Die Geschichte spielt in der Zeit, in der sich Bokolic langsam vom mütterlichen Zuhause abnabelt und Saarbrücken zu seiner ersten Wahlheimat kürt. Die rote Zora ist damals am St. Johanner Markt ein Begriff. Sie lebt vom Verkauf von Zeitungen sowie von Alkohol aber nicht von dessen Verkauf. Ihr eigentliches Zuhause sind die Straßen und Gassen des Viertels, die Kneipen am Markt, daneben eine kleine Unterkunft. Manchmal sucht sie auch die Begleitung der Pennbrüder, die unter den Brücken der Saar und in den Anlagen der Parks hausen. Der junge Bokolic hat gerade einmal drei Monate als Lehrling im Elektrohandwerk hinter sich gebracht. Der Geselle, dem er für die ersten Monate zugeteilt wird ist ein gutmütiger, naiver, dabei ein kräftig gebauter Junggeselle, der immer noch mit leicht polnischem Einschlag den Dialekt seiner oberschlesischen Heimat spricht. Die beiden sind am frühen Morgen vom Meister persönlich zu einer der vielen Kneipen am Markt geschickt worden. Dort sollen sie nun endlich mit der Sanierung der maroden Elektrik beginnen, bevor die Bauaufsicht das ganze Gebäude wegen akuter Brandgefahr sperren kann. Die Sanierung geht bei laufendem Betrieb vonstatten, denn der Besitzer des alten Hauses und gleichzeitig Inhaber der Kneipe kann es nicht riskieren einen einzigen Kunden zu verlieren. So lernt Bokolic während der Arbeit ganz nebenbei das Leben und die Menschen am Markt kennen, die Stammgäste und Kneipengänger, die jungen grell geschminkten Mädchen, von der Sorte, die Bokolic vor Jahren im fernen Südfrankreich kennen- und schätzen gelernt hat, ihre braungebrannten Jungs, die ihren Tag mit Kartenspielen und Würfelspielen im Nebenzimmer verbringen und dabei das Geld verzocken, das sie vorher mit fordernder Hand von ihren Mädchen absahnen, wenn diese mit einem befriedigten, zufriedenen Kunden die Stiege herabkommen und die Kneipe betreten. In den oberen Stockwerken befinden sich über der Kneipe kleine dunkle Zimmerchen mit überbreiten französischen Betten in barockem Fransenoutfit, altertümlichen Waschschüsseln aus blumigem Emailblech oder gesprungener Keramik, daneben gefüllte Kannen mit Wasser auf Kommoden, sowie rein funktionale Bidets, vorhangumsäumt. Hier gehen die jungen Dinger ihrem Tag- und Nachtwerk nach, sind Gästen, Handwerksburschen, Verkäufern, ja sogar Polizisten und Richtern zu Diensten, um danach ihr sauer verdientes Geld mit den goldbehangenen, muskelbepackten Beaus im Billardzimmer der Kneipe zu teilen und vorne am Tresen, auf Kundschaft wartend, ihren Kummer über das leichtsinnig vertane Leben in Alkohol zu ertränken. Die Rote Zora ist auf ihrer täglichen Verkaufsrunde durch die Cafes und Kneipen des Marktviertels zu guter Letzt in ihrer Stammkneipe gelandet. Der gutmütige Geselle hat ihr eine Zeitung abgekauft, obwohl er, wie Bokolic weiß, eigentlich gar kein Zeitungsleser ist. Danach ist sie in die hintere Ecke des Tresens an ihren Stammplatz geschlurft. Den von der Morgentour übrig gebliebenen Stapel Zeitungen schiebt sie vor ihrem Hocker auf den Tresen. Dies stört offensichtlich zwei sturzbesoffene junge Kerle, die daraufhin die Rote Zora massiv anpöbeln und mit unflätigen Ausdrücken belegen. Dabei schubsen sie die arme Alte zwischen sich hin und her. Mein Geselle sieht sich dies eine Weile von oben auf seiner Ausziehleiter hockend an. Als einer der beiden Streithansel jedoch mit unbedachter Bewegung den Stapel Zeitungen zu Boden fegt, steigt der oberschlesische Junggeselle von der Leiter, drückt Bokolic ein kurzes Kabelende in die Hand und meint bedächtig: „Nur für alle Fälle, mein Jungchen, wenn Du es brauchst,“ meint er mit kurzem Blick auf die stiernackigen Schläger. Dann setzt er noch hinzu: „Aber jetzt wollen wir mal. Schließlich könnte die Rote Zora ja unsere Großmutter sein“. Bokolic begreift nicht ganz, wie sein Geselle die schniefende, fast zahnlose Rote Zora mit seiner adretten sauberen Großmutter vergleichen kann, sieht jedoch ein, dass es so nicht weitergehen kann. Schließlich hat die Rote Zora doch niemanden etwas angetan. Der erste Schlag, den der oberschlesische Junggeselle landet, ist nicht von schlechten Eltern. Der größere der beiden Randalierer bekommt ihn vollkommen unerwartet in die Magengrube, worauf er spuckend und würgend vor der Theke in die Knie geht, um sich nach einem Tritt in seine Weichteile seufzend aus dem Gefecht zu verabschieden. Der kleinere und jüngere der beiden scheint jedoch in Schlägereien geübter zu sein. Er stößt die Rote Zora mitsamt ihrer Zeitungstasche gegen den Tresen, duckt sich vor dem kommenden Schlag weg und erwischt mit seiner Parade den oberschlesischen Elektriker voll an der Schläfe, worauf dieser sich zu dem am Boden liegenden Säufer gesellt. Dann wendet er sich dem jungen Bokolic zu, der sich schützend vor die jammernde Alte gestellt hat. Er taxiert ihn mit geübtem Blick: „Na Bubche, was wellscht denn Dau?“ Es folgen einige spielerische Schläge auf Bokolics Oberkörper und an den Kopf. Bokolic sieht sich bereits bei seinem Gesellen am Boden enden, als ihm plötzlich das Kabelende in seiner rechten Hand bewusst wird. Er schlägt mit kaum wahrnehmbarem Ansatz kurze harte Schläge rechts und links auf die in Boxerstellung gehobenen Arme seines Gegenübers. Dieser jault auf, verzieht schmerzlich das Gesicht, will aber nicht von Bokolic ablassen. Dessen letzter Schlag lässt mit weit ausholendem Schwung das Kabelende auf das rechte Schlüsselbein krachen. Der Schlagarm fällt daraufhin kraftlos und wie gelähmt nach unten. Der Getroffene taumelt nach hinten und hält sich, weiter jammernd, mit seiner linken Hand den rechten Oberarm, so als ob dieser eine kräftige Unterstützung brauche. Zwischenzeitlich hat das Gekreische der zuschauenden Damen ihre braungebrannten Jungs aufgeschreckt. Sie, die doch immer gerne bereit sind die Ordnung in ihrer Kneipe wieder herzustellen, sympathisieren sofort mit der Roten Zora, die irgendwie ja auch zu ihnen gehört, aber auch mit den schließlich von ihrem Wirt beauftragten Elektrikern. Mit kräftigem Schwung werden die beiden schlappen Schläger vor die Tür befördert, nicht ohne ihnen vorher das Kleingeld für die Zeche, eventuell entstandene Unkosten, Schmerzensgeld und eine Lokalrunde abgeknöpft zu haben. Sie lassen danach zuerst sich selbst, dann ihre Mädchen sowie die Rote Zora und zum Schluss den oberschlesischen Gesellen und Bokolic, den kleinen Ritter vom St. Johanner Markt hochleben. Immer, wenn Bokolic in den nachfolgenden Jahren der Roten Zora über den Weg läuft, begrüßt sie ihn mit: „Na mein kleiner Ritter von St. Johann, wie geht es dir? – Ein kleines Turnier gefällig?“ Dann bleibt Bokolic nichts anderes übrig, als meist seine letzten Groschen zusammen zu kratzen und auf diesen Spruch mit der Roten Zora in der nächst erreichbaren Kneipe einen oder auch mehrere zu heben.