Bokolic fühlt sich zum ersten Male während seiner Zeit in der Lehre rundherum wohl. Sein Lehrmeister hat ihn auf unbestimmte Zeit zum Krankenhaus auf dem Reppertsberg abgeordnet. Das Krankenhaus hat eine eigene Elektrowerkstatt. Diese besteht aus zwei Räumen im Untergeschoss eines Gebäudes, in dem darüber die Radiologie untergebracht ist. Im ersten Raum herrscht Ludwig, ein nahe dem Rentenalter stehender Handwerker, mit einer Leibesfülle gesegnet, die jedem mittelalterlichen Abt gut zu Gesicht gestanden hätte. Er ist mit allen Schwestern, Oberschwestern, Pflegern und Ärzten gut Freund und wegen seiner unerschütterlichen Heiterkeit und Ruhe, selbst in kritischen Situationen, überall wohl gelitten. Vom ersten Tag an behandelt er den jungen Bokolic wie seinen eigenen Sohn, teilt mit ihm Arbeit, Freizeit, Stullen und Kaffe und weist ihn, anhand praktischer Beispiele, an denen es an einem solchen Ort wie dem Krankenhaus, mit viel weiblichem Personal aller Kategorien, nicht mangelt, in die tieferen Geheimnisse der spezifisch weiblichen Besonderheiten im Geiste wie der Seele ein, wobei er auch die körperlichen Besonderheiten keinesfalls unterschlägt. Nur mit dem Beherrscher des zweiten, hinter der Werkstatt liegenden Raumes führt Ludwig wohl schon seit Jahren einen schweigsamen Dauerkrieg. Dieser Herr Römlich ist ohne Zweifel das krasse Gegenstück zum wohlbeleibten Ludwig. Unnahbar, hochnäsig und mit spinnenhaft dürren Gliedmaßen einem Hals und einem Gesicht, das einem Geier zu gehören scheint stolziert er über die Flure der Radiologie. Ihm unterstehen die Steueranlagen, Röhrengeräte und Bildschirme des beginnenden elektronischen Zeitalters. Mit Handwerkern aber auch Schwestern, Pfleger und Oberpflegern wie auch mit Bokolic hat er nichts am Hut. Er gibt sich nur mit den gleichfalls weiß bekittelten Ärzten und Röntgenassistentinnen ab, die ihn jedoch durch die Bank wegen seiner Arroganz und Impertinenz nicht leiden können. Ab und zu nimmt er eine der in der Radiologie verwandten ausgedienten vielfach gewendelten Riesenröhren in die Hand, setzt sie sich auf den Kopf und marschiert, mit dem weißen Kittel über Kopf und Röhre gezogen, wie ein Gespenst durch die Gänge der Radiologie. Die Röhren leuchten wegen der extremen Geräteabstrahlungen der alten Geräte in der Radiologie in unheil verkündendem grünen Geisterlicht. Herr Römlich erschreckt damit ahnungslose Patienten, unbedarfte Schwestern, frisch eingetroffene Assistenten und den armen Bokolic fast zu Tode. Viel später wird aus diesem Scherz blutiger Ernst. Bokolic erfährt nach Jahren von dem inzwischen im wohlverdienten Ruhestand lebenden Ludwig, dass Herr Römlich sich beim leichtfertigen Umgang mit den strahlenden Apparaturen einen unheilbaren Blutkrebs zugezogen hat und daran wohl vorzeitig verstorben ist. Doch zurück zu Ludwigs Werkstatt. Morgens nach dem Frühstück begibt sich Ludwig auf seine Inspektionsrunde durch die Häuser und Abteilungen, um mal hier, mal dort einen Plausch zu halten, kurz eine Glühbirne auszuwechseln oder die Ansage notwendiger größerer Reparaturen entgegenzunehmen. Ludwig macht dies vor allen Dingen Bokolic zuliebe. Denn nach dem Frühstück laufen die kleinen hübschen Lernschwestern, abteilungsweise hintereinander in der Werkstatt ein, um bei dem adretten Lehrling ihrerseits einen Plausch zu halten und das eine oder andere Elektrogerät oder Elektrokabel, manchmal schon verdächtig oft, zur Reparatur zu bringen. Hierbei achten sie streng darauf, auf dem Reparaturzettel deutlich ihren Namen und ihre Station anzugeben, manche bitten sogar, das Gerät nach der Reparatur im Lernschwesternwohnheim bei ihnen persönlich abzugeben. Nach Ludwigs Unterricht in weiblichen Verhaltensweisen nimmt dies Bokolic alles gelassen und freundlich hin und denkt sich seinen Teil dabei. Meist schickt er dann den unerschütterlichen Ludwig mit dem reparierten Teil ins Wohnheim, der augenzwinkernd den Botengang prompt erledigt, weil, wie er lächelnd dazu meint, manche Gänge für einen solch jungen Spund wirklich noch zu gefährlich seien. Am liebsten sind jedoch Bokolic die kurzen Momente, in denen die leichte Arbeit getan ist, die Werkstatt aufgeräumt ist und er auf die Rückkehr Ludwigs von einer seiner Exkursionen ins Haus wartet. Sonnenstrahlen tanzen vor dem Fenster über der Werkbank im Staub, der vom Fegen aufgewirbelt wurde. Es liegt ein Geruch von Lötpaste, angesengtem Gummi und dem Bohrstaub von Bakelit in der Luft. Von draußen hört man die Vögel zwitschern, in der Ferne das Tatü - Tata eines näher kommenden Krankenwagens, sonst ist alles still und friedlich. So könnte sich Bokolic seine Arbeit auf Lebenszeit vorstellen.