Extremismus ist immer eine Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es spielt keine Rolle ob er
vom linken Rand oder rechten Rand unserer Gesellschaft ausgeht. Es spielt immer eine Rolle ob und inwieweit er zum Umsturz unseres Systems aufruft und dies durch Taten bewirken will.
Den umstürzlerischen Linksextremismus der RAF Generation können wir als Geschichte abhaken. Die militanten Überreste der Antifa Gruppen orientieren sich genauso am alten Feindbild, wie es
staatliche Institutionen uns heute noch suggerieren. Genau diese Institutionen haben seit den 60er Jahren in der Bundesrepublik Gewalttaten rechter Gruppierungen immer wieder verleugnet,
verharmlost und teilweise sogar aktiv unterstützt.
Willy Brandt hatte „Mehr Demokratie wagen“ gefordert. Die aber lebt von einem funktionsfähigen Staat. Deshalb muss es heute wohl lauten „Mehr Staat wagen“. Nicht, um die Wirtschaft zu reglementieren oder die Bürger zu überwachen, sondern um dort besser zu funktionieren, wo es einen berechtigten Anspruch der Bürger an ihren Staat gibt.
Bislang sind überall noch genug Beamte da, wenn eine Wohnung geräumt werden soll. Es ist also nicht die innere Sicherheit die auch für den AfD-Erfolg mitverantwortlich ist. Es ist die Sorge, dass der Staat sich immer mehr zurückzieht und selbst grundlegende Bedürfnisse nicht mehr erfüllen kann. Wenn negative Erfahrungen der Menschen beim Kontakt mit Politik und Staat überwiegen, formt sich ein Bild des Versagens und der Verärgerung. Dagegen muss die Politik vorgehen. Und nur so lässt sich der Kampf gegen Ressentiments, Vorurteile und gegen radikale Gruppierungen erfolgreich führen. Insofern ist es richtig Probleme zu benennen, die der Bürger wirklich hat. Noch besser ist es, diese auch lösen zu wollen – ohne Kompetenzgerangel. Es geht also nicht nur um innere und äußere, um soziale und ökologische Sicherheit. Es geht in erster Linie um eine funktionale Sicherheit. Dieser bürgerliche Anspruch stellt sich an linke wie rechte Parteien gleichermaßen.
Fehlende Kontrolle 23.05.2013
Mehr als eineinhalb Jahre nach dem Ende der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ ist das Thema immer noch so groß, dass sich die Innenministerkonferenz (IMK) mit Konsequenzen aus den Fehlern der Sicherheitsbehörden befassen muss. Bei dem Treffen werden sich die Ressortchefs aus den Ländern, und der Bundesinnenminister mit dem Abschlussbericht der Kommission Rechtsterrorismus auseinandersetzen. Die im Februar 2012 initiierte Kommission hat die Zusammenarbeit von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz analysiert und reichlich Reformbedarf festgestellt.
Der Fall Anis Amri Das Dilemma der Ermittlungen
Was auch immer die Berliner LKA-Beamten verbrochen haben mögen - sie sind nicht unmittelbar verantwortlich für die Toten und Verletzten vom Breitscheidplatz. Wer Antworten sucht, wird die richtigen Fragen stellen müssen. Dass es bei der Polizei keine "offene Diskussions- und Fehlerkultur" gibt, ist längst offensichtlich. Siehe Fall Amri, wo sich Polizisten bemüßigt sahen, die Fehler durch nachträgliche Aktenmanipulationen zu verheimlichen. Siehe jeden Fall von gewalttätigen Übergriffen durch Polizisten, wo sie sich gegenseitig decken. Siehe die Love Parade in Duisburg, wo die Polizei jegliche Mitverantwortung abgestritten und Ermittlungen dazu verhindert hat. Siehe NSU, wo alle beteiligten Sicherheitsbehörden nichts falsch gemacht haben wollen. Siehe G20 in Hamburg, wo die Polizei der sie kontrollierenden Legislative Unterlagen vorenthält und die Öffentlichkeit wiederholt belügt. Eine Differenzierung zwischen der Polizei als Institution und den jeweiligen Individuen in Uniform ist zwingend erforderlich. Die Sicherheitsbehörden sind längst zu einer Art Staat im Staate geworden, durch Legislative und Gerichte oft genug gar nicht zu beeindrucken. Spätestens seit der Strauß - Spiegelkonfrontation wissen wir, dass, wie sich in neuester Zeit bei den parlamentarischen oder gerichtlichen Untersuchungen, die einmal die Beteiligung des BND an der NSA Affäre und zum anderen die Rolle der Verfassungsschutzbehörden bei der NSU Affäre zum Gegenstand hatten, keine dieser Behörden und keine ihrer Beamten Verantwortung für die Beachtung unserer demokratischen Grundordnung übernehmen. Sie machen sich Ihre Regeln selbst und wollen sich weder vor einem parlamentarischen noch einem gerichtlichen Gremium verantworten. Vorgeladen sind sich die Beamten sicher entweder pauschal im - von Ihnen definierten – „Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ oder im vorgeschobenen Quellen - oder Geheimnisschutz mit Rückendeckung aus ihren Behörden und Ministerien die Aussage verweigern zu dürfen. Im besten Falle berufen sie sich - wie von so manchem Politiker vorgelebt - auf Erinnerungslücken.
Defizite der Berichterstattung
Berufsverbände weisen darauf hin, dass kritischer unabhängiger Journalismus systemrelevant für die Demokratie und eine offene Gesellschaft ist.
Fünf Defizite, die es zu beheben gilt:
Der Umgang mit Zahlen: Interaktive Grafiken, sind optimal nutzerorientiert. Das führt dazu, dass man diese Zahlen wie Tabellenstände miteinander vergleicht: Die Zahlen werden für bare Münze
genommen. Auch wenn die Zahlen bei wissenschaftlichen Institutionen abgegriffen sind, können sie nicht ein Abbild der Wirklichkeit sein. Journalisten sollten diese Zahlenfixiertheit hinterfragen
und die Gültigkeit der Zahlen relativieren.
Strukturen statt Einzelfälle. Der Nachrichtenjournalismus hebt bei Krisen und Katastrophen den
schwerwiegenden Einzelfall hervor, der mit Kriegsrhetorik vorgetragen wird. Gesamtstrukturen sind schwer zu recherchieren und sorgen kaum für
Aufmerksamkeit. Damit besteht die Gefahr, den dramatischen Einzelfall zu pauschalisieren und damit Angst und Panik zu verursachen. Fallbeispiele sind wichtig, um Abstraktes zu
veranschaulichen – aber die Fälle sollten das Gesamtbild verdeutlichen und nicht verzerren.
Transparente Berichterstattung: Was die Bevölkerung über die Wirkungen und Nebenfolgen der behördlichen Maßnahmen weiß, weiß sie ausschließlich über die
Medien. Es wird deutlich, wie die konstruierte Medienrealität die demokratische Gesellschaft und das Leben im Alltag beeinflusst. Transparenz ist zu einem
zentralen Qualitätsfaktor der digitalen Medienwelt gewordenen.
Vielfältige Auseinandersetzung:
Dass politische Entscheidungen mit Eingriffen in die Grundrechte zwischen einzelnen Experten und der Exekutive im
Hinterzimmer verhandelt werden, muss absolute Ausnahme in der Demokratie sein. Verfassungsrechtler verweisen darauf, dass Eingriffe in die Grundrechte öffentlich diskutiert werden müssen und
nicht die drakonischste Maßnahme das Mittel der Wahl ist, sondern das mildestmöglichste Mittel. Gerade, wenn Parlamente die Macht an die Exekutive übergeben, muss der offene Diskurs in den Medien
stattfinden. Aber ein öffentlicher Streit um des intensiven Austauschs von Argumenten willen gehört zur Demokratie wie Wasser zum Leben.
Korpsgeist und Rechtsextremismus in der polizei
„Wenn es um die Frage geht, warum Sicherheitsbehörden sich im Kampf gegen rechtsextremistische Straftäter so schwer tun, gibt es oft eine Antwort: Dass es da eine gewisse ideologische Nähe gäbe zwischen nicht wenigen Polizeibeamten und rechten Kreisen. In weiten Teilen der Polizei herrscht ein Korpsgeist, der es kritischen Polizeibeamten sehr schwer macht, auf Fehlentwicklungen wie Gewalt oder Rassismus hinzuweisen.
„Wir sehen und hören in der Praxis sehr häufig, dass in den wenigen Fällen, wo Polizeibeamte gegen ihre Kollegen aussagen, Missstände öffentlich machen, sie danach
nicht nur mit Isolation, sondern auch mit erheblichen Schikanen zu kämpfen haben.“
„In der Polizei herrscht ein Verständnis und eine Haltung vor, dass man Probleme lieber nicht nach außen trägt, lieber nicht transparent macht, sondern eher
versucht intern zu lösen. Das heißt unter den Teppich zu kehren.“
Dieter Müller, Hochschule der Sächsischen Polizei:
„Die negativen Folgen könnten sein, dass man einer geschlossenen Einheit gegenübersteht, die nicht kritikfähig ist und die aus eigenen Fehlern nicht lernen kann und nicht lernen will. Das heißt, ich stehe einem festgefügten Block gegenüber, der sich gegebenenfalls auch nicht mehr an den Rechtsstaat hält.“
Ewald Igelmund Polizeiakademie Berlin:
„Wenn Polizisten immer häufiger Ablehnung erfahren oder gar unter Generalverdacht gestellt werden, dann stärkt das den Zusammenhalt in der Gruppe. Und dann wiederum kann es passieren, dass sich die Polizei immer mehr von der Gesellschaft abschottet.“ Es sind die ersten Anzeichen für die Ausbreitung einer sogenannten „Cop Culture“, eines übertriebenen Korpsgeistes innerhalb der Gruppe. Eine Kultur, die letztlich auch dazu führen kann, dass Missstände innerhalb der Polizei verschwiegen werden. Aus Angst vor den Kolleg*innen.
Günter Schicht ausgebildeter Kriminalist:
Polizist*innen haben Verantwortung und Macht – und sollten sie klug nutzen, anstatt sich zu ducken und abzuwarten. Das Beamtengesetz verpflichtet Polizist*innen, über Interna zu schweigen, andernfalls drohen ihnen berufliche Konsequenzen. Aber natürlich dürfen sie eine Meinung haben und sie äußern, zumal zu Fällen, die ohnehin schon öffentlich sind. Warum sprechen sich nicht viel mehr Polizist*innen laut für Toleranz aus. Liegt es am Ende doch daran, dass es nicht genug Polizist*innen gibt, die verurteilen, was da in ihren Reihen passiert?
Rafael Behr, Hochschule der Akademie in Hamburg:
Thema Polizeigewalt: Zeit online:Wie erklären Sie sich dass
diese Art der Polizeiarbeit auf so viel Ablehnung stößt? Innenminister Herbert Reul sagte über das Düsseldorfer Video, er sei "erschrocken".
Behr: Das kann der Minister nur sagen, wenn er die hässliche Seite der Polizeiarbeit ausblendet. Und dazu gehört
eben auch Gewaltanwendung und Überwältigung. Polizeiarbeit tut weh, muss sie manchmal sogar. Natürlich sieht das niemand gern, natürlich verstört uns das. Aber was legitime Gewalt ist und was
nicht, entscheidet sich nicht im Internet. Das entscheidet die Staatsanwaltschaft und später das Gericht.
ZEIT ONLINE: Unser Eindruck ist, dass es in Deutschland kaum eine Institution gibt, die umstrittener ist als die Polizei. Kritiker halten die
Polizei für einen Hort des strukturellen Rassismus und der exzessiven Gewaltanwendung. Auf der anderen Seite erklärt Innenminister Horst Seehofer, Deutschland habe "die beste Polizei der Welt".
Wie kommt es zu diesen Übertreibungen?
Behr: Für beide Seiten geht es um mehr. Es geht um Ängste, Lebensfragen, Identitäten. Es gibt auf der einen Seite viele Menschen, für die Begriffe wie Ordnung, Sicherheit, aber auch die Angst vor
"Überfremdung" eine große Bedeutung haben. Und diese Ängste werden dann auf die Polizei projiziert.
ZEIT ONLINE: Gibt es strukturellen Rassismus in der deutschen Polizei?
Behr: Es gibt natürlich Alltagsrassismus in der Polizei, genauso wie im Rest der Gesellschaft auch. Die
entscheidende Frage für die Polizeiarbeit lautet: Wie verhindern wir, dass solche Haltungen zu diskriminierenden Handlungen führen? Wir müssen wegkommen
von der Idee, dass es nur Einzeltäter sind, die das Problem sind. Weg von der Anthropologisierung des Bösen. Das ist die Erzählung von Seehofer und anderen und sie ist falsch. Weil das Gegenteil
richtig ist: Die Polizei ist ein hochgradig verregeltes System, es geht immer um Strukturen, niemals um Einzelfälle. Die entscheidende Frage lautet: Haben wir Bedingungen geschaffen, die
verhindern, dass Rassisten, Pädosexuelle und Sadisten, die es zweifelsohne in der Polizei gibt, Schaden anrichten? Die Antwort lautet in meinen Augen klar Nein. Und um das zu ändern, müsste
zuallererst eine Debatte stattfinden, die in der Politik niemand will, weil dann ganz viele Themen ans Tageslicht kommen würden.
Viele kommen
zur Polizei, weil sie mit Menschen arbeiten wollen. Die wollen was erleben, in einem geordneten Rahmen, die ein Beamtenverhältnis mit sich bringt. Die einen wollen früh zur Kripo, wollen
ermitteln, für Gerechtigkeit sorgen. Das sind die Sammler. Und dann gibt es welche, die wollen Einsätze machen, auf Demos, zu Großeinsätzen. Das sind die Jäger. Besonders beliebt ist die
sogenannte Beweissicherung- und Festnahmeeinheit (BFE). Da wollen viele hin. Das sind subelitäre Verbände, die besonders gut ausgerüstet sind, Einheiten, die bei Demos oft in der ersten Reihe
stehen. Die haben unter vielen Kollegen das höchste Ansehen, bei denen erlebt man am meisten. Brokdorf, Berlin, Hannover, Kalkar: das Tagebuch eines jungen Polizisten. Aber auch von denen, die
zum BFE wollen, sagt keiner zu Beginn: Ich will mich gerne prügeln.
ZEIT ONLINE: Die Jungen tragen schnell viel Verantwortung.
Ja. Und sie besitzen vergleichsweise schnell viel Macht. Zugleich sind sie früh großen Risiken ausgesetzt. Mit Leuten in Berührung kommen, die einem fremd sind, die nicht wollen, wie man will –
das obliegt oft denen, die noch am wenigsten Zeit hatten, sich fortzubilden. Als Polizist ist man nicht nur früh mit fremd erscheinenden Milieus konfrontiert. Sondern auch mit existenziellen
Themen wie Sterben, Tod, Ungerechtigkeit, Krankheit, Hartz IV. Ein Polizist begegnet ja nicht einer Gesamtgesellschaft, sondern immer nur einem bestimmten Ausschnitt. Hinzu kommt oft fehlende
Anerkennung. Selten sagt da jemand mal Danke. Und noch seltener sagt da jemand: Herr Wachtmeister, schön, dass Sie da sind.
Die Psychologin Birgit Rommelspacher hat schon vor 15 Jahren einen Begriff geprägt: "Dominanzkultur“. Bei vielen gibt es die klare Vorstellung: Wir sind die Guten, die für das Richtige
kämpfen, dort draußen sind die Feinde. Wir vertreten die Herrschaft, ihr seid die Herrschaftsunterworfenen. Hinzu kommt ein starker Normalismus, der auch gesellschaftlich nachgefragt wird. In der
Polizeiarbeit drückt sich eben auch aus, was eine Gesellschaft für normal hält und was nicht. Wer gehört dazu? Wer nicht? Und all jene, die diesem Ordnungsbild nicht entsprechen, haben es
gegenüber der Polizei oft schwer: Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Linke oder schlicht Freiheitsliebende. Es gibt da eine tiefsitzende Kultur der Ungleichbehandlung.
ZEIT ONLINE: Wenn man Ihrer Analyse Glauben schenkt, gebe es genügend Gründe für eine grundsätzliche Debatte über die Polizei. Warum findet sie nicht statt?
Behr: Das stört mich gerade am meisten: dass jede Kritik abgeblockt wird. Dass man nicht nüchtern über
Probleme reden kann. Dann heißt es gleich, man äußere einen Generalverdacht gegen die Polizei. Lasst uns in Ruhe, wir sind Ordnung. Da gibt es einen neuen, gefährlichen Rigorismus in der Polizei.
Hilfreich wäre auch eine Supervision für die Beamten in den ersten Dienstjahren, wenn sie es am schwersten haben. Jeder Bürger sollte außerdem die
Möglichkeit bekommen, Missbrauch durch die Polizei bei einer Beschwerdestelle anzuzeigen. Und ich würde die Ausbildung von Polizisten reformieren. Ich würde strenger selektieren, noch besser
ausbilden, auch in politische Bildung investieren und später verbeamten. Das Gegenteil von
Generalverdacht ist Generalvertrauen. Und das finde ich demokratietheoretisch das Schlimmste, was man machen kann. Die Polizei ist sehr machtvoll. Wir müssen sie kontrollieren und misstrauisch
sein. Alles andere ist verheerend.
Sabrina Kunz Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz:
Warum sie eine Studie zu Racial Profiling befürwortet:
Wir hatten schon Mitte der 1990er Jahre eine ähnliche Debatte um Fremdenfeindlichkeit. Die Innenministerkonferenz beschloss, eine Studie „Polizei und Fremde“
in Auftrag zu geben. Das Ergebnis war ernüchternd: Es wurde der Polizei kein strukturelles Problem mit Fremdenfeindlichkeit bescheinigt, aber es gab eine
hohe Zahl von Vorfällen, die Gründe waren unter anderem Stress, Überforderung, mangelndes Führungsverhalten oder fehlende Reflexion. Das löste, in Rheinland-Pfalz, eine Kette von Maßnahmen
aus. Ein Kriseninterventionsdienst wurde eingerichtet, statt der zweijährigen Ausbildung im mittleren Polizeidienst wurde das dreijährige Studium
Standard und es wurde eine bis heute existierende Kommission Innere Führung gegründet.
Ein ganz wesentlicher Kritikpunkt in der aktuellen Debatte sind unabhängige Beschwerdestellen. Betroffene beklagen, dass ihre Beschwerden über diskriminierendes Polizeihandeln immer bei der Polizei selbst auflaufen – mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass
sie am Ende als nicht stichhaltig gelten. Damals wurde das Amt einer Polizeibeauftragten geschaffen. Der ist nur dem Parlament verantwortlich: Rassismus und diskriminierendes Verhalten folgt aus der schärfesten Form von Vorurteilen. Niemand kann sich davon
frei machen. Man hat sie, ob man es will oder nicht. Entscheidend ist doch, dass man lernt, diese abzubauen und Menschen vorurteilsfrei zu begegnen.
Der Bundesinnenminister hat es jetzt abgelehnt, wie von Europa gefordert, eine Studie zu Racial Profiling in Auftrag
zu geben?
Die Aufforderung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stammt vom Dezember 2019. Was hat sich seither verändert? Nichts. Ich wünschte
mir, die Politik würde die Nerven behalten. Eine solche Studie wäre aber eine Chance, sich alle Polizeigesetze des Bundes und der Länder vorzunehmen und die Ermächtigungsnormen darin anzusehen:
Zudem könnte eine Studie dazu geeignet sein, in beide Richtungen zu vermitteln. Insofern erwarte ich von der Politik ein klares Statement darüber was sie untersuchen möchten. Ich erwarte von der
Politik, dass sie sich der Thematik "Alltagsrassismus" stellt. Dieser findet überall statt: in Schulen, in Betrieben, in der Politik, im öffentlichen Dienst und somit auch in der Polizei. Wir
brauchen Aufklärung und Prävention in allen Bereichen, um "Vorurteilsstrukturen" abzubauen.
Was ist mit traditionellen Strukturen? Whistleblower, die Fehlverhalten von Kolleginnen und
Kollegen anzeigen, dürften es bei Ihnen noch viel schwerer haben als in anderen Berufen. Über die Möglichkeit eines Disziplinarverfahren sprachen wir schon. Und es wird ja auch immer wieder
betont, wie wichtig es ist, dass man sich im Einsatz blind aufeinander verlassen muss. Es gibt auch heute noch Vorgesetzte und Strukturen, die es Menschen mit weniger Selbstbewusstsein schwer
machen, sich gegen Dinge zu wehren, die falsch laufen. Und dann wird es gefährlich. Wir müssen immer aufpassen, dass sich kein negativer Korpsgeist entwickelt. Und genau dafür brauchen wir
dringend auch Sachverstand und Fachleute von außen.
Im Zusammenhang mit aktuellen Erkenntnissen über Rechtsterrorismus wird vordergründig über das Versagen der Sicherheitsorgane diskutiert. Zweifellos ist dies eine Tatsache. Was jedoch von Politikern verdrängt wird, ist die Diskussion über die eigentlichen Ursachen.
1. Das Grundgesetz gewährt den politischen Parteien eine führende Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes. Wie aber wird dies von vielen Vertretern dieser Parteien wahrgenommen, deren Ziel es mehrheitlich ist, den eigenen Machterhalt zu sichern. Die scheinheilige „Ausländerkampagne“ des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten ist als eines von vielen Beispielen für die Befriedigung latent vorhandener Ausländerfeindlichkeit zu nennen. Für mich gipfelt dies in der Äußerung eines hohen Parteimitgliedes gegenüber einem Mitglied seiner Partei, er könne den Scheiß von der grundgesetzlich garantierten Gewissensfreiheit nicht mehr hören; fürwahr eine die demokratische Grundordnung zersetzende Äußerung.
2. Wen wundert es, dass das Problem des Rechtsextremismus dort zu finden ist, wo die sozialen Verwerfungen am größten sind. Die wenigen intellektuellen Vertreter der Rechten haben, vor Allem nach der Wiedervereinigung, verstanden, dass der Nährboden für ihre Ideologie bei naiven und sozial ausgegrenzten Jugendlichen zu finden ist. Dies haben jedoch Volksvertreter weitestgehend ignoriert. Eine dringend notwendige „Aufklärungsarbeit“ bei solchen desinteressierten und desorientierten Jugendlichen scheitert sowohl am fehlenden Geld als auch am mangelnden Willen der an der „politischen Willensbildung“ beteiligten demokratischen Parteien.
3. Für die Kontrolle der Arbeit von Sicherheitsbehörden sind die Innenminister politisch verantwortlich. Die Innenministerkonferenz streitet sich jedoch seit Jahren über die Innere Sicherheit. Ob es um Vorgaben bei der „statistischen Erfassung“ politisch motivierter Straftaten geht, ob es um Einzelheiten in den Jahresberichten der Verfassungsschützer geht oder um die Notwendigkeit und die Konditionen des Einsatzes von V-Leuten. Eine wirkliche „Zusammenarbeit“ zwischen den Behörden gibt es nicht; erst recht nicht, dass Verfassungsschützer bei der Aufklärung schwerer Straftaten mit den für die Verfolgung zuständigen Behörden uneingeschränkt zusammenarbeiten. Ebenso wenig gibt es eine tatsächliche demokratische Kontrolle des Behördenhandelns und dessen Effizienz und Rechtmäßigkeit.
4. Gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und deren innere Sicherheit richten sich nach Meinung der Volksvertreter und der Bundesanwaltschaft die terroristischen Bestrebungen und Straftaten islamistischer Extremisten. Dass die Bestrebungen rechtsextremistischer Kreise unsere demokratische Grundordnung genauso infrage stellen, ist ihnen weitgehend entgangen oder es wird einfach ignoriert. Bisher sind ja „nur“ einige „fremdenfeindliche“ Übergriffe zu vermelden gewesen. Selbst bei den „hingerichteten“ Personen mit „Migrationshintergrund“ oder mit einem ausländischen Pass sind ein klares politisches Motiv und ein ebenso offensichtlicher Zusammenhang, bis zur Selbsthinrichtung der mutmaßlichen Täter, nicht erkennbar gewesen? Dass alle gesicherten Umstände der Tatausführungen von Anfang an auf genau dies hindeuteten, ist kein Grund gewesen, die Verfahren in den Verantwortungsbereich der Generalbundesanwaltschaft zu übernehmen? Es fehlten ja die bekannten Bekennerschreiben einer extremistischen Organisation.
„ Manchmal verbindet den rechten, fremdenfeindlichen und modernitätsskeptischen Populismus noch etwas anderes mit dem linken Aktivismus, der bisweilen ebenfalls populistische Züge trägt: nämlich eine tiefe Abneigung gegenüber dem »Establishment«, gegenüber den wirtschaftlichen, aber auch den politischen Eliten, einschließlich der gewählten Repräsentanten. Auch der Populismus organisiert sich in Parteien und misst seinen Erfolg an Wahlergebnissen. Hier wird sich zeigen müssen, ob er seine Versprechungen halten kann — und ob er überhaupt mit dem Selbstverständnis moderner Demokratie vereinbar ist. Denn Demokratie geht nicht in der Erfüllung eines Volkswillens auf, der sich vermeintlich eindeutig festlegen ließe; sie ist nicht das Regime des »gesunden Volksempfindens«. Demokratie ermöglicht eine freie Lebensordnung, eine liberale Gesellschaft und setzt sie voraus. Sie beruht auf der Verschiedenheit von Überzeugungen, die auf Straßen und Plätzen, in Zeitungen und sozialen Medien zum Ausdruck gebracht werden können. Auch in einem halben Jahrhundert werden Wahlen und Abstimmungen gesellschaftliche Debatten fokussieren und Entscheidungen formen—und die Menschen in Demokratien ebenso begeistern wie erbittert streiten lassen.“