Lustiges und Komisches aus dem Alltag eines Streifenpolizisten

 Absurde aber wahre Geschichten die den Berufsalltag eines Schutzpolizisten in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Die Realität jedoch ist weitaus  brutaler.

 

Der Einfluss der Religion auf einfache Gemüter

 

Der Polizeimeister Bokolic ist noch ziemlich neu im Außendienst, sein Schichtleiter ein alter Hauptmeister kurz vor der Pensionierung. An einem frühlingshaften Sonntagmorgen, alle anderen Kollegen der Schicht haben sich davongemacht, um irgendwelche Ermittlungen in abgelegenen Gemeinden des Hochtaunus durchzuführen oder um einfach in langsamer Fahrt im Streifenwagen durch Feld und Wald die Schönheit der aufblühenden Natur zu genießen. Es ist gerade die Zeit, in der die Kirchglocken in den Gemeinden zum sonntäglichen Kirchgang rufen, als die Glocke des Notruftelefons den altgedienten Schichtleiter von der geruhsamen Arbeit des Überstundenauszählens und endgültiger Korrektur der Dienstnachweise reißt. Eine Frau ist am Telefon und gibt mit sich überschlagender Stimme einen Notruf durch: „Kommt schnell, der Adolf dreht wieder durch. Er steht mit dem Schlachterbeil vor der Krifteler Kirche und bedroht die Feuerwehrleute, die zur Kirche wollen“. Das scheint dem Schichtleiter zu genügen. Er stellt keine weiteren Fragen, gerade so, als ob Adolf eine bekannte Persönlichkeit der Weltgeschichte sei und seine Allüren hinreichend bekannt sein müssten. „Bokolic, nimm den zivilen VW aus der Garage, fahr nach Kriftel und halt den Adolf so lange in Schach bis Verstärkung eingetroffen ist. Sei mir nur ja vorsichtig, mit dem Adolf ist nicht zu spaßen.“ So brettert Bokolic mit dem mausgrauen Zivilfahrzeug nach Kriftel. Vor der Kirche steht, einem Leuchtturm gleich, ein Koloss von Mann. Mit der rechten Hand schwingt er ein Schlachterbeil über den Kopf und stößt dabei unverständliche aber markdurchdringende Kriegsrufe aus. In gebührendem Abstand hat sich im Schutze einer Mauer eine Schar sensationslüsterner Kirchgänger versammelt, sowie die Feuerwehrleute in Uniform, die heute ihr Jahresfest feiern wollen. Die Tür der Kirche steht weit offen, auf der Treppe davor der händeringende Pastor im Talar. Nachdem Bokolic sein Fahrzeug in gebührender Entfernung abgestellt hat, begibt er sich zu den gaffenden Zuschauern, in deren Reihe er den ihm bekannten Gemeindediener entdeckt. Dieser klärt Bokolic über den Koloss und die Hintergründe seines Wutausbruches auf. Adolf, mit einfältigem Gemüt, aber dafür umso mehr Muskeln gesegnet, ist Kopfschlächter im Frankfurter Schlachthof. Die damals im Kreisgebiet erwachende Neue Rechte der NPD hat die Einfalt des Kopfschlächters ausgenutzt und ihn mehrmals als Rammbock bei Keilereien mit den Linken in Frankfurt missbraucht. Dies ist seiner über Alles geliebten Mutter zu Ohren gekommen, die daraufhin Adolf die wahre Geschichte über den Tod seines Vaters erzählte. Adolfs Mutter hatte den überaus gutmütigen aber geistig behinderten und an Fallsuchtanfällen leidenden Vater Adolfs auf einer kirchlichen Jugendfreizeit kennen gelernt und sich rührend um diesen gekümmert. Da sie selbst als Vollwaise in einem Heim groß geworden war, hatte sie von Beginn an den gutmütigen Jungen in ihr Herz geschlossen, der sie von nun an, aus Dankbarkeit für die Zuneigung und Fürsorge, mit aller Kraft die er hatte, vor den Hänseleien und Nachstellungen der bösen Welt beschützte. So endete diese Zweckbeziehung der beiden Außenseiter in einer Liebesheirat, aus der alsbald Adolf als einziges Kind hervorging. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war der epileptische Vater von den Nazis in ein Lager gesteckt worden und dort, wie so viele seiner Leidensgefährten, nationalsozialistisch nach dem Rassereinheitsgebot entsorgt worden. Die Mutter hat ihrem ebenfalls tief religiösen Sohn sein Paktieren mit den Nachgesinnungsgenossen der Mörder seines Vaters als Todsünde dargestellt, für die er in der Hölle büßen müsse. Hierbei hat sie ihm ausführlich auch die uniformierten Totschläger der SS und SA und deren Teufelsfratzen beschrieben. Nun hat sich Adolf vor die Kirche gestellt und will allen uniformierten, sündigen Nachfolgenazis den Kirchgang verwehren, um sich so möglicherweise vor der Hölle zu bewahren. Bokolic meint, die Lage ausreichend geprüft zu haben. Er bittet die Feuerwehrleute, sich hinter die Kirche zurückzuziehen, entledigt sich seiner Uniformjacke und seiner Dienstmütze, steigt in das zivile Fahrzeug ein und fährt unter lautem Dauerhupen direkt auf den Beilschwingenden Racheengel Adolf zu. Diesem bleibt vor Staunen die Luft zum Schreien weg. Sofort lässt er die hocherhobene beilschwingende Hand nach unten sinken. Direkt vor den Füßen von Adolf kommt Bokolic mit gekonnter Vollbremsung zum Stehen. Er öffnet die Beifahrertür von innen und fordert Adolf mit lauter Stimme zum Einsteigen ein. „Du sollst einsteigen Adolf, wir fahren zum Pastor, der will mit dir reden. Du sollst heute noch zur Beichte gehen, hat deine Mutter gesagt“. Adolf ist so verdutzt, dass er brav einsteigt und ganz vergisst, dass der Pastor immer noch auf den Stufen der Kirche vor dem Haupteingang händeringend um Gnade und Erbarmen für sich und seine Schäfchen fleht. Adolf zwingt also seinen massigen Körper auf den engen Beifahrersitz des VW-Käfers. Hierbei ist ihm das Beil etwas hinderlich, das er kurzerhand auf dem Dach des Autos ablegt. Das Auto selbst geht unter der Masse des Beifahrers auf der rechten Seite regelrecht in die Knie. Bokolic greift über den Brustkorb von Adolf, zieht die Beifahrertür zu und gibt Vollgas. Das Mordinstrument fliegt dabei polternd vom Autodach auf die Straße. Adolf hat Mühe, sich gerade im Sitz zu halten, als es in die erste Kurve geht. Dann jedoch macht ihm die rasende Fahrt richtig Spaß. Während Bokolic seinen sprachlosen Schichtleiter über den begonnenen Transport zur Dienststelle informiert, beginnt Adolf einen Kinderreim mit „Hottehü mein Pferdchen, hottehü“ in sich hinein zu brummen. Nach kurzer Fahrt biegt der Zivilwagen mit Bokolic und Adolf in den umzäunten Hof zur Dienststelle ein. Offensichtlich haben den Hilferufen des Schichtleiters im Funk folgend, mehrere Kollegen ihre Taunusrundfahrten abgebrochen und sind zur Dienststelle zurückgekehrt. Die Dienstwagen sieht Bokolic aus den Augenwinkeln im Garagentrakt stehen. Bokolic dreht mit dem weiter Kinderreime brummelnden Adolf mehrere Ehrenrunden im Hof. Dann kommt er vor dem Eingang zum Kommissariat zum Stehen. Bokolic steigt gerade aus, als mehrere seiner Kollegen in voller Uniform, ihre Sonntagsmützen korrekt auf dem Kopf, aus der Türe treten, um sich das Schauspiel näher anzusehen. Adolf hingegen, kaum der Uniformierten ansichtig, kreischt wild los. „Vatermörder, SS-Teufel, böse Menschen“. Er wälzt sich aus dem Auto, stürzt auf die Uniformierten los und im Nu ist die schönste Keilerei im Gange. Dienstmützen fliegen durch die Luft, Kollegen gehen unter den harten Geraden von Adolf zu Boden, Blut fließt. Nachdem Bokolic sich gefangen hat, eilt er, immer noch Tränen vor Lachen in den Augen, an den Kollegen vorbei zur Wache, reißt den Spind mit dem technischen Gerät auf, greift sich eines der Megafone und stürmt an dem verdutzten Schichtleiter vorbei zum Ausgang. Bokolic bleibt auf der obersten Treppenstufe stehen, unter sich ein Schlachtfeld durcheinander wirbelnder Leiber, in der Mitte, wie der Koloss von Rhodos, Adolf der Kopfschlächter. Dann setzt Bokolic das Megafon wie eine Fanfare an die Lippen, dreht die Lautstärke voll auf und es schallt ein Lied über den Hof: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit es kommt der Herr der Herrlichkeit“. Adolf hat die Arme nach unten sinken lassen und beginnt mit verklärtem Lächeln und fester klarer Stimme in das Lied einzufallen. Er singt noch immer, als Bokolic in Ermangelung des weiteren Textes sein Megafon schon abgesetzt hat. Die geschlagene Armee seiner Kollegen hat, sich gegenseitig stützend, den Rückzug angetreten und verschwindet in der Dienststelle. Bokolic setzt sich auf die Treppenstufen, Adolf gesellt sich nach Ende des Liedes zu ihm. So sitzen die beiden auf den Stufen und summen nun alle Kirchenlieder vor sich hin, deren Anfang Bokolic noch einfällt. Zwischendurch, wenn Adolf, der alle die Texte bis zur letzten Strophe auswendig kennt, alleine weiter singt, gibt Bokolic durch das offene Fenster seinem Schichtleiter Anweisungen, was dieser zur endgültigen Bereinigung der Situation tun soll. Bevor Bokolic’s doch beschränkter Kirchenliedschatz zu Ende geht, erscheint zu dessen Erleichterung, nach Telefonaten des Schichtleiters, endlich der Pastor und in dessen Gefolge auch die Mutter des Kopfschlächters Adolf. Danach ist die Lage schnell unter Kontrolle. Alle verzichten gegenseitig auf jedwede Verfolgung oder Ahndung. Adolf entschuldigt sich betrippelt bei den Kollegen. Er verspricht in Zukunft sich vor solchen Aktionen bei der Mutter oder dem Pastor rückzuversichern, auf dass er nicht die Falschen schlage. Als er dies sagt, geht auch bei dem trockensten der Kollegen ein leichtes Lächeln über das Gesicht.

 

Der Gong zur letzten Runde

 

Herbst ist es geworden. Wieder hat Bokolic Nachtdienst, diesmal früh in der Abenddämmerung. Mit Ulrich ist er unterwegs in Kriftel, um einige Zeugen in Unfallsachen anzuhören. Über Funk kommt von Peter, dem Schichtführer, die Meldung: „Ehestreitigkeiten mit Verletzten in Weilbach. Taunus 20/29 fahren sie ... Weilbach, ... Straße und Adresse. … Notarzt ist bereits verständigt“. Bokolic bestätigt den Auftrag über Funk und Ulrich gibt derweil schon Bleifuß auf das Gas. Vor Ort angekommen bietet sich ein makabres Bild: Eine ältere füllige Frau humpelt mit blutverschmiertem Gesicht auf der Straße in Richtung Telefonzelle. Knapp dahinter läuft ein Mann, in der Rechten ein Beil schwingend. Der Wagen ist hinter diesem Duo noch nicht ganz zum Stillstand gekommen, da ist Bokolic auch schon aus der Beifahrertür gesprungen und rennt nun seinerseits hinter dem Beil schwingenden Mann her. Dieser reagiert auf keinen Zuruf und kommt der vor ihm humpelnden Alten bedrohlich immer näher. Bokolic greift zum Gürtel, reißt seine gummiummantelte Stabweitleuchte heraus, schleudert diese mit aller Kraft in Richtung des noch etwa zehn Schritte vor ihm laufenden Mannes, der gerade das Beil hochgehoben hat, um es auf die vor ihm humpelnde Frau niedersausen zu lassen. Die Stabweitleuchte trifft mit dem Gummipuffer den Hinterkopf des Mannes. Dieser fällt darauf mit einem tierischen Urschrei in sich zusammen, das Beil fällt aus seiner kraftlosen Hand zu Boden. Die Frau humpelt geradeaus weiter und wird von dem an Bokolic vorbeispurtenden Kollegen eingeholt und gestoppt, während Bokolic sich zu dem wie ein Baum gefällten Mann niederbeugt. Dieser liegt wie friedlich schlafend auf dem Pflaster. Sein blasses Gesicht zeigt ein zufriedenes Lächeln, das ganz im Gegensatz zu dem tierischen Wehlaut zu stehen scheint, den er beim Fallen von sich gegeben hat. Bokolic tastet seinen Hinterkopf ab, dort wo ihn die Lampe getroffen haben muss. Keine Wunde, noch nicht einmal eine Beule oder sonst ein Zeichen einer Verletzung ist zu erkennen. Dann beugt Bokolic sich über dessen Gesicht und stellt fest, dass der Mann nicht mehr atmet. Bokolic wird es siedend heiß bei dieser Feststellung. Er muss sich neben dem offensichtlich von ihm in den ewigen Schlaf der Gerechten und Ungerechten Versetzten auf dem kalten Pflaster niedersetzen. Im gleichen Augenblick biegt der Notarztwagen um die Ecke. Die Sanitäter eilen zu der blutenden Frau, der Notarzt beugt sich zu dem Dahingeschiedenen und sagt, ganz ruhig und wie nebenbei: „Ach der Erich, hat er mal wieder einen seiner Ausfälle.“ Geradeso, als ob er einen alten Bekannten ansprechen wolle. Dann packt er sein Köfferchen aus, breitet einige seltsame Instrumente auf einer sterilen Unterlage aus, setzt ein Beatmungsgerät an und nur wenige Augenblicke später bekommt der scheintote Erich wieder Farbe im Gesicht, fängt an tief Luft in seine Lungen einzuziehen und mit rasselndem Geräusch diese wieder auszuatmen. Der Arzt zieht noch eine Spritze auf, bindet dem noch ruhig Daliegenden den Arm ab und spritzt ihm irgendein Teufelszeug in die Vene. Dann dreht er sich zu Bokolic um und fragt ihn trocken: „Na was fehlt nun Ihnen“? Auf dessen unzusammenhängende Rede von dem vermeintlichen Totschlag an dem guten Erich erklärt er Bokolic lachend: „Ja das ist nun mal so, wenn ein Mensch statt eines Knochens eine Metallplatte im Hinterkopf hat, und dort schlägt ein Gummihammer ein, dann meint unser Erich, man habe ihn mit einem großen Gong zum letzten Gefecht gerufen. Da kann ihm schon mal die Luft wegbleiben, vor allem wenn unser Erich einen seiner berühmten Ausraster hat.“ Erich ist recht schnell wieder aus seinem Totenschlaf aufgewacht. Seine Lebensgefährtin ist gleichfalls nur leicht verletzt und hat ihm seine Ausraster auf der Stelle verziehen. Bokolic bleibt sein untauglicher Totschlagsversuch jedoch bis heute im Gedächtnis.

 

Ein tödlicher Unfall und ungleiche Brüder

 

An der Unfallstelle angekommen, bleibt nicht viel zu tun übrig. Die Unfallrettung hat den verletzten Autofahrer bereits abtransportiert. Gaffer gibt es zu dieser frühen Stunde auf der abgelegenen Ortsverbindungstrasse im Vortaunus nicht. Der Abschleppdienst ist bereits verständigt, um den für diese Gegend ungewöhnlichen Pkw beiseite zu schaffen. Bei dem Wagen handelte es sich um einen dunklen 600er Mercedes in Langversion, wie er nur vom diplomatischen Dienst benutzt oder von Leihfirmen mit Chauffeur zum Transport von VIPs zur Verfügung gestellt wird. Er steht da, massig mit seinem Hinterteil in die Straße ragend, mit seinem Vorderteil in dem recht tiefen und breiten Straßengraben. Unter der in der Mitte eingedrückten Kühlerhaube ragt an der Anstoßstelle der Stumpf eines älteren, wohl bereits etwas morschen, Apfelbaumes hervor. Es ist einer dieser Apfelbaumsorten, wie sie vor Jahrzehnten von den Gemeinden beim ersten Ausbau der geteerten Buckelpisten als Ortsverbindungsstraßen anstelle von Straßenbegrenzungspfählen gesetzt wurden. Die übrigen Bäume stehen in gleichmäßigem Abstand mit weißer Farbe beringelt in schnurgerader Reihe vom Ortsausgang kommend bis zur Abzweigung am Waldrand ohne jedwedes Anzeichen einer Straßenkrümmung, die den Fahrer zu einer Richtungsänderung hätte verleiten können. Die Luft des Herbstmorgens ist klar und ohne jedes Anzeichen von Nebel, sodass die Sicht auch in der Morgendämmerung ausgezeichnet gewesen sein muss. Anzeichen für Wildwechsel sind genauso wenig zu sehen, wie ein Hindernis auf der Fahrbahn oder Spuren von Begegnungsverkehr. Auch gibt es keine Schleuder- oder Bremsspuren des verunglückten Wagens. Es scheint, als habe genau dieser Baum den Wagen in seinen Bann und von der Straßenmitte weggezogen um, von fremder Hand gefällt, Selbstmord zu begehen. Der Baum liegt ebenso, wie auch ein Verkehrstoter liegen würde, von den Herbststürmen der Vorwoche bereits all seiner Blätter beraubt, mit etlichen Schürfwunden und Verletzungen, sonst aber ruhig und friedlich im Straßengraben. So bleibt nach dem Fertigen einer Übersichtsskizze und dem Abtransport des zerschroteten Schlachtschiffes durch den Abschleppdienst nur noch die Benachrichtigung der Gemeinde, über den Schaden, der durch das abrupte Dahinscheiden des Baumes entstanden ist und danach die Vernehmung des verletzten Fahrers im Krankenhaus. Der Bürgermeister nimmt die Nachricht vom Hinscheiden des Apfelbaumes gefasst entgegen. Er scheint an Nachrichten dieser Art gewöhnt, was bei der Vielzahl von miteinander in Streit geratenden Straßenbäumen und Autofahrern in dieser Gegend wohl nicht verwunderlich ist. Im Krankenhaus angekommen, werden die noch anwesenden Sanitäter, die den Verletzten transportiert haben, von Bokolic befragt. Sie geben übereinstimmend an, von dem Jagdpächter der Gemarkung, an welche die Straße angrenzt, zum Unfall gerufen worden zu sein. Der Verletzte habe wie schlafend hinter dem Steuer gesessen und sei im Übrigen nicht ansprechbar gewesen. Außer einer Kopfverletzung, die wohl durch den Aufprall des nicht angeschnallten Fahrers an die Windschutzscheibe entstanden sein muss, habe der Fahrer keine erkennbaren Verletzungen gehabt. Ein etwas weinseliger Duft habe im Auto gehangen und den Fahrer umweht, sodass der aufnehmende Arzt im Krankenhaus vorsorglich eine Blutentnahme durchgeführt habe. Es sei davon auszugehen, dass der Verletzte binnen kürzerer Zeit wieder ansprechbar sein werde, da die Verletzungen sich nur als Platzwunden und Prellungen herausgestellt hätten. Weitere Personen seien nicht am Unfallort feststellbar gewesen. Auch habe nichts darauf hingedeutet, dass noch weitere Personen sich zum Unfallzeitpunkt im Pkw oder in der Nähe der Unfallstelle befunden haben könnten. Nach kurzer Rücksprache mit dem diensthabenden Arzt über diagnostizierte Verletzungen sowie über das vermutete Ergebnis der Blutentnahme, nach Aufnahme der Personalien anhand der von den Sanitätern bei der Aufnahme hinterlegten Papiere des Unfallopfers begibt sich Bokolic zum Zimmer des Patienten, der wohl wegen seines Status als Privatpatient in einem Einzelzimmer untergekommen, zieht sich einen Stuhl an den Tisch unter dem Fenster und beginnt den Unfallbericht nach den handschriftlichen Notizen auf Band zu diktieren. Der Patient liegt derweil auf dem Rücken in seinem etwas hochgestellten angewinkelten Bett und hat beide Augen geschlossen. Unter der Decke kann Bokolic von dessen Gestalt wenig erkennen. Ebenso wie Bokolic durch die Kopfbandage Einzelheiten seines Gesichtes lediglich erahnen kann. Allgemein kann er nur feststellen, dass der Verunglückte aussieht, wie ein traumlos schlafender Mittvierziger auszusehen pflegt. Irgendwann, im Laufe der Fertigung seines Berichtes, beginnt sich der Patient unruhig zu bewegen. Bokolic rückt mit seinem Stuhl zum Bett und sieht, wie der Mann beide Arme, wie abwehrend vor sein Gesicht hebt. Aus seinem Murmeln sind nur die Worte herauszuhören: „Geh weg, geh doch weg!“ Dann lässt er die Arme auf die Bettdecke sinken, seufzt tief auf, schlägt die Augen auf und fragt, Bokolic direkt in die Augen sehend, „ist er tot?“ Nach einem weiteren Seufzer: „Ich hab ihn doch wohl nicht totgefahren?“ Danach schließt er die Augen wieder und scheint erneut ins Reich der Träume zu versinken. Bokolic erhebt sich, geht um das Bett herum und klingelt nach dem Personal. Der Arzt erscheint umgehend, tätschelt nach Bokolic’s Bericht über das Erlebte den Patienten zart aber energisch so lange die Wangen, bis dieser wieder die Augen aufschlägt und angesichts des weißen Arztkittels sich wohl vor dem Letzten Gericht wähnt. Nach mehrmaligem energischem Bekunden des Arztes, dass dies weder der Himmel noch die Hölle, sondern nur das Kreiskrankenhaus sei, ergibt sich der Patient in sein Schicksal und lässt sich erzählen, wie und mit welchen Verletzungen er ins Krankenhaus gekommen ist. Nach einer kurzen Belehrung durch Bokolic meint der Verletzte, er sei schon froh, wenn er seinen Führerschein ein Weilchen bei Gerichte deponieren dürfe, da seine Ausflugsfahrten in letzter Zeit immer mehr den Charakter von weinseligen Lustreisen angenommen hätten, über die er immer mehr die Kontrolle verloren habe. Er besteht jedoch darauf, dass ihm kurz vor dem Unfall mitten auf der Straße ein riesiger Mann, wie Rübezahl, mit einem Stock drohend, entgegengekommen sei. Er habe nur noch abwehrend beide Hände gehoben und gerufen: „Geh weg, geh doch weg!“ Zum Bremsen sei er nicht mehr fähig gewesen. Er habe nur noch die wutverzerrte Fratze dieses Ungeheuers in Menschengestalt gesehen. Dann sei es um ihn dunkel geworden. Nach dieser Schilderung seufzt er wieder tief auf und fragt besorgt: „Ich hab ihn doch nicht totgefahren? Es ist ihm doch hoffentlich nichts passiert?“ Diesbezüglich kann Bokolic seinen Probanden in einem längeren Gespräch beruhigen und den Sachverhalt soweit aufklären. Dieser besteht jedoch nach wie vor darauf, dass neben dem Baum auch noch dieser Rübezahl an dem Unfall beteiligt gewesen sei. Erst als er, Wochen später nach Hause entlassen, vor seiner Haustür aufgestapelt, fein säuberlich zersägt und gespalten, ein gutes Klafter Apfelbaumholz vorfindet, mit einem in Folie eingeschweißten Brief des Bürgermeisters und anbei der Rechnung über Abtransport, Zersägen und Aufspalten des Holzes, da scheint er zu begreifen, dass es Rübezahl in Gestalt eines windzerzausten Apfelbaumes gewesen ist, den er zu Tode gefahren hat. Einige Tage später jedenfalls, als Bokolic gerade seinen Spätdienst beenden will, fährt ein Taxi bei der Dienststelle vor. Aus dem Wagen steigt sein Proband aus, zwei Flaschen Wein in der Hand tragend. Sie haben sich dann - außerhalb des Dienstes - noch etwas über den seltsamen Unfall unterhalten, wie auch über die Geschichte des Mannes, wie er zu einem 600er Mercedes in Langversion gekommen ist. Sein Heimatstädtchen, in dem Bokolic auch seine ersten Jahre im Einzeldienst bei der hessischen Schutzpolizei versieht, liegt zwischen Wiesbaden und Frankfurt vor einem Vortaunushang. Sein Vater war Bauer, dem eine Vielzahl von Streuobstwiesen und Äckern gehörte, und der es in der lebensmittelarmen Nachkriegszeit infolge der Nähe zu den Großstädten des Rhein-Main-Gebietes, wie viele Bauern geschafft hat zu etwas Geld zu kommen. Bevor sein Vater stirbt, wird der Hof - wie üblich - bereits von seinem älteren Bruder übernommen. Dieser ist nach seiner Schilderung, seit er denken kann, der Schlauere von Ihnen gewesen. Er der Nachgeborene und „Dümmere“ ist von seinem Bruder nach des Vaters Tod bei der Teilung der zur Erbmasse gehörenden Äcker und Wiesen kräftig über den Tisch gezogen worden. Alle saftigen Wiesen und ertragreichen Obstbaumstücke, wie auch die fetten Äcker in der Ebene vor der Stadt, macht sich der Bruder zu eigen, mit der Begründung, sie lägen näher zum übernommenen Hof. Er selbst bekommt die nördlich der Stadt gelegenen steinigen trockenen Äcker in südlicher Hanglage übertragen, sowie die Streuobstwiesen, unterhalb des Mischwaldes, der auch heute noch die Kuppe des Vortaunuszuges bedeckt. Wie er Bokolic erzählt, war dies zum Zeitpunkt des Erbfalles ein schlechtes Geschäft, das er dem Bruder so sehr verübelt, dass er in der Folgezeit bis zum heutigen Tage kein Wort mehr mit ihm wechselt. Als der dümmere Bauer kann er in den fünfziger Jahren nur versuchen, einen Beruf zu erlernen. Letztendlich kommt er bei der Stadtreinigung unter, wo er sich in der Folgezeit langsam aber mit Zähigkeit hocharbeitet, sodass er, nachdem er zum Leiter der Stadtreinigung aufgerückt ist, von einem der Honoratioren zum Parteieintritt überredet, zum Stadtverordneten aufgestellt, und weil seine Familie alteingesessen und wohlbekannt ist, auch gewählt wird. Was dann kommt, ist so etwas wie ein Sechser im Lotto. Während sein Bruder sich redlich auf dem ererbten Hof abrackert, kommen in den sechziger Jahren immer mehr Anfragen nach Bauland in guten Vortaunuslagen mit schneller Verbindung zu den Städten Mainz - Wiesbaden und Frankfurt - Offenbach. Da die Stadtverordneten eine Chance sehen, durch Ausweisung von Baugrundstücken in bevorzugter Lage, einerseits Leute mit Geld und Geschäftssinn an die Stadt zu binden, und andererseits die Böden am Südhang von schlechter Qualität sind, dass landwirtschaftliche Nutzung schon lange nicht mehr rentierlich erscheint, kommt es - ohne sein Zutun - zur Ausweisung all seiner Äcker und Streuobstwiesen im Rahmen des Neubauprojektes „Am Taunushang“ zum Bauland. Mit einem Schlage wird so aus dem „Dummen Bäuerchen“ ein mehrfacher Millionär mit einer Villa in bevorzugter Südhanglage und einer sechsgeschossigen Wohnanlage zwischen seiner Heimatstadt und dem Rhein-Main-Schnellweg. Ab diesem Zeitpunkt gibt er alle seine beruflichen Verpflichtungen auf, sucht sich einen „Persönlichen Geldberater“ in „Mainhattan“ und lebt sein Leben wie „Gott in Frankreich“. So ist er aus einer schieren Laune heraus auch stolzer Besitzer eines 600er Mercedes in Langversion geworden; fährt mit diesem Schlachtschiff zweimal in der Woche auf die Zeil nach Frankfurt zum Einkaufen und anschließend nach Sachsenhausen zum Äppelwoi sowie zweimal die Woche in den Rheingau oder nach Rheinhessen zum Essen und Wein verkosten. Auf seiner Heimfahrt vom Klosterkeller in Rüdesheim ist ihm dann frühmorgens im Vortaunus die „Begegnung der Dritten Art“ mit Rübezahl in Form des toten Apfelbaums geschehen. In der Folge hat sich unser Multimillionär auf Bokolic’s Anraten das „Kutschieren lassen“ angewöhnt. Jahre später hört Bokolic, er sei auf Fliegen umgestiegen und irgendwann später auf Segeln. Letztmalig bekommt Bokolic 1980 von ihm eine knallbunte Ansichtskarte aus der Karibik. Danach hört keiner von Bokolic’s Bekannten auch keiner der Verwandten des Weltreisenden mehr etwas von „Rübezahls Mörder“. Die Gemeinde als ehemaliger Besitzer des Apfelbaumes hat entlang aller Gemeindestraßen in ihrer Gemarkung die Stiftung einer Neuanpflanzung von Apfelbäumen und deren Pflege für den Zeitraum von 99 Jahren bekannt gegeben. Die jährliche Apfelernte soll auf Kosten der Stiftung zu Äppelwoi vergoren werden, der auf dem in der Gemeinde gefeierten jährlichen „Äppelblütefescht“ gegen einen bescheidenen Obolus ausgeschenkt werden soll. Der Erlös aus dem Verkauf soll Hinterbliebenen von Verkehrsunfallopfern zur Verfügung gestellt werden. Einzige Bedingung des Stifters ist ausdrücklich, dass der Name der Stiftung „Rübezahls Tod“ sein müsse und der Stifter namentlich nicht genannt werden dürfe.

 

Putativnotwehr

 

„Hier Wiesbaden, hier Wiesbaden mit Ringalarm-fahndung nach einem flüchtigen Freigänger. Auf seinem Freigang ist der Strafgefangene seinen beiden Bewachern in Ort um Uhrzeit entwichen. Bei dem Gesuchten handelt es sich um Personalien, Personenbeschreibung. Der Flüchtige ist vermutlich im Besitz einer Schusswaffe. Er gilt als äußerst gefährlicher und gewalttätiger Intensivtäter. Derzeit bekannte Fluchtrichtung Richtung Wiesbaden, vermutlich derzeit in der Kleingartenanlage Waldfrieden.“ Danach: „Taunus XX, Taunus YY und Taunus ZZ umgehend Errichtung einer äußeren Absperrung um die Kleingartenanlage.“ „Taunus AA“ –ach du liebe Zeit, das sind ja wir– „zusammen mit Taunus BB ... Durchsuchung der Kleingartenanlage vom Ausgang Südfriedhof nach Norden. Alle Feststellungen sind umgehend der Einsatzleitstelle und der Dienststelle zu melden ... Funkverkehr für die genannten Kräfte ab sofort über Kanal XYZ Unterband.......“. Keine fünf Minuten später erfolgt vor Ort am Eingang Südfriedhof eine kurze Einweisung der Kräfte und danach die Kräfte von „Taunus AA“ darunter Bokolic’s Wenigkeit als Streifenführer und „Taunus BB“ besetzt mit Schichtführer und einem weiteren Beamten zur Durchsuchung des Kleingartengeländes in Abschnitten, wobei die äußere Absperrung Süd bestehend aus „Taunus ZZ“ den durchsuchenden Kräften nachzurücken hat, um den noch zu durchsuchenden Teil nach und nach immer enger ein- und abzugrenzen. Schichtleiter „PK ABC“ ordnet an: „Durchsuchung der einzelnen Gartenhütten nur nach vorheriger Ansprache von ihm über Megafon, um eine Gefährdung unbeteiligter Personen auszuschließen. Türen der Gartenhütten werden von „PM DEF“ notfalls aufgesprengt. Die Durchsuchung der Hütten wird von „POM Bokolic“ – O Gott, das bin ja ich – unter Deckung durch die übrigen Beamten vorgenommen.“ Abschließend zur Kenntnis: „Rettungshubschrauber „Christopher 1“ ist auf dem Weg hierher. Beginn der Durchsuchung „QQ.LL Uhr“. Uhrenvergleich: Es ist jetzt „MM.NN Uhr“. Hütte um Hütte wird durchsucht. Angesichts der frühen Jahreszeit sind die Gartenhütten alle verriegelt und verrammelt. Soweit diese, nach Ansprache von außen, einsehbar sind, werden sie mit Handweitleuchten ausgeleuchtet und alle Fenster und Türen auf ordnungsgemäßen Verschluss überprüft. Bei der achten Hütte dann, hat Bokolic seinen großen Auftritt, wobei er gestehen muss, dass ihm das Herz, noch bevor dieser Auftritt beginnt, bis in die Hose gerutscht ist, und kalter Schweiß über den Nacken in den Hemdkragen rinnt. Der Fensterladen der Hütte ist nur angelehnt, das Fenster dahinter im unteren Geviert zerborsten. Durch ein im Raum stehendes Regal und einen daran anschließenden Schrank kann man die Hütte von außen nicht ganz ausleuchten und erst recht nicht alles einsehen. Schichtleiter „PK ABC“ leiert über das Megafon seinen gewohnten Spruch herunter: „Alle im Innern der Hütte befindlichen Personen sollen diese unverzüglich mit über dem Kopf verschränkten Händen verlassen wegen notwendiger polizeilicher Maßnahmen zur Festnahme eines gesuchten Verbrechers. Dieser soll sich unverzüglich ergeben, unbewaffnet auf die gleiche Art die Hütte verlassen“. Nach einer Schamfrist erfolgt die erneute Aufforderung mit der Androhung polizeilicher Gewalt. Danach wird das gewaltsame Öffnen der Tür befohlen, da ein Einstieg durch das Fenster wegen der unübersichtlichen Lage unter dem Aspekt der Eigensicherung zu riskant erscheint. Bokolics Streifenbeamter, ein recht stämmiger Beamter untersucht den Türriegel, der mit einem kleinen Vorhängeschloss gesichert ist, stellt fest, dass das Schloss zwar eingehakt aber nicht abgeschlossen ist, entfernt dieses, tritt mit erhobenem rechten Fuß die Tür auf und sichert danach mit durchgeladener Waffe in der Hand Bokolics weiteres Vorgehen, dabei seitlich vor der Tür stehend. Die Waffe im beidhändigen Anschlag tritt Bokolic, wie man es in Kriminalfilmen immer sieht, mit kurzen Schritten, jeweils die Waffe nach rechts und links den Augenbewegungen folgen lassend in die Düsternis der Gartenlaube. Der Laden ist von außen wieder zugefallen und es bedarf schon erdenklicher Anstrengung, außer Schatten und den Umrissen des dürftigen Mobiliars etwas zu erkennen. In dem Augenblick, in dem Bokolic mit dem Kopf um die Ecke des Schrankes in die Finsternis des abgeteilten Raumes zum Regal hin späht, den übrigen Körper immer noch in der Deckung der Schrankseite lassend, hört er ein seltsames Fauchen, sieht einen Schatten, der blitzschnell bis zum obersten Fachboden des körperhohen Regals anwächst. Ein gelbes Augenpaar starrt ihn an; etwas blitzt gleichzeitig in Schulterhöhe des Schattens metallisch auf; und schon krümmt sich der Zeigefinger seiner rechten Hand. Kurz zweimal hintereinander ist das trockene laute Belfern der Waffe zu hören; ein Körper fällt vor dem Regal auf die Holzdielen. Danach geht alles sehr schnell. Der Fensterladen wird aufgerissen, von allen Seiten leuchten Lichter der Handweitleuchten in den kleinen Raum. Vor dem Regal auf dem Dielenboden liegt, kurz noch einmal zusammenzuckend eine große, grau getigerte Katze, die genau zwischen den beiden gebrochen gelbgrün blinkenden Augen ein kleines Loch im Kopf hat, aus dem ein Rinnsal eine immer größer werdende Blutlache auf dem Boden speist. Von dem entwichenen Strafgefangenen gibt es an diesem Tag nur noch zu vermelden, dass er sich am Abend unverletzt aber hungrig und nass wie eine Katze einer Raumpatrouille der für den Bereich der Haftanstalt zuständigen Schutzpolizei stellt. Die getigerte Katze wird als unbekannte Tote von den im Bereich der Kleingartenanlage Waldfrieden eingesetzten Streitkräften mit allen Ehren im befriedeten Bezirk der Anlage zu Grabe getragen. Dem Ehrensalut ist nach Meinung aller Beteiligten mehr als ausreichend Rechnung getragen. Die abgefeuerten Schüsse werden im Bericht als Warnschüsse deklariert. Späterhin soll dieser Vorfall im Fach Dienstkunde an der Polizeischule als ein exzellentes Lehrbeispiel erfolgloser aber nicht folgenloser Putativnotwehr Erwähnung gefunden haben.

 

 

VW gegen Porsche, ein besonderer Vergleich

 

Der Winter in diesem Jahr besteht aus einer einzigen aber desto heftigeren Frostwoche. Die Tage und Nächte zuvor ist es trocken aber beißend kalt gewesen. Am Nachmittag ist wärmerer Südwestwind aufgekommen, der nun dunkle Regenwolken über das Land treibt. Bokolic hat, wie es seine Gewohnheit ist, kurz vor Beginn des Nachtdienstes die 18.00 Uhr Nachrichten gehört und schüttelt jetzt betrübt über die Aussichten auf überfrierenden Regen und zwangsläufig zu erwartende Verkehrsunfälle bedenklich seinen Kopf. Er geht nach vorne in den Schichtleiterraum, wo sich die Kollegen der Spätschicht und seine Mitstreiter zur Dienstbesprechung versammelt haben. Der Dienst übergebende Leiter der Spätschicht erklärt gerade, dass lediglich der Unfallaufnahmebus und ein uralter VW-Buckelklepper mit den, nach neuesten Vorschriften nur noch für Polizei und Rettungsdienste zulässigen Spikes ausgerüstet sind. Winterreifen hat die Behörde mangels Masse in der Kasse sowieso nicht angeschafft. Der Regen beginnt entsprechend der Voraussage gegen 22.00 Uhr. Der Unfallaufnahmebus ist mit zwei Kollegen ununterbrochen auf dem flachen Lande im Einsatz. Uwe, einer der jüngeren Sportasse des Kommissariats ist mit Bokolic zur Streife eingeteilt, die den Bereich der Kreisstadt und der Dörfer in der unmittelbaren Umgebung abdeckt. Bis Mitternacht sind beide Streifen ununterbrochen mit der Aufnahme meist leichterer Blechschadensfälle infolge des Eisspiegels auf den Straßen beschäftigt. Nun sind auch die Spätheimkehrer von den Spätschichten der Firmen, die meist gegen 22.00 Uhr enden, zuhause angelangt. Bei diesem Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Türe schickt, ist abzusehen, dass freiwillig sowieso niemand sich auf die vereisten Straßen begibt. So machen sich Uwe und Bokolic, den bereits aus dem weiteren Umland zur Dienststelle zurückgekehrten Kollegen folgend, mit dem alten VW-Käfer auf den Rückweg zur Dienststelle. Kaum sind sie auf dem Hof angekommen erreicht sie über Funk ein etwas ungewöhnlicher Einsatzbefehl. „Fahren Sie umgehend Ausfallstraße Richtung Südwest. Fahrzeugdiebe mit Porsche, neuer Typ, silbergrau, amtliches Kennzeichen XYZ Strich ZYX 888 sind von Drachenstraße 88 in Richtung Autobahn flüchtig. Mögliche Fluchtrichtung BAB Wiesbaden Frankfurt“. Also donnert Bokolic mit Horn und Lichtsignal auf den aufgezogenen Spikes mit allem was der altersschwache VW hergeben will hinter dem flüchtigen Porsche her. Kurz hinter dem Ortsausgang sehen sie die Rücklichter, des auf spiegelglatter Straße heftig schlingernden Porsche. Mehrmals versucht er zu beschleunigen, muss die Versuche jedoch immer wieder abbrechen, weil er Mühe hat, das Fahrzeug in seiner eisglatten Fahrspur zu halten, um nicht in den spärlichen Gegenverkehr hinein zu geraten. Kurz vor der Auffahrt zur Autobahn, in Höhe des Umspannwerkes schleudert der Porsche bei einem neuerlichen Versuch, dem, auf Spikes situationsbedingt spurtstärkeren Polizeiklepper zu entrinnen, mehrmals um seine Achse kreiselnd über die Fahrbahn und bleibt auf dem gesplitteten Untergrund der Auffahrt zur Umspannstation motorabwürgend hängen. Bokolic setzt den alten VW - Käfer vor die Nase des Porsche und beide, Bokolic und Uwe springen, ihre Dienstwaffen ziehend, aus dem Streifenwagen. Hierbei bedenkt der sportliche Uwe jedoch nicht, dass er beim Aussteigen die schlechtere Seite erwischt hat, denn im Gegensatz zum recht rauen Splittuntergrund auf Bokolic’s Seite, ist die Straße, auf der Uwe aufsetzt, immer noch spiegelglatt. So schliddert Uwe, wie zuvor der Porsche, sich mehrmals mit dem Schwung seines Ausstiegs drehend, über die Straße und landet recht unsanft schließlich auf seinem Hosenboden. Die Pistole gleitet ihm beim Abstützen aus der Hand und rutscht irgendwo in den dunklen Graben. Bokolic ist in der Zwischenzeit an der Fahrertür des Porsche angelangt, reißt diese auf und hält dem immer noch geschockten Fahrer die Mündung der Dienstwaffe drohend entgegen. Dieser streckt daraufhin gehorsam die Hände gegen den Himmel. Der Beifahrer im Porsche hat, wie Bokolic aus den Augenwinkeln bemerkt, sich aus der geöffneten Tür fallen gelassen und sucht nun, auf unsicheren Sohlen hin und her schlitternd über die Straße das Weite. Während Uwe sich mühsam berappelt und fluchend seine Dienstwaffe aus dem Dunkel des Grabens fischt, hat Bokolic den Fahrzeugschlüssel des Porsche abgezogen, den Fahrer aus dem Porsche aussteigen lassen und, nachdem dieser brav die Hände auf dem Dach des Streifenwagens gelegt hat, ihn von Kopf bis Fuß durchsucht. Danach schließt er ihm mit seiner privaten Acht die Arme vor der Brust zusammen und kettet ihn gleichzeitig mit der dienstlich gelieferten Acht an die grundsolide Halterung des Außenlautsprechers sowie an den Türholm des Dienstfahrzeuges. Im gleichen Augenblick bleibt der Geländewagen eines bekannten Fleischermeisters hinter dem Porsche stehen. Der Fahrer ist Bokolic bekannt. Daher bittet Bokolic diesen, auf den Festgenommen und den Streifenwagen aufzupassen, leiht sich dessen Fahrzeug aus, da dieses, hochbeiniger als der mit Wanne versehene VW-Käfer, geeigneter scheint, den über einen Feldweg in Richtung der nahen Autobahnmeisterei flüchtenden zweiten Täter zu fangen. Der gefrorene unebene Boden des Feldweges ist für den Geländewagen kein Problem, hingegen bringen gefrorene Unebenheiten den Flüchtenden immer wieder ins Stolpern. Anstatt sich auf freies Feld zu retten, versucht der Flüchtige an der Umzäunung entlang die Einfahrt der Straßenmeisterei zu erreichen, um sich über den Hof zur nahen Autobahn durchzuschlagen. Bokolic drückt etwas aufs Tempo um auf gleicher Höhe mit dem Flüchtigen angekommen, diesen wie einen gefangenen Fisch mit der Breitseite des Geländewagens ins Netz des Zaunes zu drücken. Daraufhin ergibt sich auch dieser Ganove in sein Schicksal und lässt sich von dem nacheilenden Uwe anstandslos festnehmen. Als Uwe und Bokolic mit dem Festgenommenen zum Streifenwagen zurückkehren, hat sich eine Menschentraube um den am Lautsprecher angeketteten Fahrzeugdieb gebildet. Von Ferne bereits hören die Beiden bereits klatschende Schläge und lautes Wehklagen. Unter dem wirkungslos verhallenden Protest des zum Hilfssheriff verdonnerten Fleischermeisters haben sich einige der Spätheimkehrer daran gemacht, den Dieb einer sofortigen Bestrafung in Form von Schlägen mit der flachen Hand auf das über die Haube des VW gestrecktes Hinterteil zu unterziehen. Als sie der herannahenden Polizisten ansichtig werden, haben sie es eilig zu Ihren Fahrzeugen zu kommen. Bevor die Polizisten am Ort des Geschehens eintreffen, ist der Spuk verschwunden, lediglich der über der Fronthaube liegende Missetäter hat sein Fett weg. Diese Schläge nun können ihm keiner mehr abnehmen. Im Verlauf der Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Autodiebe nichts weiter als Frankfurter Loddel (Zuhälter) sind. Sie haben einer ihnen ausgebüchsten Dame des leichten Gewerbes das für die Gewerbeausübung benutzte Sportfahrzeug entwenden wollen, um sich so für ihre finanziellen Einnahmeverluste zu entschädigen. Der wahrhaftig geschlagene Zuhälter geht in keiner Vernehmung auf die erhaltenen Schläge eingeht. Er lehnt es ab, eine Anzeige wegen Körperverletzung aufnehmen zu lassen. Er betont, ihm sei zu keiner Zeit körperliches Ungemach zugefügt worden, auch wenn der Anschein offensichtlich dagegenspricht, denn während der gesamten Vernehmung lehnt er alle ihm angebotenen Sitzmöglichkeiten beharrlich ab.

 

 

Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf

 

Zusammen mit Georg, einem kurz vor der Pensionierung stehenden Kollegen, fährt Bokolic die letzte Streife der Nachtschicht. Die Sonne kündigt sich mit roten Schleiern durch die Dunstglocke über dem östlich gelegenen Frankfurt am sonst noch dunklen Firmament an. Leichte Nebelschwaden ziehen über die Hallen des Industriegebietes in Nordenstadt vor den Toren von Wiesbaden. Sie umrunden mit dem alten klapprigen VW-Streifenwagen Hallen und Parkplätze. Nur wenige Firmen hier haben einen Nachtwächter oder Sicherheitsdienst, sodass die Büros und Lagerhallen häufig in den Nächten ungebetenen Besuch bekommen. Die Beleuchtung am Wagen ausgeschaltet, lässt Bokolic den Wagen ohne Gas langsam vor sich hin rollen. Sein Beifahrer ist, dank seiner Leibesfülle, in seinem Sitz so eingeklemmt, dass er nicht aus dem Gleichgewicht kommen kann. Er schläft, wie meist zu dieser Zeit, den Schlaf der Gerechten, was sich durch ein leichtes säuselndes Blubbern aus seinem Munde bemerkbar macht. Als der Streifenwagen aus dem Schatten einer Werkshalle über den Parkplatz in Richtung zweier Bürogebäude rollt, flammen rechts davon zwei Scheinwerferkegel auf. Ein dunkler schwerer Pkw schießt an der Streife vorbei in Richtung Straße zur Auffahrt zum Rhein-Main-Schnellweg. „Ein Mercedes Kombi, keine Chance den kriegen wir nicht mehr“, knurrt Bokolic vor sich hin. Beim Einschalten der Fahrzeugbeleuchtung sieht er aus den Augenwinkeln auf dem Flachdach des linken Bürogebäudes einen Schatten, der geduckt in Richtung Vordach sprintet. Bokolic gibt Vollgas und legt eine saubere Wende mit anschließender Vollbremsung vor dem Eingang hin, was wiederum den Kollegen auf dem Beifahrersitz aus dem inneren und äußeren Gleichgewicht bringt. Während Bokolic vor dem Vordach abrupt stoppt, springt die Beifahrertür auf und der Beifahrer Kollege fällt schlaftrunken nach draußen. Als Bokolic endlich mit gezogener Pistole um den Wagen herum ist, bietet sich ihm ein wahrhaft fantastischer Anblick. Unter der Leibesfülle von Georg, in dessen Armen, windet sich jammernd ein junger drahtiger Bursche, der wohl in dem Augenblick, vom Vordach springend, auf dem Boden gelandet ist, als der schlaftrunkene Kollege, die Beifahrertür aufstoßend, ihn damit umrammend, diesen als weiche Matte für seinen Fall aus dem Auto benutzt. Georg murmelt immer nur vor sich hin: „Ich hab ihn, ich hab ihn“. Großer Jubel herrscht später auf über den Fang des „heiligen St. Georg“ und über die Art und Weise, wie dieser Fang zustande kommt. Der verdutzte Einbrecher ist schnell umfangreich geständig. Die zurechtgestellte Diebesbeute wird von Kollegen auf dem Dach des Bürogebäudes sichergestellt. Sein flüchtiger Komplize wird von der alarmierten Autobahnpolizei mitsamt einem gestohlenen Mercedes Kombi kurz vor Schichtwechsel gestellt.