Es war in der Zeit, als ich neben der Tätigkeit als Seilerwarenverkäufer, Möbelpacker und Aushilfskellner auch das Staatliche Abendgymnasium zu Saarbrücken besuchte. Noch immer wohnte ich bei Muttern zu Hause in Dirmingen. Das bedeutete Montag bis Samstag vor dem ersten Hahnenschrei aufstehen, denn der Zug, der mich zur Arbeit nach Saarbrücken brachte, fuhr gegen 06.00 Uhr vom heimatlichen Bahnhof ab. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag begann nach Arbeitsende der Unterricht am Abendgymnasium, der bis 22.00 Uhr andauerte. Danach erwischte ich, jedoch nur wenn ich mich sehr beeilte, den letzten Bus nach Dirmingen. Immer öfter jedoch kamen langatmige Erörterungen mit Kommilitonen und –innen nach Schulschluss dazwischen und so blieb als einziger Ausweg, entweder die Übernachtung bei Letzteren oder der Reiseweg per Anhalterdaumen in Richtung Schlafheimat. Die Reiseroute führte zum Kreisel hinter den Bahnüberführungen in Richtung Rastpfuhl und von da auf die Bundesstraße Richtung Qierschied und Merchweiler, danach entweder über Humes oder Uchtelfangen oder über Illingen und Wustweiler nach Dirmingen. Wenn man so oft zur gleichen Zeit auf gleicher Strecke unterwegs ist, dann lernt man genau die Menschen kennen, die es mitsamt ihren Autos zur gleichen Zeit auf gleicher Strecke umtreibt. Meist waren dies Spätschichtler auf dem Weg nach Hause, die froh und dankbar über die Unterhaltung waren, die ihnen ein junger Spund mit seinen munteren Erzählungen während der eintönigen Fahrt durch den Holzer Wald bot. Oft waren es auch Hausfrauen, die etwas verspätet von einem Einkaufsbummel in der Stadt widerwillig zu ihren häuslichen Verpflichtungen zurückkehrten. Diese zerflossen vor Mitleid über den jungen armen Tramper und brachten mich häufig, trotz Umweg, den sie machen mussten, bis vor die Tür meiner Schlafstatt, manchmal auch ohne Umweg direkt vor ihre eigene Haustür, wobei sie dann listig darauf hinwiesen, dass es wohl zu spät zum Weitertrampen sei, und das Haus wie auch die eigene Person etwas verwaist, in dieser Nacht eines männlichen Aufpassers bedürften. Eines Nachts, endete die Fahrt an einer Abzweigung mitten im Wald, da der Spätschichtler, der mich zum ersten Male mitgenommen hatte, dort von der Hauptstraße in Richtung einer abgelegenen Grubensiedlung abbog. Da ich an dieser Stelle keine Chance sah, zu so später Stunde von einem Autofahrer aufgenommen zu werden, machte ich mich kurz entschlossen auf Schusters Rappen auf den Weg. Einem alten Bergmannspfad durch den Wald folgend, rechnete ich mir aus, vor Schließung des Qierschieder Tanzcafes dort anzukommen, um dann sicher einen Bekannten zu finden, der wie ich den Weg nach Hause ins Dirminger Tal vor sich hatte. Nach etwa einer Viertelstunde strammen Fußmarsches, ich befand mich mitten in einem kleinen Krüppelwäldchen junger Buchen und Eichen, quiekte zuerst etwas neben mir, so als ob ich irgendeinem Jungtier auf den Schwanz getreten hätte. Tatsächlich war eine Rotte Frischlinge mit zwei Bachen unterwegs zum versumpften nahe gelegenen Grubenweiher. Bevor ich mich versah, waren die Bachen mit wütendem Grunzen hinter mir her, um den Wüstling, der ihren Jungen zu nahe gekommen war, zu maßregeln. Weit ab vom Bergmannspfad führte die Hatz mit viel Geräusch quer durch das Gesträuch und endete auf einer Dreiergruppe Jungeichen, die so eng beieinander standen, dass es mir gelang, mit einem von Angst beflügelten Aufschwung, mich in eine Astgabel etwa zwei Meter über dem Waldboden zu befördern. Mit Mühe und Not und unter Ächzen und Stöhnen brachte ich es endlich fertig, eine zwar unbequeme, aber dennoch sichere Sitzhaltung einzunehmen, wobei ich, wegen des starken Schaukelns der jungen Äste, den Haupttrieb mit beiden Händen umklammernd, meine Wange fest an die Rinde drückte. Die beiden Bachen waren fest entschlossen, den Störer ihres Familienglücks nicht entkommen zu lassen. Wutschnaubend umrundeten sie ein fürs andere Mal die Eichenbüsche, auf denen sich dieser Ausbund von menschlicher Unverschämtheit vor ihrem gerechten Zorn gerettet hatte. Dabei stürmten sie immer wieder mit ihren Hauern gegen die drei in die Höhe strebenden Stämme an, die mich daraufhin, schaukelnd wie ein bockiges Pony, versuchten abzuwerfen. Die kleinen Frischlinge schienen dies als ein vergnügliches Spiel zu betrachten und mischten heftig quiekend mit. Jedes Mal, wenn das Treiben der Jungen einer der Bachen zu viel wurde und sie diese knuffend und grunzend zur Ordnung rief, hatte ich eine Atempause, die ich dazu nutzte, meine Sitzhaltung im Sattel der Astgabel etwas zu korrigieren, um der nächsten Attacke standhalten zu können, ohne einen Abwurf fürchten zu müssen. So verging die Zeit im Flug. Als der Morgen heraufdämmerte, und die Sonne sich anschickte, ihre ersten Strahlen in die Baumwipfel zu lenken, hörte endlich eine Menschenseele mein jämmerliches Rufen. Der Förster von Quierschied bewegte durch lautes Rufen, unterstützt vom Gebell seiner beiden Vorsteherhunde, die Bachen, ihr Jungvolk im dichten Unterholz in Sicherheit zu bringen und erlöste mich damit aus meiner misslichen Lage. Heute noch bin ich ihm dankbar für das, was er im Jungwald für mich getan hat; ebenso dankbar bin ich jedoch der Frau des Försters für das heiße Bad und das gute Frühstück, das ich beim ausführlichen Berichten all der mir widerfahrenen Schrecknisse dieser Nacht von ihr im Forsthaus spendiert bekam.