Wenn wir in diesem Frühjahr 2020 über Krisen reden, dann denken wir zuerst an die akute <Pandemiekrise> in der wir leben. Dabei verdrängen wir die weitaus größere latente <Umweltkrise> von unserem Radar. Beide Krisen sind gesellschaftliche Krisen, auch wenn die konkrete Bedrohung des einzelnen menschlichen Individuums von unterschiedlicher Qualität ist.
Der Umgang mit der Virus-Pandemie stellt Politik und Bürger vor schwer aufzulösende Zielkonflikte. Wer meint, dass wissenschaftliches Wissen so viel Eindeutigkeit erzeugen könne, dass sich
medizinische Wirksamkeit eindeutig planen lässt, unterschätzt die Komplexität des Transfers von Wissen in die politische Gestaltungspraxis.
Es geht nicht nur um das Richtige: Wir haben zum Beginn der Krise gesehen, dass der Appell an Einsichtsfähigkeit nicht die Wirkung erzielt hat, Menschen zu sparsamen Kontakten zu
ermutigen. Die Einsichtsfähigen haben daher geradezu um die Macht des Staates zur Lösung des Zielkonfliktes gebettelt.
Die Debatte über Exit Strategien offenbart Zielkonflikte: Entscheidend ist, die infizierte Gesellschaft und die Entscheidungsfindung darüber aufzuklären, warum Zielkonflikte und Kosten und
Nebenfolgen unterschiedlicher Lösungen am Ende doch zu politischen Lösungen führen können, die sowohl medizinisch als auch ökonomisch und lebensweltlich funktionieren.
Wer hält was wie in Schach? Der Hauptgewinner der Lage ist der Staat. Risikomanagement ist die zentrale Aufgabe. Epidemien hat es zweifellos immer gegeben. Aber entscheidend ist, ob man sie als „Gefahr“ von außen oder als beeinflussbares „Risiko“ betrachtet. Die Pest wurde von der mittelalterlichen Gesellschaft wie eine Naturkatastrophe als Gefahr verstanden: Man hat sich darauf beschränkt, mit Krankheit und Tod umzugehen. Die moderne Gesellschaft betrachtet eine Pandemie jedoch als Risiko. Risiko heißt: Die Ausbreitung der Infektion erscheint gesellschaftlich beeinflussbar; man ist ihr nicht ausgeliefert, sie soll vielmehr reguliert werden.
Eine Experten-Gruppe hat ein Gerüst für die Zeit danach vorgelegt. Die 14 Autoren stammen aus vielen Fachrichtungen – von Medizin und Virologie über Ökonomie und Rechtswissenschaft bis hin zu Ethik und Sozialpsychologie. Gerade weil es keine Rückkehr zu „business as usual“ geben dürfe, müsse die Stufen-Strategie früh kommuniziert werden. Nur wenn es gelinge, mit Wir-Gefühl und offener Information alle mitzunehmen, könne das Projekt gelingen. Die Expertengruppe warnt vor einer falschen Alternative: Es gehe nicht um „Gesundheit oder Wirtschaft“. Beides müsse in Einklang gebracht werden – unter Abwägung aller Faktoren.
Die Systemrelevanz des Journalismus: Mehrere Bundesländer haben Journalisten in der Coronavirus-Krise als “systemrelevant” eingestuft, neben Care-Berufen wie Rettungskräften und
Supermarktangestellten. Berufsverbände weisen darauf hin, dass kritischer unabhängiger Journalismus systemrelevant für die Demokratie und eine offene Gesellschaft ist.
Güterabwägung zwischen Pflicht- und Verantwortungsethik: Maßstab muss immer die Verhältnismäßigkeit sein: Ein rein pflichtethisch orientierter Journalismus schert sich nicht um die Folgen
– und Journalisten, die nur nach Verantwortungsethik handeln, laufen Gefahr, in Gefälligkeitsjournalismus oder Hofberichterstattung abzudriften.
Fünf Defizite, die es zu beheben gilt:
Der Umgang mit Zahlen: Interaktive Grafiken, die Zahlen zur Pandemie darstellen, sind optimal nutzerorientiert. Das führt dazu, dass man diese Zahlen wie Tabellenstände miteinander
vergleicht: Die Zahlen werden für bare Münze genommen. Auch wenn die Zahlen bei wissenschaftlichen Institutionen abgegriffen sind, können sie nicht das leisten, was man von ihnen erwartet:
nämlich ein Abbild der Wirklichkeit. Journalisten sollten diese Zahlenfixiertheit hinterfragen und die Gültigkeit der Zahlen relativieren.
Strukturen statt Einzelfälle. Der Nachrichtenjournalismus hebt bei Krisen und Katastrophen den schwerwiegenden Einzelfall hervor, der mit
Kriegsrhetorik vorgetragen wird. Gesamtstrukturen sind schwer zu recherchieren und sorgen kaum für Aufmerksamkeit. Damit besteht die Gefahr, den dramatischen Einzelfall zu pauschalisieren und
damit Angst und Panik zu verursachen. Fallbeispiele sind wichtig, um Abstraktes zu veranschaulichen – aber die Fälle sollten das Gesamtbild verdeutlichen und nicht verzerren.
Transparente Berichterstattung: Was die Bevölkerung über dieses Virus und die Wirkungen und Nebenfolgen der behördlichen Maßnahmen weiß, weiß sie ausschließlich über die Medien. Es wird
deutlich, wie die konstruierte Medienrealität die demokratische Gesellschaft und das Leben im Alltag beeinflusst. Transparenz ist zu einem zentralen Qualitätsfaktor der digitalen Medienwelt
gewordenen. Ob dem Publikum bewusst ist, dass sich die Pressekonferenzen zu Verkündigungs-Livestreams gewandelt haben – mit Journalisten als leicht zu verzichtende Staffage?
Vielfältige Auseinandersetzung: Dass politische Entscheidungen mit Eingriffen in die Grundrechte zwischen einzelnen Experten und der Exekutive im Hinterzimmer verhandelt werden, muss
absolute Ausnahme in der Demokratie sein. Verfassungsrechtler verweisen darauf, dass Eingriffe in die Grundrechte öffentlich diskutiert werden müssen und nicht die drakonischste Maßnahme das
Mittel der Wahl ist, sondern das mildestmöglichste Mittel. Gerade, wenn Parlamente die Macht weitgehend an die Exekutive übergeben, muss der offene Diskurs in den Medien stattfinden.
Virologen unfehlbare Medienstars? : Einige wenige Chef-Virologen wurden zu unfehlbaren Medienstars aufgebaut. Wissenschaftler müssen sich irren dürfen. Wissenschaft, also die Suche nach
Wahrheit, muss per se mit Unsicherheit leben. Deshalb ist es grundfalsch, einzelne Wissenschaftler als unfehlbare Medienstars aufzubauen. Sie haben auch kein demokratisches Mandat. So muss der Journalismus den Diskurs über Domänengrenzen hinaus organisieren. Beispielsweise indem er unter Rückgriff auf politologische und juristische
Expertise notrechtliche Auswüchse thematisiert, mit der Soziologin der Frage nachgeht, wie das Virus Machtverhältnisse oder den Umgang mit Risiken verändert, mit dem Ethikprofessor über
medizinische Entscheidungen diskutiert, mit der Psychologin über die Auswirkungen von Quarantäne auf Menschen spricht – oder gerne auch mit der Kommunikationswissenschaftlerin die Routinen des
Journalismus, die Medienlogik und die Macht der Medien reflektiert. Was viele Menschen jetzt als wohltuend empfinden – dass in der politischen Auseinandersetzung kein Streit allein um des Streits
willen provoziert wird. Aber ein öffentlicher Streit um des intensiven Austauschs von Argumenten willen gehört zur Demokratie wie Wasser zum Leben.
Der Staat und internationale Staatengemeinschaften sind die wichtigsten Akteure, um externe Schocks wie Pandemien abfangen zu können.
Der Rechtsgelehrte Carl Schmitt hat in seiner Politischen Theologie vor knapp 100 Jahren geschlussfolgert: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Nach diesem Verständnis haben
in der Coronavirus-Krise Staaten und Regierungen bewiesen, dass sie das Entscheidungsmandat besitzen und wahrnehmen. Die meisten Menschen werden hierüber dankbar sein, weil der Staat
Schiedsrichter ist, der auf Grundlage von überprüfbaren Kriterien entscheidet, ohne dabei eigene Geschäftsinteressen zu verfolgen. Vereinzelt ist die These vertreten worden, dass Virologen und
Mediziner die besseren Entscheider wären. Gleichwohl wäre es fatal, daraus die falschen Schlüsse zu ziehen: Denn natürlich dürfen nur gewählte Repräsentanten Entscheidungen treffen und nicht
Experten. Verschiedene Interessen müssen abgewogen, Grundrechtskollisionen möglichst behutsam entschieden und aus der Fülle der relevanten Informationen eine Priorisierung erstellt werden. Das
alles muss nachvollziehbar sein, gut kommuniziert und anfechtbar. Zusammengenommen nennt man diesen Anforderungskatalog „Politik“.
In der Krise zeigen Populisten ein Handlungsmuster, das erfolgreiches Management verhindert: das Setzen auf alternative Fakten, das Abschieben von
Verantwortung und eine „Ich-mach-das-mal-eben“-Haltung. All diese Handlungsmuster verhindern, dass Staatengemeinschaft ihre Anstrengungen bündeln. Damit werden Populisten zum Teil des
Problems.
In Katastrophen- und Krisenzeiten können und müssen Grundrechte manchmal beschränkt werden. Die aktuellen Maßnahmen sind ein massiver Eingriff in Versammlungs- und Religionsfreiheit und die freie
Berufsausübung, um nur einige Grundrechtseinschränkungen zu nennen. Das ist in Ordnung, solange diese Beschränkungen zeitlich befristet und in einem demokratischen Verfahren legitimiert sind –
und solange oppositionelle Gegenentwürfe und Protest weiterhin ihren Platz haben.
Dabei kommt der ökologischen Dimension eine besondere Bedeutung zu, weil die Bekämpfung von Pandemien und des Klimawandels ebenso wenig wie der Schutz der Artenvielfalt Probleme sind, die man nach Tagesaktualität flexibel priorisieren kann. Im Gegenteil: Sie hängen ursächlich zusammen, und wer angesichts von Corona nun eine Pause für Umweltschutz und Klimapolitik fordert, hat nichts von dem verstanden, um was es jetzt geht.
Ökonomischer Fortschritt ist nicht immer gleich sozialer Fortschritt, und deshalb zeigt Corona auch, wie wichtig soziale Sicherungssysteme und
Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sind: Wenn Arbeitnehmer sich trotz Krankheitssymptomen nicht krankmelden, weil es keine Lohnfortzahlung gibt oder sie keine Krankenversicherung
haben, beschleunigt das die Ausbreitung exponentiell. Und richtig ist auch: Die digitale Revolution führt nur dann zu einem besseren Leben, wenn genug Geld in Bildung und Ausbildung gesteckt
wird. Die Banken- und Finanzkrise der 2008/2009er Jahre hat nicht zu einem grundlegenden Umschwenken zu mehr Nachhaltigkeit und einem anderen Wirtschaften geführt. Die Coronavirus-Krise hat
erneut systemische Defizite und eine falsche Prioritätensetzung offenbart. Wir sollten aus den Krisen lernen und ein neues Verständnis von Daseinsvorsorge und für öffentliche Güter
entwickeln.
Die Stärkung lokaler Gemeinschaften und Wertschöpfungsketten stärkt die Resilienz von Gesellschaften. Jede Forderung, die Globalisierung auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen oder an die
Bevölkerung zu appellieren, ihren Urlaub bitte zukünftig am nahen Baggersee zu verbringen, ist falsch. Zwar läuft einiges und auch schon seit langem beim globalen Handel und beim Massentourismus
über 1-Euro-Flüge falsch, aber eine vermeintliche Rückkehr zu einer Guten-Altern-Zeit wird es nicht geben – sie hat es auch nie gegeben. Wichtige Handels- und Wertschöpfungsketten funktionieren
nur international, und eine Vielzahl von wichtigen Gütern kann nur so hergestellt werden. Es wäre eine große Ungerechtigkeit, wenn man qua De-Globalisierung ganze Regionen von technologischem
Fortschritt ausschließt - eine Ungerechtigkeit, die weit über das hinausginge, was durch ein ungerechtes internationales Handelssystem bereits tagtäglich passiert. Die Überwindung der globalen
Armut und eine Stärkung des Umwelt- und Naturschutzes ist Grundvoraussetzung, um nicht in ein neues Zeitalter der Pandemien einzutreten. Das Coronavirus macht es offensichtlich: Sobald das
Virus sich in ärmeren Staaten stärker ausbreitet, werden diese Gesellschaften mit einer wesentlich größeren Härte getroffen werden. Es droht ein humanitäres Desaster. Hier ist dringend Hilfe
geboten, und es wird nicht reichen, wenn die G20 Schulden für ärmere Länder stunden, auch wenn dies natürlich richtig ist.
Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens mahnt: "Umweltschutz ist Seuchenschutz, denn das Virus Corona kommt aus der Natur."
Von den großen Krankheiten der Menschheit kommen mehr als zwei Drittel von Tieren. Alle uns bekannten Epidemien zählen dazu. Umweltzerstörung, Massentierhaltung und Globalisierung wirken dabei
zusammen. "Wir müssen endlich verstehen, dass die Erde ein geschlossenes Geosystem ist." Und für dieses tragen gerade wir Verantwortung.
Wenn das so einfach wäre: Politisches Spitzenpersonal, das Zahlen anschaut, versteht - und sich dann zum Kurswechsel entscheidet. Mehr als ein Jahr lang war das eine der Hauptforderungen der Klimaproteste: "Listen to the science!", hört auf die Wissenschaft. Schaut die Kurven an und handelt. Es ist selbstverständlich, dass alle das Coronavirus als Priorität sehen. Fakt ist allerdings: "Eine Krise macht die andere nicht weg. Es wäre eine Chance, würde nach der Coronakrise in klimafreundliche Technik investiert. Wenn es aber zurück in alte Technologien geht dann wirft uns diese Krise um Jahre zurück. Aber es kann eben auch ganz anders laufen - wie in der Krise 2009, als eine Bundesregierung mit Abwrackprämien für alte Autos den Autokonsum ankurbelte und Milliarden in neue Straßen steckte. "Die Schlüsselfrage ist jetzt: Gewinnen wir Zeit, oder verlieren wir sie?", sagt Christoph Bals, Klimaexperte der Entwicklungsorganisation Germanwatch. Immerhin seien die meisten alternativen Technologien, anders als 2009, mittlerweile marktfähig. Fließe das Geld dahin, könne das den Weg in eine klimafreundliche Zukunft beschleunigen.
Der Wirtschaftsrat der CDU: "Nach der Corona-Krise müssen wir alle Belastungen auf den Prüfstand stellen, die einer Erholung unserer bisherigen Stärke
im Wege stehen. „Dazu zählen Sonderwege in Klima- und Energiepolitik, durch die eine De-Industrialisierung droht".
Einen Green Deal will die Europäische Kommission eingehen. Der Klimaschutz soll beim Wiederaufbau eine zentrale Rolle spielen. Eine Unterschrift aus Deutschland jedoch fehlt. So ist das mit dem Klimaschutz in Zeiten des Virus: Er ist in die zweite Reihe gerückt. "Meine Hoffnung ist, dass die Politik auch in der Klimakrise beginnt, den Wissenschaftlern zuzuhören und deren Empfehlungen umsetzt", sagt die
Greenpeace-Chefin.
Der Bericht „Grenzen des Wachstums“ für den „Club of Rome“ geriet zum Gründungsdokument für die Umweltbewegung. Die alarmierende Botschaft am Ende: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der
Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unvermindert anhält, werden die absoluten
Wachstumsgrenzen im Laufe der nächsten hundert Jahre erreichen.“ Die Verfasser der „Grenzen des Wachstums“ des Clubs of Rome empfanden 1972 ihren Bericht nicht als „der Weisheit letzter Schluss“.
Der „Club of Rome“ gab gleich weitere Berichte in Auftrag. Das Ziel der zweiten Studie „Menschheit am Wendepunkt“ war herauszufinden, wie man vom wirtschaftlichen Wachstum zu einem „dynamischen
Gleichgewicht“ gelangt. Das Neue an dem zweiten Bericht war, dass die Entstehung der Probleme keinem der damals weltweit konkurrierenden Gesellschaftssysteme zugeordnet werden konnte. Die Grenzen
des Wachstums betrafen den Kapitalismus im Westen ebenso wie den Sozialismus in der kommunistischen Welt. Der Fortschrittsoptimismus schien in einen wachstumsdogmatischen Strukturkonservatismus
umgeschlagen zu sein. Die Krise unterscheidet sich von früheren darin, dass sie nicht von Menschen und Mächten verursacht, sondern durch Entwicklungen herbeigeführt wird, die wir vielfach heute
noch als Ausdruck menschlichen Fortschritts, ja als Sieg über die den Menschen gesetzten natürlichen Beschränkungen und Grenzen empfinden. Beim dynamischen Gleichgewicht geht darum, dass man die
Nachhaltigkeit mit einbezieht. Weil die Wirtschaftssysteme im Grunde nicht wirklich im Gleichgewicht sind, obwohl das von der Ökonomie stets behauptet wird. Hier geht es darum, dass man
Nachhaltigkeit und Umweltschutz mit einbezieht und ein dynamisches Gleichgewicht entwickelt indem man Umweltschäden und Klimaschäden einpreist in das Wirtschaftssystem.
Die Gedanken des Club of Rome wurden in den folgenden Jahren weitergeführt. So im Brundlandt-Bericht der UN 1987 „Our Common Future“. Längst aber überlagerten und verdichteten sich in den 80er
Jahren die Forschungsergebnisse zahlreicher Institutionen zum Thema, wie der Mensch durch seinen Verbrauch die Natur zugrunde richtet. Seit den "Grenzendes Wachstums" hat der Club rund 40 weitere
Berichte zu den verschiedensten Themen herausgegeben, darunter zu Abfall, zur Bedrohung der Ozeane, zu Armut und Unterentwicklung, zu gesellschaftlichen Folgen der Mikroelektronik, zur Zukunft
der Arbeit, zu Geld und Nachhaltigkeit, effizienter Ressourcennutzung und zur Rettung der tropischen Regenwälder. Der jüngste Report hat den Titel "Wir sind dran: Was wir ändern müssen, wenn wir
bleiben wollen". Dabei wurde klar: Die Grenzen des Wachstums werden heute weniger von echter Ressourcenknappheit bestimmt, als von der Stabilität der Ökosysteme.
Die meisten ökologischen Richtwerte sind nicht erreicht worden. Im Gegenteil, es gibt Rückschläge wie das Dementi des Klimawandels und die Zurückweisung des Kyoto-Protokolls und der Pariser
Vereinbarungen durch die USA. Gefechte um Feinstaub und Dieselmotoren, den Unkrautvernichter Glyphosat und das Aussterben der Vögel und Insekten stimmen nicht zuversichtlich. So zieht Ernst
Ulrich von Weizsäcker am Rande der 50-Jahr-Feier ein ernüchterndes Fazit. „In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, hat sich der Konsum verzehnfacht, haben
sich die ökologischen Bedingungen dramatisch verschlechtert.“ In der Bilanz „Wir sind dran“ kann er zwar auf Fortschritte verweisen. „Vor fünfzig Jahren war es noch empirisch absolut zutreffend:
Je mehr Industrieproduktion, desto schmutziger wird die Welt. Dies ist überwunden. Wir haben heute Emissionsschutzgesetze, Wassergüte, die eine Abkopplung des Wirtschafts- und des
Industriewachstums von der lokalen Verschmutzung bewirkt haben. In puncto Klima, in puncto biologischer Vielfalt und Bodenqualität, hat diese Abkopplung jedoch noch nicht begonnen.“
In einem umfangreichen Bericht warnen die Vereinten Nationen, dass Umweltprobleme Millionen Menschenleben kosten.
Verseuchtes Wasser verursache jährlich rund 1,4 Millionen Todesfälle, die Luftverschmutzung mehr als sechs Millionen.
Die Politik müsse nun umsteuern und den Umweltschutz stärken.
Um die Umwelt unseres Planeten steht es in dem UN-Bericht zufolge so schlecht, dass die Gesundheit der Menschen zunehmend bedroht wird. "Entweder wir verbessern den Umweltschutz drastisch - oder
Millionen Menschen werden in Städten und Regionen in Asien, dem Nahen Osten und in Afrika bis Mitte des Jahrhunderts vorzeitig sterben Neun Millionen Todesfälle allein im Jahr 2015 sind dem
Bericht zufolge auf Umweltverschmutzung zurückzuführen.
Seit 1997 veröffentlichen die Vereinten Nationen den Global Environment Outlook, der ähnlich den Berichten des Weltklimarats von Experten zusammengestellt und anschließend abgestimmt wird. Der
aktuelle Bericht steht unter dem Motto "Healthy Planet, Healthy People", wobei das eine sehr positive Formulierung ist - tatsächlich geht es eher darum, wie sehr ein kranker, verschmutzter Planet
auch der Gesundheit der Menschen schadet.
Der Bericht befasst sich mit den fünf Kernbereichen Atmosphäre, Artenvielfalt, Trinkwasser, Ozeane und Landflächen, wovon die ersten beiden am schwersten belastet sind. Luftverschmutzung und
Treibhausgase führen weltweit zu den meisten Todesfällen, Krankheiten und Fluchtbewegungen. Der Zustand der Artenvielfalt wird aufgrund von Artensterben, Biotopzerstörung und Insektenverlusten
sogar noch schlechter bewertet, die unmittelbaren Folgen für die Menschen seien aber bislang geringer.
Aufruf zu nachhaltiger Entwicklung
Jeder dritte Mensch auf der Erde habe noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 1,4 Millionen Menschen sterben deshalb jährlich an
vermeidbaren Erkrankungen wie Durchfall und Parasiten.
Zudem verbreiteten sich Antibiotika-Resistenzen aus Landwirtschaft, Aquakultur und Abwasser über Wasserwege. Zwischen dem Jahr 2000 und 2015 hätten 1,5 Milliarden Menschen erstmals Zugang zu
einer modernen Trinkwasserversorgung erhalten, das ist ein enormer Fortschritt.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse seien eindeutig, sagte die Leiterin des UN-Umweltprogramms, Joyce Msuya: " Gesundheit und der Wohlstand der Menschheit ist direkt mit dem Zustand unserer
Umwelt verbunden." Die Politik müsse sich nun für einen neuen Weg der nachhaltigen Entwicklung entscheiden. Derzeit sei die Welt nicht auf Kurs, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu
erreichen.
Der GEO-6-Bericht ist nach UN-Angaben die ausführlichste Umwelt-Studie der Organisation seit fast sieben Jahren. Demnach arbeiteten 250 Wissenschaftler und Experten aus mehr als 70 Ländern daran.
Bis Februar 2020 hätten die 184 Staaten, die das Paris-Abkommen ratifiziert haben, ihre verbesserten Klimaziele einreichen müssen. Nur drei Staaten
haben sich an die Frist gehalten die für 0,1 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen stehen.
Nicht einmal die EU hat es geschafft, sich an die Frist zu halten. 107 Länder haben angekündigt, im Verlauf des Jahres ihren Beitrag
zu erhöhen. Sie stehen für 15 Prozent der globalen Emissionen. Weitere 36 Länder, darunter die EU, haben ein Update angekündigt. Sie repräsentieren elf Prozent der weltweiten Emissionen.
Die restlichen Länder haben keine Angaben gemacht. Sie stehen für fast drei Viertel des globalen Treibhausgas-Ausstoßes.
Der Leiter des Senckenberg-Museums: »Den Menschen ging es noch nie so gut wie heute und der Erde noch nie so schlecht«. Das beschreibt im Grunde genommen unser Problem: Auf der positiven Seite stehen materielle Fortschritte, von denen die Leute profitieren. Aber die Voraussetzung
für diese Verbesserungen ist Zerstörung. Es zeigt sich dabei: Wir wachsen wirtschaftlich nur durch Beseitigung negativer Konsequenzen vorangegangenen Wachstums. Deshalb gibt es Fridays
for Future. Daher stellt sich die Frage, ob jetzt nicht harte Konfrontation mit dieser Realität angesagt ist?
Der Weltklimagipfel in Glasgow ist wegen der Coronakrise vertagt. Darum dürfte der Petersberger Klimadialog, der nur digital stattfindet, umso mehr Beachtung finden. Angela Merkel war es, die den
„Petersberger Klimadialog“ vor genau einem Jahrzehnt ins Leben gerufen hat. Die Veranstaltung hat sich zu einer wichtigen Plattform der Klimadiplomatie entwickelt.
Seitens der deutschen Wirtschaft erfolgte eine klare Botschaft: Die Coronakrise darf die Politik nicht dazu verleiten, im Klimaschutz nachzulassen, so das Signal von mehr als 60 Unternehmen, die
auf Initiative der „Stiftung 2 Grad“ einen gemeinsamen Appell verfasst haben. Sie wollen erreichen, dass der Neustart nach der Coronakrise konsequent dazu genutzt wird, die Weichen in Richtung
Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu stellen. Die mehr als 60 Unternehmen kommen aus allen Bereichen unserer und der internationalen Wirtschaft.
Afrika zahlt die Rechnung für eine Krise, die andere verursacht haben.
Laut einer Studie werden in den nächsten Jahren 48 Länder weltweit sehr stark vom Klimawandel betroffen sein. Die Hälfte davon befindet sich in Afrika. Besonders West- und Zentralafrika sind
exponiert. Laut der Studie könnte die Erderwärmung dazu führen, dass bis 2045 in Westafrika die Exporte um 10,8% und in Zentralafrika um 7,9% zurückgehen. Im Vergleich: In Europa werden laut
derselben Studie klimabedingt nur 0,1% der Exporte in Mitleidenschaft gezogen, in Nordamerika 1%. Nebst dem direkten Einfluss des Klimawandels auf die Natur und Umwelt weisen Experten auf die
Kosten der durch die Klimaveränderung erschwerten Arbeitsbedingungen hin.
Wie überall auf der Welt sind auch in Afrika Insel - und Küstenstaaten besonders vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Schon 2015 am Weltklimagipfel COP21 in Paris läutete die Regierung der
Seychellen die Alarmglocke. Denn wenn sich das Klima so entwickelt wie bisher, werden bis 2100 die meisten der kleinen Koralleninseln untergegangen sein. Es gibt Pläne, die «Klimaflüchtlinge»
dereinst auf aufgeschütteten Inseln umzusiedeln, die allerdings enorm teuer sind.
Was im Weltmaßstab gilt, trifft auch auf nationaler Ebene zu: Es sind vor allem die ohnehin schon armen Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas mit einem kleinen ökologischen Fußabdruck und innerhalb der Städte die Slumbewohner, die unter dem Klimawandel heute schon leiden und noch mehr leiden werden.
Mag sein, dass Menschen den Klimawandel überleben. Aber nicht siebeneinhalb Milliarden. Und nicht in der Form, die wir heute Zivilisation nennen.
Experten haben 91 500 Arten unter die Lupe genommen. Von den untersuchten Arten sind nach Erkenntnis der Experten 25 000 bedroht.
Nicht nachhaltige Landwirtschaft und massive Eingriffe in die Natur bedrohen wildes Getreide. 26 Weizenarten, 25 Reisarten und 44 Kartoffelarten haben die Experten des IUCN untersucht. Insgesamt
22 Arten stehen auf der Roten Liste. "Gesunde, artenreiche Ökosysteme sind elementar, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und den Hunger in der Welt zu besiegen", sagt
IUCN-Generaldirektorin Inger Andersen. Um Feldfrüchte zu entwickeln, die mit dem Klimawandel klarkommen, "müssen wir wilde Feldfrüchte bewahren", mahnte Jane Smart, Direktorin der IUCN. Denn
diese haben die genetische Vielfalt, die für widerstandsfähiges Saatgut wichtig ist.
Eine Privatisierung der Klimapolitik ist nicht die notwendige Antwort auf die dramatische Übertragung der Kosten unseres Wohlstands auf die Natur. Die Übertragung auf den Menschen ist durch die
soziale Marktwirtschaft beantwortet. Die Externalisierung auf Natur und Umwelt, erfordert in gleicher Konsequenz eine nachhaltige ökologische Marktwirtschaft.
Die Bilanzen der Industrie wie auch die Haushalte der öffentlichen Hand vernachlässigen die Kosten für die Beanspruchung der Umwelt. Der Fachbegriff für die Verschiebung von Kosten auf spätere
Haushalte oder auf andere Kostenträger ist die "Externalisierung". Es gibt viele Formen der Externalisierung von Umweltkosten. Die drei wichtigsten sind:
1. Externalisierung in die Zukunft: Maßnahmen werden so erledigt oder Produkte so hergestellt, dass Umweltkosten erst Jahre später anfallen. Beispiel: Der Einsatz von Pestiziden, um Geld für umweltfreundlichere Pflanzenschutzmaßnahmen zu sparen und höhere Hektarerträge zu erwirtschaften. Pestizide brauchen rund 20 Jahre, bis sie im Grundwasser nachzuweisen sind. Kosten für die Reinigung des Grundwassers werden in die Haushalte der Zukunft externalisiert.
2. Externalisierung auf den Steuerzahler: Ein Vorhaben wird so ausgeführt oder ein Produkt wird so hergestellt, dass Begleit- oder Folgekosten nicht dem Verursacher, sondern dem Steuerzahler, also der Allgemeinheit, zufallen. Beispiel: Die Herstellung von Produkten, die als Giftmüll entsorgt werden müssen. Da die Verursacher - Hersteller oder Käufer - in der Regel keine Entsorgungsmöglichkeit nachweisen, muss die öffentliche Hand, also der Steuerzahler, diese Aufgabe übernehmen und die Kosten tragen. Wären die Entsorgungskosten im Preis enthalten, würden diese Produkte nicht hergestellt oder verkauft.
3. Externalisierung in andere Länder: Aktivitäten gehen so vonstatten oder ein Produkt wird so hergestellt, dass Begleit- oder Folgekosten in einem anderen Land anfallen. Beispiel: Bei der Produktion von Futtermitteln für europäische Kühe auf Feldern der Dritten Welt werden Pestizide in höherem Maß eingesetzt als bei uns. Hinzu kommt, dass die traditionellen Lebens- und Wirtschaftsformen der Völker dieser Ländern durch Export-Monokulturen gefährdet werden. Die daraus entstehenden Kosten fallen nicht in Europa, sondern in den Ländern der Dritten Welt an.
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