Wer Sicherheit verspricht, schürt zuerst Unsicherheit und
Angst.–© Willy Meurer (*1934), Aphoristiker und Publizist
Je mehr Sicherheit uns jemand verspricht desto mehr Freiheit nimmt er uns
auch–© Anke Maggauer-Kirsche (*1948), deutsche Lyrikerin
Unser gefühltes Sicherheitsbedürfnis ist groß. Das Sicherheitsgefühl ist uns irgendwo, irgendwie und irgendwann abhandengekommen.
Arten der Sicherheit: Anlagensicherheit, Arbeitssicherheit, Datensicherheit, Eigensicherheit, Energiesicherheit bedeutet Sicherung aller Ressourcen,
um Klima, Luft, Wasser, Erde, Rohstoffe. Rechtssicherheit ist Grundlage für das Handeln von Sicherheitsbehörden. Die Sicherheit der Staatsbürger muss gleichberechtigt neben der Sicherheit von
Staatsorganen stehen.
Gut oder böse, schwarz oder weiß, Freund oder Feind: So sehen viele Menschen die Welt. Dass die Dinge oft weniger eindeutig sind, halten sie nur schwer aus – und das macht sie anfällig für
Populisten.
Man kann Migranten sehen als Konkurrenten um Wohnungen, um Arbeitsplätze, und man kann Migranten sehen als bereichernde Träger von kulturellen Eigenschaften. Beide Eigenschaften zu sehen und sich
nicht auf die Ablehnung von Migranten als Konkurrenten zurückzuziehen, das ist Mehrdeutigkeitstoleranz.
Mehrdeutikeitsintoleranz entsteht auf dem Boden von persönlicher Unsicherheit. Ein Mensch, der Mehrdeutigkeit vermeidet, sich radikales Denken zu eigen macht, zieht daraus einen Vorteil. Aber er zahlt dafür einen Preis: Es entgeht ihm die Möglichkeit, die Wirklichkeit in ihren verschiedenen Schattierungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Diese Behinderung. Ist der Preis den er dafür bezahlt.
Viele Leute gehen nicht mehr wählen, weil sie sagen, es gibt keine Partei, die das, was ich vertrete, auch so vertritt. Das ist das Ende der Demokratie. Es gibt einen Unterschied zwischen dem politischen Populismus von heute und dem des 20. Jahrhunderts: Populismus ist die Strategie, Mehrdeutigkeit wegzubekommen. Aber die Leute, die Salvini, Le Pen und wie sie alle heißen, hinterherlaufen, würden nie ihr ganzes Leben opfern, wie Anhänger von Hitler und Stalin das taten. Aber sie haben einfache Antworten. Jedoch gibt es noch eine andere Möglichkeit, nämlich sich ganz auf sich selber zurück zu beziehen.
Menschen entgehen der Mehrdeutigkeit in Politik und Gesellschaft, indem sie niemandem mehr ihr Vertrauen schenken: Die Wahrheit liegt in mir selber. Ich kann sie aufrechterhalten, indem ich Autoritäten generell ablehne. Sie laufen den Populisten hinterher, weil diese Autoritäten zerstören, weil sie sagen: Ihr müsst den Politikern nix glauben, die sind alle korrupt. Ihr müsst den Wissenschaftlern nichts glauben, das ist alles manipuliert. Und ich kann jetzt reinen Gewissens sozusagen mich selber als Autorität nehmen, das, was mein Bauchgefühl mir aus irgendwelchen Gründen erzählt. Das ist die Versuchung des Populismus. Es ist nicht dieselbe Totalitarismusfalle, die wir vor einem Jahrhundert hatten.
Wenn es um Zuwanderer geht, haben Populisten leichtes Spiel bei Menschen, die Mehrdeutigkeit nicht ertragen können oder wollen: Der Fremde ist eine problematischere Kategorie als der Feind. Der Feind ist eindeutig auf der anderen Seite, der Freund ist eindeutig auf meiner Seite. Aber der Fremde ist weder Feind noch Freund, sondern eine schwer zuzurechnende Kategorie. Der Umgang mit dem Fremden ist ein besonderes Problem für Europa. In islamischen Kulturen sieht man, dass der Fremde keine problematische Figur ist. In der Türkei sin nur zwei Drittel der Bevölkerung Muslime oder türkischsprachig. In solchen multikulturellen Gesellschaften ist das eben kein Problem. Europa ist nie eine multikulturelle Gesellschaft gewesen. Wut, Demütigung oder Kränkung führen dazu, dass man weniger tolerant für Mehrdeutigkeiten wird, einfach weil die Wut als emotionaler Zustand im Grunde ein differenziertes Wahrnehmen der Welt unmöglich macht.
Durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes ist der Niedriglohnsektor zum Einfallstor für Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut geworden. Später kommt noch die Altersarmut hinzu. Erheblich zu denken geben muss, dass sich unter den (relativ) Armen hierzulande inzwischen mehr prekär Beschäftigte als Erwerbslose befinden. Prekäre und/oder atypische Beschäftigungsverhältnisse, unter denen Mini- und Midi Jobs, Leih- und Zeitarbeit, (Zwangs-)Teilzeit, Scheinselbstständigkeit sowie befristete Werk- und Honorarverträge dominieren, sind keine Randerscheinung in Deutschland mehr. Das bisherige Normalarbeitsverhältnis befindet auf dem Rückzug.
Die Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes
Unter dem anhaltenden Trend zur Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen leidet zwangsläufig der gesellschaftliche Zusammenhalt. Millionen Menschen haben kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mehr, das ihnen Schutz vor elementaren Lebensrisiken bietet.
Das Prekariat in einer zerrissenen Gesellschaft
Es
ist nicht bemerkenswert, dass es in der Bundesrepublik eine Unterschicht gibt. Besorgniserregend sollte allerdings sein, dass sich die soziale Polarisierung seit 1989/90 quantitativ wie
qualitativ erheblich verschärft hat.
Seit dem Jahrtausendwechsel hat sich in Deutschland ein Niedriglohnsektor gebildet, der fast ein Viertel aller Beschäftigten umfasst. Prekarität bezeichnet eine Art sozialen Zwitterzustand
zwischen Armut und Wohlstand. Den prekär Beschäftigten fehlt die Möglichkeit einer verlässlichen Lebensplanung. Zwar franst die Mittelschicht derzeit in erster Linie nach unten aus, ihr Kern, ist
noch deutlich größer als das Prekariat in engeren Sinn und bildet weiterhin das Gravitationszentrum der bürgerlichen Gesellschaft. Zwischen prekären Lebensbedingungen besteht eine Wechselwirkung:
Mobbing-Erfahrungen, Überforderung im Job und Angst vor Entlassung beeinträchtigen das Privat-, Familien- und Eheleben, so wie dieses seinerseits auf die Leistungsmotivation im Berufsleben
zurückwirkt.
Durch Deregulierung des Arbeitsmarktes ist der Niedriglohnsektor zum Einfallstor für Erwerbs-, Familien- und Kinderarmut geworden. Später kommt noch die Altersarmut hinzu. Erheblich zu denken
geben muss, dass sich unter den (relativ) Armen hierzulande inzwischen mehr prekär Beschäftigte als Erwerbslose befinden. Prekäre und/oder atypische Beschäftigungsverhältnisse, unter denen Mini-
und Midi Jobs, Leih- und Zeitarbeit, (Zwangs-)Teilzeit, Scheinselbstständigkeit sowie befristete Werk- und Honorarverträge dominieren, sind keine Randerscheinung in Deutschland mehr. Das
bisherige Normalarbeitsverhältnis befindet auf dem Rückzug.
Unter dem anhaltenden Trend zur Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen leidet zwangsläufig der gesellschaftliche Zusammenhalt. Millionen Menschen haben kein
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mehr, das ihnen Schutz vor elementaren Lebensrisiken bietet. Wenn dieser halbwegs gegeben ist, leisten sie vielfach Leiharbeit oder
Zwangs-Teilzeit. Rechnet man die Zahl der stillen Reserve Armee des Arbeitsmarktes mit, erscheint seine Entwicklung nach einer fast zehn Jahre währenden Konjunkturphase allerdings in einem
weniger rosigen Licht.
Extremismus und dessen Folgen
Extremismus ist immer eine Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es spielt keine Rolle ob er vom linken Rand oder rechten Rand unserer Gesellschaft ausgeht. Es spielt immer
eine Rolle ob und inwieweit er zum Umsturz unseres Systems aufruft und dies durch Taten bewirken will.
Den umstürzlerischen Linksextremismus der RAF Generation können wir getrost als
Geschichte abhaken. Die kläglichen militanten Überreste des Schwarzen Blocks und der Antifa Gruppen orientieren sich genauso am alten Feindbild, wie es staatliche Institutionen uns heute noch
gerne suggerieren. Genau diese Institutionen haben aus verständlichem Machterhaltungsinteresse seit den 60er Jahren in der Bundesrepublik Gewalttaten rechter Gruppierungen immer wieder
verleugnet, verharmlost und teilweise sogar aktiv unterstützt.
Nachdem die NPD 1969 den Einzug in den Bundestag verpasst hatte, zerfiel das rechtsextreme Lager in Splittergruppen. Die neue Ostpolitik, traf jedoch in der rechtsextremen Szene auf erhebliche Ablehnung. Aus der Aktion „Widerstand“ gingen militante rechtsextreme Organisationen hervor.
Aktiv wurden Manfred Roeders Deutsche Aktionsgruppen, die NSDAP-Aufbauorganisation, Michael
Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten, die Wehrsportgruppe Hoffmann.
Die rechtsextreme Szene militarisierte sich zunehmend.
In den 1980er Jahren kam es zu zahlreichen Toten rechtsterroristischer Anschläge: Zu diesen zählen die am 22. August 1980 bei einem Brandanschlag der Deutschen Aktionsgruppen in Hamburg
ums Leben gekommenen Ngoc Nguyen und Anh Lan Dound die Opfer der tödlich verlaufenden Schießerei von Frank Schubert (VSBD/PdA) am 24. Dezember 1980, die Schießerei von Mitgliedern der VSBD/PdA am
20. Oktober 1981 in München sowie die Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke. Beim Oktoberfestattentat wurden 12 Menschen ermordet und weitere 211 wurden verletzt.
Das Bundesinnenministerium reagierte auf die zunehmende Gewalt mit Verboten der Wehrsportgruppe Hoffmann WSG 1980, der VSBD/PdA am 1982 sowie der ANS/NA 1983.
Die Zahl rechtsterroristischer Aktivitäten war bereits von 1980 bis 1985 gestiegen, ihre Gefahr wurde seit 1992 von den Behörden wieder höher eingeschätzt. Christian Worch drohte damals offen mit
Terroranschlägen; die in den USA ansässige NSDAP/AO von Gary Lauck verbreitete eine vierbändige Anleitung zum Guerilla-Kampf und improvisierten Bombenbau.
Rechtsterroristische Aktivitäten, insbesondere in Form von Brandanschlägen auf Asylunterkünfte und Privathäuser, in denen Vertriebene unterkamen, haben 2014 und 2015 stark zugenommen mit über 200
Anschlägen allein im Jahr 2015.
staatlich anerkannte Fälle 105
weitere Fälle laut Amadeu Antonio Stiftung 104
ergibt die Gesamtzahl von 209 Todesfällen seit 1990
Anfang 1979 hob die Polizei in Stahle und Albaxen im Kreis Höxter eine Wehrsportgruppe aus
1979 sprengte Peter Naumann, Rechtsterrorist und heute Politiker der NPD, während der Ausstrahlung der einführenden Dokumentation Endlösung
zwei Sendemasten der ARD im Hunsrück und im Münsterland.
Die 1991 gegründete Sauerländer Aktionsfront (SAF) war in den 1990er-Jahren eine bedeutende rechtsextreme Gruppierung, die insbesondere in den Kreisen
Siegen, Olpe und Hochsauerlandkreis aktiv war. Ihr wurden mehrere Mitglieder zugerechnet, darunter die Polizistenmörder Kay Diesner und Michael Berger sowie der Dreifachmörder Thomas Adolf.
Am 3. Oktober 1991 warfen drei Neonazis Brandsätze auf ein von Kriegsflüchtlingen bewohntes Heim in Hünxe. 4 Kinder wurden verletzt, 2 Mädchen
erlitten lebensgefährliche Brandverletzungen.
Am 29. Mai 1993 kam es zum Mordanschlag von Solingen, bei dem eine Gruppe von Neonazis mit Molotow-Cocktails ein von türkischen Familien bewohntes
Zweifamilienhaus bewarf. Es starben zwei Frauen im Alter von 27 und 18 Jahren sowie drei Mädchen im Alter von zwölf, neun und vier Jahren. Ein Säugling, ein dreijähriges Kind und ein 15-jähriger
Junge erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Darüber hinaus erlitten 14 weitere Personen Brandverletzungen.
Am 14. Juni 2000 tötete der Dortmunder Neonazi Michael Berger die Polizisten Matthias Larisch , Yvonne Hachtkemper und Thomas Goretzki .
Am 27. Juli 2000 explodierte eine mit TNT gefüllte Rohrbombe am Bahnhof Düsseldorf Wehrhahn, dabei wurden zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich
verletzt, eine im fünften Monat schwangere Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Die Opfer kamen alle aus GUS-Staaten und waren jüdischen Glaubens. Auf Grund eines Bekennervideos wurde ein
rechtsextremistisches bzw. antisemitisches Motiv angenommen, die Ermittlungen führten jedoch zu keinem belastbaren Ergebnis.
Am 19. Januar 2001 kam es zu einer Sprengstoffexplosion in einem Lebensmittelgeschäft in Köln, bei der die damals 19 Jahre alte deutsch-iranische
Tochter des Betriebsinhabers schwer verletzt wurde. Unter der Vorgabe, er wollte einkaufen, versteckte ein als Kunde auftretender Mann unter den Waren eine Christstollendose mit mehr als einem
Kilogramm Schwarzpulver. In den beiden entdeckten Bekennervideos des NSU gibt es Hinweise auf die Tat. Nach einem Phantombild könnte ein V-Mann des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen an der
Tat beteiligt gewesen sein.
Am 7. Oktober 2003 erschoss der 45-jährige Neonazi Thomas Adolf die dreiköpfige Familie Mechthild Bucksteeg, Hartmut und Alja Nickel mit einer Pumpgun
in der Anwaltskanzlei von Hartmut Nickel in Overath. Der Anwalt hatte in der Vergangenheit eine Räumungsklage gegen Thomas Adolf durchgesetzt. Wenngleich die Tat von einem persönlichen Motiv
überlagert war, bezeichnete der Täter diese als „von mir selbst durchgeführte Maßnahme zur Gesundung des deutschen Volkes“, die „mehr als notwendig“ gewesen sei. Thomas Adolf betrachtete sich als
Chef einer „SS-Division Götterdämmerung“, die vermutlich aber nur ihn selbst als Mitglied hatte. Er sprach davon, dass ihm die Organisation eine Todesliste überreicht habe mit dem Auftrag,
verschiedene Politiker, Medienvertreter und Juristen zu töten. Der Täter wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Das
nordrhein-westfälische Innenministerium stuft die Tat bis heute nicht als politisch motiviert ein, gleichwohl habe der Täter nationalsozialistischem Gedankengut nahegestanden.
Am 9. Juni 2004 wurden bei dem Nagelbomben-Attentat in Köln 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Erst im November 2011 wurde der Anschlag dem
Nationalsozialistischen Untergrund zugeordnet.
Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşık im von ihm geführten Kiosk in der Dortmunder Nordstadt getötet. Der Kiosk befand sich nahe dem damaligen
Neonazi-Treffpunkt Deutscher Hof. Kubaşık war das achte Opfer der rechtsextrem motivierten Ceska-Mordserie an türkischen Kleingewerbetreibenden.
Am 17. Oktober 2015 griff ein Rechtsextremist die Sozialbeigeordnete, parteilose Wahlkandidatin und spätere Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker
sowie eine weitere Umstehende mit einem Messer an und verletzte beide schwer. Er begründete die Tat mit rassistischen und islamfeindlichen Aussagen.
Am 31. Oktober 2015 verübte ein fremdenfeindlich motivierter Feuerwehrmann in Altena einen Brandanschlag auf ein von syrischen Flüchtlingen bewohntes
Haus.
Im November 2017 griff ein Mann aus bekundeter Frustration über die lokale Flüchtlingspolitik den Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein mit einem
Messer an und verletzte ihn schwer.
Zwischen 2000 und 2007 ermordete die Terrorgruppe neun Migranten und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Zunächst hatten die Thüringer Neonazis Briefbombenattrappen an Vertreter von Stadtverwaltung, Polizei und Lokalpresse in Jena versandt. 1998 stellte die Polizei bei der Durchsuchung einer von ihnen genutzten Garage Rohrbomben, Sprengstoff und Propagandamaterial sicher. Daraufhin tauchte das Trio unter und ermordete in den folgenden Jahren in einer beispiellosen Serie Migranten, während die Polizei nach einem „Döner-Mörder“ fahndete und die Täter vorwiegend im Umfeld der Opfer suchte. Nach einem Banküberfall am 4. November 2011 in Eisenach brachten sich Mundlos und Böhnhardt um, woraufhin Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Brand setzte und sich am 8. November 2011 der Polizei stellte. Sie wurde im NSU-Prozess im Juli 2018 unter anderem des neunfachen Mordes und vielfachen versuchten Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier Helfer des NSU erhielten zeitige Freiheitsstrafen. Der NSU war vom rechtsextremistischen Umfeld mit Geld, Wohnungen und Waffen unterstützt worden.
Das Coronavirus legt Teile der Weltwirtschaft lahm, Notenbanken senken die Zinsen, Regierungen verkünden drastische Maßnahmen. Und dann ist da diese andere potenzielle Katastrophe, ebenso global. Und wenn wir nicht bald zu handeln beginnen, ist sie noch weit gefährlicher als das Virus. Warum aber funktioniert das nicht bei der ungleich gefährlicheren Katastrophe, die uns droht?
Die gefühlte Krise aber ist noch größer als die reale. Sie manifestiert sich in kollektiver Verunsicherung, in Angst, bei manchen auch in Panik.
Sie kann uns zu affektgetriebenen, egoistischen, auch riskanten Kurzschlussreaktionen verleiten. Dann sehen wir Leute, die sich im Supermarkt den Wagen stapelweise mit Klopapier beladen und
einen Wutanfall bekommen, wenn man sie auffordert, doch bitteschön ein paar Packungen für andere Kunden übrig zu lassen. Wir hören Leute, die auf die Chinesen schimpfen, weil die uns den Mist
eingebrockt hätten, und wir sehen andere hustend durch die U-Bahn keuchen. Wir sehen die Kurse an den Börsen in die Tiefe rauschen. Wir hören, dass manche Leute Olivenöl und Obst aus Italien
wegwerfen, es könnten ja Viren daran haften. Das ist der Panikmodus, und er ist gefährlich. Er führt uns vor Augen, wie dünn der Firnis unserer Zivilisation ist.
Was geschieht da gerade mit unserer Gesellschaft?
Professor Heinz Bude zählt zu den führenden Soziologen Deutschlands und lehrt an der Universität Kassel.
Das hat er auf meine Fragen geantwortet:
Herr Professor Bude, die Coronavirus-Lage ist zur globalen Krise eskaliert, die Alarmmeldungen erreichen uns im Viertelstundentakt. Was für einen Zustand
erleben wir da gerade als Gesellschaft?
Heinz Bude: Wir erleben eine schleichende Desozialisierung, die Menschen ziehen sich mehr und mehr in ihre engsten sozialen Beziehungen zurück. Das stellt unsere sozialen
Strukturen ernsthaft auf die Probe. Das permanente Informationsbombardement durch Eilmeldungen führt nicht dazu, dass wir uns sicherer fühlen – im
Gegenteil, bei vielen Menschen verstärkt es das Gefühl der Unsicherheit. Je mehr wir uns informieren, desto unfassbarer wird die Gefahr. Diese Unfassbarkeit der Gefährdung ist das
Hauptproblem."
Was genau meinen Sie mit Unfassbarkeit?
"Anders als bei einer Grippe oder einer Erkältung weiß man ja zunächst noch nicht genau, ob man von dem Virus betroffen ist oder nicht. Die
Inkubationszeit ist lang, hinzu kommt die Unklarheit, was das Virus mit einem macht. Das bringt die zentralen Überprüfungsstrategien in unserer Gesellschaft durcheinander. Zugleich verändert sich die Wahrnehmung der Gefährdung. Wir leben in einer alternden Bevölkerung. Die Gruppe, die als potenziell gefährdet angesehen wird, ist
ziemlich groß. Und die Leute fangen an, die Schwelle der möglichen Betroffenen zu variieren: vor einer Woche sprach man noch von Menschen im Alter 70 aufwärts, heute schon von 50 aufwärts.
Das ist ein Ausdruck der Angst. Es ist keine schlagartig aufbrechende Angst, sondern eine Angst, die langsam in die Gesellschaft
hineinrieselt."
Wie sollten wir mit dieser Angst umgehen?
"Es ist keine Lösung, nur zu beschwichtigen, wie es die Politik zu Beginn der Krise getan hat. Die Panik vor einer Panik ist ja auch eine
Angst. Die Beglaubigung kollektiver Handlungsfähigkeit durch die Politik wird wichtiger: Wer vom politischen Führungspersonal sagt wie was?. Es ist
wichtig, dass wir mit anderen Menschen von Angesicht zu Angesicht über unsere Ängste reden. Dass wir uns darüber unterhalten und uns
eingestehen: Ja, es gibt wirklich eine Gefährdung, und wir müssen uns nun eben vernünftig verhalten. Der Reflex mancher Menschen nach dem Motto 'Na ja, das Virus ist ja global, also kann man eh
nichts dagegen tun', ist falsch. Jeder Einzelne von uns kann die Gefährdung eindämmen, indem er sich vernünftig verhält: sich die Hände wäscht, direkte soziale Kontakte vermeidet – und auch seine
Resilienz gegen die Verunsicherung stärkt. Wir besiegen die Angst, indem wir über sie reden. So zeigen wir unseren Mitmenschen, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein dastehen. So können
wir jetzt Respekt und Solidarität leben," sagt Professor Bude. Und ich erlaube mir hinzuzufügen: Das ist ein gutes Rezept, um den Krisenmodus zu
überstehen.
Warum führt eine Krise zu heftigen Reaktionen, und die andere, ungleich existenziellere, nicht? Warum laviert die EU mit ihrem neuen Klimagesetz weiterhin herum anstatt endlich Maßnahmen einzuleiten, die so durchgreifend sind, wie die Maßnahmen, die zur Covid-19-Eindämmung mit größter Selbstverständlichkeit ergriffen werden? Es gibt eine einfache psychologische Erklärung für die Diskrepanz zwischen den Reaktionen auf das Coronavirus und denen auf die Klimakrise: Wir Menschen sind umso weniger bereit, unser Verhalten zu ändern, je weiter die vermuteten Konsequenzen des Nichthandelns entfernt scheinen, zeitlich wie räumlich, noch extremer, wenn auch nur ein Hauch Unsicherheit über die zu erwartenden Folgen herrscht. Das Coronavirus erscheint unmittelbar bedrohlich, es ist zweifellos da, es gibt ständig neue Nachrichten zum Thema, es ist ständig verfügbar. Unsere längst bekannten kognitiven Verzerrungen lassen das eine bedrohlicher erscheinen als das andere. Obwohl es genau umgekehrt ist: Klimakrise und Artensterben sind weit bedrohlicher als eine zusätzliche Viruserkrankung, so potenziell tödlich diese Erkrankung auch sein mag. Es wäre Aufgabe der Politik, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen und endlich gegen die Klimakrise zu handeln.
Das Coronavirus beschäftigt den gesamten Planeten. Doch irgendwann einmal, wird auch diese Krise vorbei sein. Was passiert dann mit der Welt, wie wir sie kannten? Eine Prognose.
Die Welt as we know it löst sich gerade auf. Aber dahinter fügt sich eine neue Welt zusammen. Dafür möchte ich Ihnen eine Übung anbieten. Wir nennen sie die RE-Gnose. Im Gegensatz zur PRO-Gnose schauen wir mit dieser Technik nicht "in die Zukunft, sondern von der Zukunft aus ZURÜCK ins Heute.
Stellen wir uns eine Situation im Herbst 2020 vor. Wir sitzen in einem Straßencafe. Auf der Straße bewegen sich wieder Menschen. Bewegen sie sich
anders? Ist alles so wie früher? Schmeckt Wein, Cocktail, Kaffee, wie früher? Wie damals vor Corona? Worüber werden wir uns rückblickend
wundern?
Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Nach einer ersten
Schockstarre fühlten viele erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam. Verzichte müssen nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern können
sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen. Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktiert,
Bindungen verstärkt. Familien, Nachbarn, Freunde, sind näher gerückt und haben bisweilen sogar verborgene Konflikte gelöst. Die gesellschaftliche Höflichkeit, die wir vorher zunehmend vermissten,
stieg an. Jetzt im Herbst 2020 herrscht bei Fußballspielen eine andere Stimmung als im Frühjahr, als es jede Menge Massen-Wut-Pöbeleien gab. Wir wundern uns, warum das so ist.
Wir werden uns wundern, wie schnell sich plötzlich Kulturtechniken des Digitalen in der Praxis bewährten. Videokonferenzen stellten sich als durchaus
praktikabel heraus. Lehrer lernten eine Menge über Internet-Teaching. Das Homeoffice wurde zu einer Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig erlebten scheinbar veraltete Kulturtechniken eine
Renaissance. Plötzlich erwischte man nicht nur den Anrufbeantworter, wenn man anrief, sondern real vorhandene Menschen. Man kommunizierte wieder wirklich. Man hielt niemanden mehr hin. So
entstand eine neue Kultur der Erreichbarkeit. Der Verbindlichkeit. Der ganze Trivial-Trash, der durch alle Kanäle strömte, er verschwand nicht völlig. Aber er verlor rasend an Wert. Krisen wirken
vor allem dadurch, dass sie alte Phänomene auflösen, über-flüssig machen. Zynismus, diese lässige Art, sich die Welt durch Abwertung vom Leibe zu halten, war plötzlich out. Die Angst-Hysterie in
den Medien hielt sich, nach einem kurzen Ausbruch, in Grenzen. Wir werden uns wundern, dass schließlich Medikamente gefunden wurden, die die Überlebensrate erhöhten. Dadurch wurden die
Todesraten gesenkt und Corona wurde zu einem Virus, mit dem wir eben umgehen müssen. Medizinischer Fortschritt half. Aber wir haben erfahren: Nicht so sehr die Technik, sondern die Veränderung
sozialer Verhaltensformen war das Entscheidende. Dass Menschen trotz radikaler Einschränkungen solidarisch und konstruktiv bleiben konnten, gab den Ausschlag. Die human-soziale Intelligenz hat
geholfen. Damit hat sich das Verhältnis zwischen Technologie und Kultur verschoben. Vor der Krise schien Technologie das Allheilmittel. Nur noch wenige Hartgesottene glauben heute noch an die
große digitale Erlösung. Der große Technik-Hype ist vorbei. Wir richten unsere Aufmerksamkeiten wieder mehr auf die humanen Fragen: Was ist der Mensch? Was sind wir füreinander? Wir staunen
rückwärts, wieviel Humor und Mitmenschlichkeit in den Tagen des Virus tatsächlich entstanden ist.
Wir werden uns wundern, wie weit die Ökonomie schrumpfen konnte, ohne dass so etwas wie "Zusammenbruch" tatsächlich passierte, der vorher jedem staatlichen Eingriff beschworen wurde. Heute
gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die Globale Just-in-Time-Produktion, mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden, hat
sich überlebt. Sie wird gerade demontiert und neu konfiguriert. Überall in den Produktionen und Service-Einrichtungen wachsen wieder Zwischenlager, Depots, Reserven. Ortsnahe Produktionen boomen,
Netzwerke werden lokalisiert, das Handwerk erlebt eine Renaissance. Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen. Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte?
Warum wirkt diese Art der "Von-Vorne-Szenarios" so irritierend anders als eine klassische Prognose? Wenn wir "in die Zukunft" schauen, sehen wir meistens nur Gefahren und Probleme "auf uns zukommen. Diese Angst-Barriere trennt uns von der Zukunft. Deshalb ist Horror-Zukunft am Einfachsten darzustellen.
Re-Gnosen bilden hingegen eine Erkenntnis-Schleife, in der wir uns selbst, unseren inneren Wandel, in die Zukunftsrechnung einbeziehen. Dadurch entsteht eine Brücke zwischen Heute und
Morgen. Es entsteht ein "Future Mind" – Zukunfts-Bewusstheit.
Wenn wir für eine Behandlung zum Zahnarzt gehen, sind wir schon lange vorher besorgt. Wir verlieren die Kontrolle und das schmerzt, bevor es überhaupt wehtut. Wenn wir dann die Prozedur
überstanden haben, kommt es zum Coping-Gefühl: Die Welt wirkt wieder jung und frisch und wir sind plötzlich voller Tatendrang. Coping heißt: bewältigen. Neurobiologisch wird dabei das
Angst-Adrenalin durch Dopamin ersetzt, eine Art körpereigener Zukunfts-Droge. Wenn wir einen gesunden Dopamin-Spiegel haben, schmieden wir Pläne, haben Visionen, die uns in die vorausschauende
Handlung bringen.
Erstaunlicherweise machen viele in der Corona-Krise genau diese Erfahrung. Mitten im Shut-Down der Zivilisation laufen wir durch Wälder oder über fast leere Plätze. Aber das ist keine Apokalypse,
sondern ein Neuanfang.
So erweist sich: Wandel beginnt als verändertes Muster von Erwartungen, von Wahr-Nehmungen und Welt-Verbindungen. Dabei ist es manchmal gerade der Bruch mit den Routinen, dem Gewohnten, der
unseren Zukunfts-Sinn wieder freisetzt. Die Vorstellung und Gewissheit, dass alles ganz anders sein könnte – auch im Besseren.
Vielleicht werden wir uns sogar wundern, dass Trump im November abgewählt wird. In der Corona-Krise wurde deutlich, dass diejenigen, die Menschen gegeneinander aufhetzen wollen, zu echten
Zukunftsfragen nichts beizutragen haben. Wenn es ernst wird, wird das Destruktive deutlich, das im Populismus wohnt. Politik in ihrem Ur-Sinne als Formung gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten
bekam dieser Krise eine neue Glaubwürdigkeit, eine neue Legitimität. Fake News verloren rapide an Marktwert. Verschwörungstheorien wirkten wie Ladenhüter, obwohl sie wie saures Bier angeboten
wurden.
Tiefe Krisen weisen obendrein auf ein weiteres Grundprinzip des Wandels hin: Die Trend-Gegentrend-Synthese. Die kommende Welt wird Distanz wieder schätzen – und gerade dadurch Verbundenheit
qualitativer gestalten. Autonomie und Abhängigkeit, Öffnung und Schließung, werden neu ausbalanciert. Dadurch kann die Welt komplexer, zugleich aber auch stabiler werden. Diese Umformung ist
weitgehend ein blinder evolutionärer Prozess – weil das eine scheitert, setzt sich das Neue, überlebensfähig, durch. Das macht einen zunächst schwindelig, aber dann erweist es seinen inneren
Sinn: Zukunftsfähig ist das, was die Paradoxien auf einer neuen Ebene verbindet. Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das in die Zukunft weist. Eine der stärksten
Visionen, die das Coronavirus hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision senden uns die Satellitenbilder, die plötzlich Industriegebiete frei von Smog
zeigen. 2020 wird der CO2-Ausstoss der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch? Vielleicht war das
Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft.
"Wir werden durch Corona unsere gesamte Einstellung gegenüber dem Leben anpassen
– im Sinne unserer Existenz als Lebewesen inmitten anderer Lebensformen."
Der Mensch ist der Mikrobe egal– wir täten gut daran, Krankheit vermehrt als ökologisches Problem zu begreifen
Mit der Ausbreitung des Menschen erhöht sich auch die
Wahrscheinlichkeit, von anderen Arten infiziert zu werden. Man spricht vom neuen erdgeschichtlichen Zeitalter des Anthropozäns. Der Mensch gestaltet die Erdoberfläche mit einer Wucht um, die man
allein geologischen Kräften zugetraute. Das ist aber eine verzerrte Sicht. Seit über drei Milliarden Jahren gibt es das Bakterio- oder Virozän. Die heimlichen Hauptakteure auf dem Planeten sind
Mikroben. Sie umgeben uns, sie bewohnen uns. Der Mensch ist eine Galaxie von Bakterien und er weiß nicht, ob die Viecher Freunde oder Feinde sind. Er ist ihnen jedenfalls egal. Die Virulenz von
Mikroben ist nicht spezifisch gegen uns Menschen gerichtet, sie «geschieht». Der Mensch, der zufällig in ihr Kreuzfeuer gerät, hat einfach Kollateralpech.
Wenn der Mensch immer tiefer in natürliche Ökosysteme eindringt, riskiert er, auch in den Wirkungsbereich von Mikroben zu gelangen, von denen er bisher verschont blieb. Wir kennen solche Krankheiten: Schweinegrippe, Tollwut, Ebola, Aids, Sars und andere. Die Familie der Coronaviren ist seit über fünfzig Jahren «aktenkundig». Ihre Angehörigen warteten nur auf eine günstige Gelegenheit wie «Wuhan». Wir verbuchen Fortschritte im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Deuten wir diese nur nicht falsch als Beherrschung der Mikrobenwelt. Wir tun gut daran, Krankheit als ökologisches Problem zu begreifen. Und man kann es als Dialektik des Anthropozäns betrachten, dass – je tiefer der Mensch sich in die Erdoberfläche einzeichnet – die Natur sich umso drastischer von ihrer unvorhersehbaren und beschränkt kontrollierbaren Seite zeigt: makroskopisch, in den Klimaschwankungen, und mikroskopisch, in den Launen der kleinsten Lebewesen. Das ist kein Grund zu Defaitismus oder Fatalismus, sondern zur nüchternen Neueinschätzung unseres Platzes in der Natur.
Wenn wir von Evolution reden: Machen wir die Rechnung nicht ohne den Zufall. Lernen wir diesen als die eigentliche Naturmacht kennen.
Leitkultur – Angst vor Überfremdung – Verlustängste
Alle gesellschaftlichen Schichten haben sich so lange am Fremdenbashing beteiligt, dass es keinem mehr bewusst ist wann und wie dies angefangen hat und welche unterschiedlichen Beweggründe dem
zugrunde liegen.
Zur Leitkultur: Dein Christ ist Jude, dein Auto Japaner, deine Pizza italienisch, deine Demokratie griechisch, dein Kaffee brasilianisch, dein Urlaub türkisch, deine Zahlen arabisch, deine Schrift lateinisch, ein Nachbar nur ein Ausländer.
1982
Alfred Dregger: Die Völker legen Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese
lässt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen.
1982 Herbert Wehner: Wir sind am Ende mitschuldig, wenn
faschistische Organisationen aktiv werden. Es ist nicht genug, vor Ausländerfeindlichkeit zu warnen, wir müssen die Ursachen angehen, weil uns sonst die Bevölkerung Absicht, Willen und Kraft
abspricht, das Problem in den Griff zu bekommen.
2005 Journalist Elmar Brähler: In der bleiernen Zwischenzeit rechts-konservativer
Regierung hat sich in Deutschland eine Form des Einwanderungsdiskurses etabliert, der so massiv rassistisch unterfüttert worden ist, dass markig-ausländerfeindliche Sprüche ehemals linker
Politiker wie Schröder, Voscherau, Schnoor und jetzt – Schily – , auch wenn sie Rassismus schüren, kaum noch auffallen. Das Feld des Sagbaren hat sich ausgedehnt. So ist das eben: Diskurse,
einmal etabliert, brechen nicht einfach ab, wenn die Regierung wechselt. es wird sich kaum etwas daran ändern, dass in Deutschland weiterhin Flüchtlinge und Einwanderer geschlagen und verfolgt
werden, dass rechtsextreme Parteien weiteren Zulauf erhalten, die Konservativen und Pseudoliberalen versuchen werden Deutschland in einen neo-konservativen Nationalstaat völkischer Prägung zu
verwandeln.
2010 Thilo Sarrazin: Die einzig sinnvolle
Handlungsperspektive kann sein, weitere Zuwanderung generell zu unterbinden. Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite
Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird. Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben
bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.
2020: Philipp Amthor: Der jüngste CDU-Bundestagsabgeordnete will die 20 Jahre alte Debatte um eine deutsche "Leitkultur" neu beleben. Die Diskussion über "unsere Hausordnung'" verdient ebenso viel politische gesellschaftliche Aufmerksamkeit wie die Frage der Migration. Das Grundgesetz allein reicht dafür nicht aus. Integration ist die "Eingliederung" in eine "von unserer Leitkultur geprägte Gesellschaft“.
Mehr als eineinhalb Jahre nach dem Ende der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ ist das Thema immer noch so groß, dass sich die Innenministerkonferenz (IMK) wieder mit Konsequenzen aus den Fehlern der Sicherheitsbehörden befassen muss. Bei dem Treffen werden sich die Ressortchefs aus den Ländern, und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, mit dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus auseinandersetzen. Die im Februar 2012 initiierte Kommission hat die Zusammenarbeit von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz analysiert und reichlich Reformbedarf festgestellt.
Was auch immer die Berliner LKA-Beamten verbrochen haben mögen - sie sind nicht unmittelbar verantwortlich für die Toten und Verletzten vom Breitscheidplatz. Wer Antworten sucht, wird die richtigen Fragen stellen müssen. Dass es bei der Polizei keine "offene Diskussions- und Fehlerkultur" gibt, ist längst offensichtlich. Siehe Fall Amri, wo sich Polizisten bemüßigt sahen, die Fehler durch nachträgliche Aktenmanipulationen zu verheimlichen. Siehe jeden Fall von gewalttätigen Übergriffen durch Polizisten, wo sie sich gegenseitig decken. Siehe die Love Parade in Duisburg, wo die Polizei von jegliche Mitverantwortung abgestritten und Ermittlungen dazu verhindert hat. Siehe NSU, wo alle beteiligten Sicherheitsbehörden, insbesondere die Bundes- und Landes-Kriminalämter nichts falsch gemacht haben wollen. Siehe G20 in Hamburg, wo die Polizei der sie kontrollierenden Legislative Unterlagen vorenthält und die Öffentlichkeit wiederholt belogen hat. Ich rate sehr zur Differenzierung zwischen der Polizei als Institution und den jeweiligen Individuen in Uniform. Die Sicherheitsbehörden sind längst zu einer Art Staat im Staate geworden, durch Legislative und Gerichte nur mühsam, und oft genug gar nicht, zu beeindrucken. Spätestens seit der Strauß - Spiegelkonfrontation wissen wir, dass, wie sich in neuester Zeit bei den parlamentarischen oder gerichtlichen Untersuchungen, die einmal die Beteiligung des BND an der NSA Affäre und zum anderen die Rolle der Verfassungsschutzbehörden bei der NSU Affäre zum Gegenstand hatten, keine dieser Behörden und keine ihrer Beamten Verantwortung für die Beachtung unserer demokratischen Grundordnung und ihrer normierten Regeln übernehmen wollen. Sie machen sich Ihre Regeln selbst und wollen sich weder vor einem parlamentarischen noch einem gerichtlichen Gremium verantworten. Vorgeladen vor ein solches Gremium sind sich die Beamten sicher entweder pauschal im - von Ihnen definierten – „Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ oder im vorgeschobenen Quellen - oder Geheimnisschutz mit Rückendeckung aus ihren Behörden und übergeordneten Ministerien die Aussage verweigern zu dürfen. Im besten Falle berufen sie sich - wie von so manchem Politiker vorgelebt - auf Erinnerungslücken.