Schon als kleiner Junge bin ich meiner Umgebung aufgefallen mit immerwährend bohrenden Fragen und vielen gebetsmühlenhaft nachgeplapperten Antworten, an die sich immer neue Fragen nach warum, wieso und weshalb bis zu meiner und ihrer totalen Erschöpfung anschlossen. Gleichgültig wen man über mich befragt, alle bestätigen, dass ich seit meiner Kindheit von großer Beredsamkeit bin. Einige werden diesen Charakterzug soweit im negativen Bereich sehen, dass sie mir die Geschwätzigkeit eines alten Waschweibes attestieren. Für meine Mutter und die gesamte Familie gibt es dafür eine einzige recht simple Erklärung: All denen, die meine Mutter daraufhin ansprachen, berichtete sie die nachfolgende Entstehung des redseligen Sohnes. Meine Zunge war durch einen Webfehler im Strickmuster meiner Gene bis an die Zungenspitze mit dem Gaumen verbunden, sodass ich in den ersten Tagen meines Erdenlebens keine irgendwie artikulierten Laute lediglich eintöniges Geplärre von mir geben konnte. Die Hebamme hatte, dies rechtzeitig bemerkt, den Hausarzt von dieser Anormalität unterrichtet, der einem kleinen Schnitt unterhalb der Zunge ansetzte, der mir im wahrsten Sinne des Wortes die Zunge löste. Nach übereinstimmender Meinung aller Mitglieder der Familie hat er hierbei wohl des Guten etwas zu viel getan. Somit trägt der Hausarzt eine gewisse Mitschuld an meinem später allzu losen Mundwerk. Von meiner Seite hat es nie eine Veranlassung gegeben, ihm dies jemals anklagend vorzuhalten, insbesondere da dieser in der Folgezeit durch tatkräftigen Einsatz dafür sorgte, dass mein junges Leben nicht zu Ende ging, bevor es richtig angefangen hatte und mein allzu außerordentliches Sprachtalent zu voller Reife erblühen konnte. Die so gelöste Zunge führte dazu, dass ich ungewöhnlich schnell vor mich hinplappern konnte und kann. Jedoch gab und gibt es gewisse Laute, deren Erzeugung mir, ob der zuviel gelösten Zunge, Schwierigkeiten machte und heute noch macht. So konnte ich in den ersten Lebensjahren überhaupt kein rollendes „ERrrrrr“ aussprechen. Dies führte dazu, dass der Satz „der Mond ist rund“ zu einer fürwahr chinesischen Aussprache geriet. Dieser Satz „Del Mond ist lund“ mit anschließender Fragestellung „walum is del Mond lund“? gehörte zum Repertoire wiederkehrender Vollmondnächte. Er wurde zu einem geflügelten Satz in unserer Familie, um die individuellen Besonderheiten eines Menschen zu verklausulieren.
Der große Krieg näherte sich dem Ende, was die Flüge der Bomber zu den südlicher liegenden Hütten von Stumm und Röchling noch verstärkte. Auf den Bahngeleisen im Illtal fuhr ein hoch reichendes Flugabwehrgeschütz hin und her, um sich durch den ständigen Ortswechsel dem Zugriff der Jabos zu entziehen Wenn die Sirene zum Luftalarm ertönte, und das tat sie immer öfter, bevor die Schwärme der Bomber hoch über unser Dorf zogen, mussten wir in den heimischen Keller, wo im hinteren Teil mehrere Pritschen aufgeschlagen worden waren. Meist kamen die Nachbarn hinzu, damit man die Kinder besser beruhigen und für etwas Kurzweil sorgen konnte. In den wenigen schwerwiegenden Fällen suchten wir Schutz in dem Stollen der Bierbrauerei, der zum Luftschutzbunker ausgebaut worden war. In Friedenszeiten wurde der Stollen zur Lagerung der Fässer und insbesondere des zur Kühlung benötigten Stangeneises genutzt. Herbert und Günter besuchten tagsüber schon den Kindergarten. Zwischen der Sommerernte und der Zeit der Kartoffelfeuer hatte meine Mutter etwas mehr Zeit für mich. Diese nutzte sie, um mit den beiden Geißen und dem Nesthäkchen den steilen Hang am Berg neben dem Haus hinaufzusteigen, denn hoch droben am Hang war das Gras ungemäht und saftig, und das Fallobst war in diesem Jahr wegen der anhaltenden Trockenheit allzu früh und reichlich vom Boden aufzulesen. So trieb sie die Geißen mit einem Korb in der linken Hand den Hang hinauf. Die Jüngere der Geißen war recht anhänglich und gehorchte den Zurufen und den Korbschwüngen aufs Wort. Die alte Geiß jedoch war ein ekliges Biest. Sie hatte den starrsinnigen Kopf, wie er oft älteren Menschen zu Eigen ist, und konnte oder wollte partout weder auf gute Worte noch auf leichte Schläge mit dem Korb parieren. Da sie immer noch jeden Abend, widerspenstig aber getreulich, die größte Menge Milch ablieferte, war Großmutter nicht zu bewegen, sich von der Geiß zu trennen. Auch warf sie jedes Jahr zwei Zicklein, von denen eines zum österlichen Braten, das andere zur Nachzucht bestimmt war. Das Schicksal des Osterzickleins ließ bei uns Kindern jedes Jahr einen Strom an Tränen fließen. Großmutter jedoch hatte mit geduldigem Zureden und unter anschaulichen Beispielen der gottgewollten Zweckbestimmung der in Pfanne und Kochtopf landenden Milch und Eier, Junghähnchen und Althennen, Kaninchen und Puten, wie auch des jährlich im Winter geschlachteten Schweins, das Schinken, Koteletten, Wurst, Schnitzel und Schmalz und die später als Fußball dienende Schweinsblase abliefern musste, auf der Unabänderlichkeit der Schicksale bestanden und uns aufgeklärt, welchen Hungertodes wir und alle unsere Lieben sterben müssten, wenn nicht Pflanzen und Tiere aus Haus und Hof zu unserer aller Ernährung beitragen würden. Mit der rechten Hand war Mutter beschäftigt, das Nesthäkchen der Familie, über die steilste Stelle des Hanges zu hieven, als die alte Geiß zu einer erneuten Attacke ansetzte. Die Geiß stand oberhalb des Steilstückes und schaute tückisch auf das von ihr schon lange heiß begehrte rotgeblümte Kopftuch meiner Mutter. Bevor Mutter die Absicht der Geiß erahnen konnte, hatte diese bereits mit einem Ruck ihrer Mahlzähne das lose gebundene Tuch vom Kopf meiner Mutter gerissen, und, bevor diese mich im Gras absetzen konnte, das Tuch bereits zur Hälfte hinuntergeschlungen. Nachdem ich unter Protest unsanft im Gras gelandet war, sah ich dem spannenden Zweikampf zwischen meiner Mutter und der alten Geiß mit den Füßen strampelnd zu. Meine Mutter zog und zerrte an dem aus dem Maul heraushängenden Zipfel, während die alte Geiß in kleinen Schritten rückwärts den steilen Hang hinaufstrebend, Stück um Stück des begehrten Tuches in sich hineinwürgte. Irgendwann blieb der alten Geiß wegen des in ihrem Schlund stecken gebliebenen Tuches die Luft weg. Röchelnd sank sie zur Seite und purzelte wieder ein Stück den Hang hinunter. Meine Mutter aber schwenkte triumphierend das wiedereroberte Kopftuch über ihrem Kopf, das, bei dem Überschlag der Alten Geiß am Hang, aus deren Schlund heraus geglitten war. Nachdem sich alle Beteiligten von Anstrengung und Schrecken erholt hatten, setzten wird den Aufstieg fort. Am oberen Hang, unter einer Reihe von Apfelbäumen fanden wir den richtigen Fleck. Ich schaute im Grase sitzend den oben am Himmel über dem Dorf im Tal schwebenden Bussarden zu. Die beiden Geißen taten sich an dem im Schatten der Bäume noch recht saftigen Gras gütlich, und meine Mutter sortierte die guten Falläpfel in ihren Korb, die angefaulten oder angeschlagenen warf sie den Geißen zum Fressen hin. Während die jüngere Geiß die Äpfel vorsichtig zwischen die Zähne nahm und sich handliche Stücke davon herausbiss, um diese anschließend zu zermahlen und zu schlucken, nahm die unbelehrbare gefräßige Alte die Äpfel ganz ins Maul und versuchte sie hinunterzuwürgen. Einige Male war ihr dies auch durchaus gelungen. Unter einem Baum angekommen, der mit großen rotbackigen Äpfeln gesegnet war, erwischte sie jedoch wohl einen allzu großen Apfel. Der Apfel schien sich anstandslos im Stück verspeisen zu lassen. Letztendlich blieb er aber der Geiß trotz eifrigen Würgens im Schlund stecken. Mühsam röchelnd, die Augen wegen der Anstrengung fast vor den Kopf, torkelte sie auf Mutter zu. Diese, in berechtigter Sorge um die gute Milchziege, griff beherzt nach der Ausbeulung am Halse und massierte diese so lange, bis der Apfel weiter glitt und wohl endgültig im Magen der Geiß verschwand. Zitternd und vollkommen ermattet ließ sich die Geiß zu Boden fallen, wo sie schnaufend und röchelnd eine Zeitlang liegen blieb. Gierig, gefräßig und störrisch jedoch ist die alte Geiß bis an ihr Lebensende geblieben. Nachdem meine Mutter den Korb mit Äpfeln gefüllt hatte, setzte sie sich zu mir im Schatten eines Baumes auf die Wiese und beantwortete meine tausend Fragen zu den Vögeln am Himmel, den Häusern im Tal, den Insekten auf der Wiese und und und ... . Am späten Nachmittag hörten wir das Jammern der Luftschutzsirenen aus dem Tal. Nachdem einige Zeit vergangen war, wummerten die Abschüsse des Luftabwehr-Geschützes auf der Schienenlafette, die zwischen den Dörfern auf dem Schienenweg hin und her pendelte. Kleine weiße Wolken zeigten die, ohne Wirkung verpuffenden, Sprenggranaten an. Die Bomber erschienen wie ein Mückenschwarm in weiter Ferne am Himmel und zogen von Süd nach Nord Formation fliegend über das Tal und das Dorf hinweg. Im Schatten an den Stamm des Baumes geduckt, sahen wir, wie unten im Tal einzelne Häuser mit großem Knall zerbarsten und unter der Wirkung der Brandbomben im Feuerschein zerstoben. Dunkle Rauchwolken stiegen aus den wie Feuerwerk anmutenden Reihen von Explosionen auf. All diese Ereignisse erschienen mir unwirklich weit entfernt, eher zu einem Sandkastenspiel zu gehören. Meine Mutter hatte mich schützend in den Arm genommen und streichelte mir über den Rücken, wenn ich bei dem Lärm der fernen Explosionen furchtsam zusammenzuckte. Es dauerte nicht lange, dann war der Pulk der Bomber vorbeigezogen, der Explosionslärm verebbt, und nur noch die flackernden Feuer und die gegen den Himmel steigenden Rauchwolken zeugten von dem Geschehen. Am Abend, als wir ins Tal zurück gestiegen waren, hörte ich aus den Worten der Nachbarn, die sich bei uns um den Küchentisch versammelt hatten, die große Erschütterung und das Entsetzen über den Fliegerangriff auf unser Dorf heraus. Bei diesem und zwei weiteren Angriffen wurde die katholische Kirche auf halber Höhe des anderen Hanges unseres Kirchbergs ebenso ein Opfer der Flammen, wie viele einzelne Häuser und Gehöfte im alten Ortskern. Es gab weit über ein Dutzend Tote und noch viel mehr Verletzte zu beklagen, darunter viele Frauen und Kinder. Bis in die späten Abendstunden hatten an solchen Tagen die Helfer damit zu tun die Verschütteten aus den Kellern der zerstörten Häuser zu bergen. Viel später erst habe ich dies richtig begriffen. Die Bombergeschwader hatten, wegen der, in großer Höhe an Fesselballons über die kriegswichtigen Industrieanlagen gespannten Netze, ihre todbringende Fracht dort nicht abladen können. Daraufhin waren sie umdirigiert worden, um das auf dem Abstellgleis vermutete Flakgeschütz endgültig auszuschalten. Hierbei hatten sie ihre todbringende Fracht als Bombenteppich über dem gesamten Ort bis hin zur katholischen Kirche abgeladen. Wie so oft in diesem Krieg waren wieder nur unschuldige Zivilisten getroffen worden.
All die Kinder, die in kinderreichen aber vaterarmen Familien der Nachkriegszeit groß wurden, haben das Prinzip der Wiederverwertung durch eine Endlosschleife der Übernahme von Bekleidung, Spielzeug und Schulsachen vom Vorvorgänger zum Vorgänger zu sich selbst und den Nachkommenden in der Praxis durchlitten. Heute sind solche Vorgänge auf die anonymen Second Hand Läden verlagert worden, in denen schon sehr wählerisch über Annahme oder Ablehnung gebrauchter Sachen entschieden wird. Zu unserer Zeit waren Markennamen kein bekannter Handelsbegriff und auch kein Auf- oder Abwertungskriterium. Übergeben an die Jüngeren wurde das, was den Älteren zu klein geworden war oder von ihnen, im eigentlichen Sinne des Wortes, nicht mehr zu gebrauchen war. Zerschlissene Pullover wurden aufgezogen, die noch brauchbare Wolle erneut zu Wollknäueln aufgerollt, und mit anderen Wollknäueln zu „neuen“, verwegen farbigen Pullovern, Leibchen, Hosen und Jacken oder zum allerletzten Male zu Socken verstrickt. Der Phantasie waren bei der Wiederverwertung der Dinge des täglichen Gebrauchs keine Grenzen gesetzt, getreu dem Wahlspruch „Not macht erfinderisch“ wurde aus den Dingen des täglichen Bedarfs, wenn sie zu ihrer Zweckbestimmung nicht mehr taugten, all das herausgeholt, was menschliche Phantasie noch irgendwie in sie hineininterpretieren konnte. Auch wir Kinder waren es gewohnt mit allen für uns greifbaren Sachen zu spielen und ihnen teils unbegreifliche, teils abenteuerliche Bestimmungen beizumessen. Da ich der Jüngste von allen Jungen in der Verwandtschaft, wie auch in der Nachbarschaft war, hatte ich aus meiner Sicht gesehen, einen nur winzigen Nachteil dafür aber einen großen Vorteil. Alle meine Sachen, ob Schulsachen, Kleidungsstücke oder Spielsachen waren meist nicht neu. Dies war der winzige Nachteil, weil auch mein älterer Bruder und der fast gleichaltrige Cousin sich die gebrauchten Sachen Dritter teilen mussten und nur selten etwas Neues erhielten. Der große Vorteil bestand aber darin, dass ich freie Auswahl unter den mir überkommenen gebrauchten Stücken hatte und viele Sachen bis zu deren endgültigem Ende behalten konnte, da kein Nachfordernder hinter mir mehr in Sicht war. Tante Änni hatte, woher auch immer, einen größeren Stapel an dreiviertellangen „HJ- Hosen“, also Uniformhosen der Hitlerjugend, vor den gestrengen Augen der französischen Alliierten beiseite geschafft. In Farbe und Form konnten diese Hosen von den drei Jungs ohne Veränderung nicht getragen werden. Um die Herkunft gegenüber möglicherweise bösgläubigen Dritten, zu verschleiern, wurden die Hosen zuerst einmal zusammen mit Nussschalen im großen Wäschebottich gekocht. Daraufhin nahmen sie eine dunkelbraune Farbe an. Nach mehr oder weniger modischen Veränderungen in Größe, Farbe und Form waren sie danach als ewige Versschleißteile für uns drei Jungs mehr als geeignet. Im Laufe der Nachkriegszeit kamen, mit erstarkender chemischer Industrie, preisgünstige Textilfarben auf den Markt, die, gegen Eier und andere landwirtschaftliche Produkte auf kleinstädtischen Schwarzmärkten eingetauscht, es unseren Versorgerinnen gestattete, sowohl diese Hosen, wie auch die Fallschirmseide vom obersten Speicher und andere unter mehr als zweifelhaften Umständen gehortete Stoffe und Textilien in den buntesten Farben erblühen zu lassen und so dem aktuellen Modebedürfnis, wie auch dem Bedürfnis nach Verdunkelung der Herkunft Rechnung zu tragen. Ein leidiges Problem bei uns Buben waren jedoch die Schuhe. Unsere Füße entwuchsen immer wieder viel zu schnell den angepassten Sohlen. Daneben wurden die Treter beim Fußballspielen über Gebühr strapaziert, sodass der Verschleiß und die Nachfrage das begrenzte Angebot des Nachkriegsmarktes bei weitem überstieg. Mein Großvater väterlicherseits, der als pensionierter Grubenschmied sich nicht nur mit den Sohlen von Pferden auskannte, hatte sich zu diesem Thema schon mehrmals Gedanken gemacht. Als großer Tüftler und nebenberuflicher Bergmannsbauer kam ihm sehr zupass, dass er mit seinem praktischen Verstand alle greifbaren Dinge seines Umfeldes zur Bewältigung von besonderen Problemen heranzog und auf Brauchbarkeit überprüfte. So war ihm in den Sinn gekommen, dass auch Wehrmachtautos wohl auf Reifen durch die Gegend gefahren waren und diese teils noch in Wald und Feld, ausgeschlachtet aber meist noch bereift, vor sich hin rosteten. Wenn die Autos auf den Reifen durch die halbe Welt gefahren waren, warum sollten seine Enkel und andere Kinder nicht auf dem gleichen Material über Stock und Stein hüpfen können? Gedacht, getan: mehrere solcher Schrottkisten wurden ihrer Reifen entledigt, alte Motorradschläuche eingesammelt, und auch noch die von Soldaten weggeworfenen Essgeschirre aus Aluminium hinzugezogen. Aus den Reifen wurden mit der großen Schlagschere passende Stücke herausgeschnitten, nicht zu klein, dass sie auch den Größeren unter die Füße angepasst werden konnten. Die unerwünschte Krümmung wurde durch Erwärmung über der Esse seiner Werkstatt mit anschließender Pressung in der großen Blechpresse beseitigt. Danach wurden die Füße auf das so entstandene Sohlenmaterial gestellt, die Größe und Form sorgfältig aufgezeichnet, und mit einem scharfen Schnitzmesser die eingespannten Sohlen auf gewünschte Form zurechtgeschnitten. Ein aufgeklebter Filz, aus den alten Sitzbänken der Wehrmachtsautos entfernt, sorgte dafür, dass wir vom schwarzen Gummi der Sohlen später keine Neger- oder Schweißfüße bekamen. Für das Obermaterial wurde, soweit die Treter für Fußballspiel oder Wintereinsatz dies erforderten, dünnere gespaltene Gummiteile oder alte gegerbte Rindshäute verwendet. Die Übrigen, zu Sandalen verarbeiteten Stücke, wurden mit stabilen Haltebändern aus Motorradschläuchen versehen, die Schließen wurden aus alten Aluminiumteilen gestanzt und zurecht geschliffen. Im Übrigen verhalf die Nietenpresse zu dauerhaften Verbindungen der einzelnen Teile miteinander. Selbst der Schuhmacher des Ortes hat in der Folge auf haltbare Sohlen aus Großvaters Beständen zurückgegriffen und ihm, im Tausch gegen die Schnallen aus Aluminium, Brandsohlen und Obermaterial für Weiberschuhe überlassen. So waren wir, dank des Einfallsreichtums, trotz der Knappheit ausreichend mit Kleidungsstücken und Schuhen versorgt. Ähnlich wie Bekleidungsstücke, wurde auch das Spielzeug überwiegend in Eigenleistung hergestellt. Beim Übergang vom Vorgänger zum Nachfolger wurde das Objekt der Begierde zuerst einmal aus dem Verkehr gezogen, dann generalüberholt und später mit anderem Anstrich versehen an entsprechenden Schenktagen wie Geburtstagen, Weihnachten und dergleichen mehr an den stolzen neuen Besitzer übergeben, dem meist nicht einmal auffiel, dass dieses Spielzeug früher einen anderen ebenso stolzen Besitzer gehabt hatte. Wenn es ihm aber in den Sinn kam, so entstand daraus keineswegs Streit oder Zwietracht, denn man spielte ja mit dem Spielzeug, das anderen gehörte, fleißig mit. Ausnahme von dieser Regel waren im Grunde nur die Kinderbücher, die aus besseren Friedenszeiten auf uns Buben übergegangen waren. Kinderbücher waren jedoch ein Gemeinschaftsbesitz aus dem uns von Großmutter, aber auch Müttern und Tanten, vorgelesen wurde. Erinnern kann ich mich noch deutlich an die Bilder aus der Hasenschule, Gesinchen aus dem Wunderland aber auch an Grimms Märchen, Andersens Märchen und die Fibel mit der Geschichte von Max und Moritz und den übrigen Erzählungen Wilhelm Buschs. Sobald ich mit dem Lesen angefangen hatte war kein Buch mehr vor mir sicher. Ab diesem Zeitpunkt hütete ich eifersüchtig die mir zu Weihnachten oder meinem Geburtstag geschenkten Bücher als ureigensten Besitz. Daneben gab es noch einen Kasten mit Holzklötzchen und Bausteinen, geschnitten aus gelbem und rotem Sandstein, von dem ich mich bis zum Alter von zwölf Jahren nicht trennen mochte, obwohl man in diesem Alter meist solchen Spielen längst entwachsen ist. Mit diesen Steinen und Klötzen habe ich im unteren Querweg des Hausgartens Phantasiegebäude errichtet: Burgen und Schlösser, Hochhäuser Aussichtstürme, Blockhäuser und Villen. In diesen Gebäuden lebten und handelten in meiner Phantasie die Gestalten aus meinen Büchern: Ritter und Fürsten, Trapper und Indianer, Kaufleute und Schurken.