbeitgeber der Kommune Tiefverließ jedoch ungetreue Allesimgriff wird im Zuge dieser ungesetzlichen Finanzreformen neben dem öffentlichen Amt zum alleinigen Geschäftsführer einer gemeindeeigenen Firma gemacht, die bei infrastrukturellen Planungsaufgaben, wie auch bei der Erschließung von Gewerbe- und Wohngebieten, für entsprechende Vergütungen in die Feldherrenkasse Napoleons aber auch in die eigene Hofmarschallschatulle sorgt. Daneben tritt diese Firma wie auch die Josephin´chen Tarnfirmen noch als Scheinkonkurrenz bei Ausschreibungen auf, um zahlungsunwillige Handwerker und Firmenchefs mit Horrorangeboten zu erschrecken und so bei der Stange zu halten.

 

Der Wahlspruch der Korrupten: Nehmen ist seliger denn Geben

Es ist durchaus nicht so, dass Napoleon seinem Gemeindevolk nichts als Schulden beschert. Eine nagelneue Infrastruktur mit Straßen, Ver- und Entsorgungsleitungen wird dank einer großzügigen Förderung aus den übervollen Subventionstöpfen geschaffen. Ein überdimensioniertes Gewerbegebiet zeugt vom fleißigen Streben Napoleons nach Macht und Einfluss ebenso, wie die Sanierung der alten Plattenbauten, die der Gemeinde aus dem Besitzstand einer früher volkseigenen Fabrik zugefallen sind. Bei dem letztgenannten Projekt steigen, ebenso wie beim lukrativen Geschäft mit Wasser und Abwasser jeweils Raubritter aus den westlich gelegenen Abendlanden ein. Gemeinsam mit diesen und unter deren kundiger Anleitung, wird, nicht ohne entsprechende Ablass-zahlung, der Förderkuchen gebacken und zum Genuss aller Beteiligten verteilt. Irgendwann einmal wird die nicht ganz wohlgefällige Art und Weise der Regentschaft Napoleons und seiner Vasallen ruchbar. Napoleon lebt mit seiner Josephine während der Zeit seiner Regentschaft jedoch in Saus und Braus. Wie sein historischer Vorgänger wird Napoleon danach verurteilt und verbannt. Auch die treuherzige, jungfräuliche Unschuld mimende Josephine trifft Justitias Bannstrahl, wie später auch die allzeit willfährigen Vasallen, entsprechend der ihnen von der blinden Göttin Justitia individuell zugemessenen Schuld. Rodolfo legt, klug, wie er in seiner ersten Berufung schon war, seinen mit allen erdenklichen und unangreifbaren Formalien legalisierten Beuteanteil fern jedes Staatszugriffes sicher an. Die Geldbuße nimmt er kalt lächelnd auf sich. Allesimgriff hat doch nicht alles im Griff und muss wesentliche Teile seiner Beute später an den bestallten anwaltlichen Verteidiger seiner Ehre abtreten, was ihn letztendlich doch nicht vor Schande einer Verurteilung bewahren kann. Mister Fivepercent rettet seinen Hals durch ein umfassendes Geständnis und einem Attest über unwiederherstellbar zerstörte persönliche Gesundheit. Den Großteil seines Beuteanteils rettet er durch ein gut ausgeklügeltes Insolvenzmanöver. Der Ritter Altland von der Firmensippe Treusorg, der das Vermögen und den Grundbesitz der Kommune Tiefverließ angeblich treusorgend, überwiegend jedoch für sich selbst treu sorgend verwaltet, wie auch das Vermögen weiterer Kommunen landauf und landab in den Neuen Landen, hat mit seinen geschickt formulierten Beratungsverträgen jedwedes justizielle Unheil für sich und die Seinen von vorneherein ausgeschlossen und überlässt eine nach der anderen seiner Firmen in den Neulanden, nach Überweisung der satten Gewinne an die Mutter im Ausland, ihrem Schicksal des Sterbens an der finanziellen Auszehrung. Dem Volke der Kommune Tiefverließ wird aber gegeben, was des Volkes ist. Gewinne und das ganze Geld aus Fördertöpfen und Krediten sind verbraten und auf die illustre Raubritterschar verteilt. Dem gemeinen Volke aber bleiben die Schulden, die selbst bei jedem einzelnen Säugling der Kommune Tiefverließ mit mehr als hunderttausend altdeutschen Märkern zu Buche schlagen. Großzügig jedoch übernimmt der so oder so bereits bankrotte Landessäckel einen Großteil dieser Summen, eingedenk der Tatsache, dass die hohen Herren es an der gebührenden Aufsicht über die Raubritter haben fehlen lassen, unausgesprochen jedenfalls auch eingedenk dessen, dass nunmehr die Alten Lande zu Gläubigern für diese Summen werden. Sozialisierung im Kapitalismus nennt man dies oder in verständlicher Volkesstimme: „Nehmen ist seliger denn Geben“.