Saarbrücken Heimat der Jugend - Saarreviere

Das Bahnhofsrevier

 

In Saarbrücken musste ich zuerst einmal von zuhause ankommen. Folglich waren der Hauptbahnhof und seine Umgebung lange Zeit erster und letzter Anlaufpunkt für mich auf meinen Fahrten zu und von meiner Lehrstelle, später den ersten Arbeitsstellen und dem Abendgymnasium. In diesem Gebiet um den Hauptbahnhof lagen rechts und links auf den Straßenecken am Rande des Vorplatzes zwei Gastwirtschaften. Auf der einen Seite in einem flachen Bau der „Holzkopp“, auf der anderen Seite eine üble Absackerspelunke in einem alten dreigeschossigen Bau. Aus dieser konnte man nach einer Schlägerei ab und an einen blutüberströmten Säufer wanken sehen. Auch warf das Rollkommando der „blau eingewickelten Abführbonbons“, so nannten wir die nach französischem Vorbild blau uniformierten Polizisten, mehrmals am Tage einige besonders wilde Schläger auf die Pritschenböden ihrer Wellblechtransporter der Marke Citroen, um sie in die Ausnüchterungszellen einzuliefern. Etwas weiter die Straße in Richtung Bergwerksdirektion hinunter befand sich mein erstes Stammcafe, eine schmale Eisdiele mit italienischem Besitzer, die sich über zwei Stockwerke erstreckte. Mein Stammplatz befand sich auf der Empore, direkt neben der offenen Wendeltreppe. Die breite Trierer Straße ging in Höhe der Eisenbahnstraße und Luisenbrücke über in die damalige Einkaufsstraße, die Bahnhofstraße. In der Eisenbahnstraße sollte ich später einmal mit wechselndem Geschick neue, gebrauchte und antike Möbel an Mann oder Frau bringen. Später werden durch die Saaruferbebauung in diesem Bereich ganz neue Möglichkeiten der Stadtentwicklung geschaffen.

 

Das Marktrevier

 

Dort, wo sich heute eine Fußgängerzone mit Läden und Boutiquen, Szenetreffs und Nobelrestaurants um den St. Johanner Markt erstreckt, donnerten Lkws und Pkws in beiden Richtungen über Bahnhofstraße und Mainzer Straße am Markt vorbei. Zwischen Stadtgraben, Fürstenstraße, Gerberstraße und Bleichstraße war das Revier dicht besetzt mit biederen Gasthäusern, Kneipen, Spelunken und Bars ebenso wie mit alten Mietshäusern und kleinen Handwerksunternehmen. Zudem war dies der Rotlichtbezirk Saarbrückens. Eine bürgerliche Ausnahme bildet das Gebäude des Saarlandmuseums und die Zeile der Geschäfte am Marktplatz. Der Handwerksbetrieb, in dem ich eine Lehre absolvierte, lag ebenfalls in diesem Viertel. Das Abendgymnasium, das Staatstheater und das Rathaus lagen im Einzugsbereich. Über die noch nicht kanalisierte Saar führte die alte Fußgängerbrücke zum Schloss jenseits am Hang, dahinter stieg steil der Reppertsberg an.

 

Das Krankenrevier

 

Ging man zu Fuß vom St. Johanner Markt über die alte Saarbrücke hinauf zum Schloss, an diesem vorbei, danach über den steilen Treppenpfad den Hang hinauf bis zur Höhe, so kam man, ob man dies wollte oder auch nicht, letztendlich zum Krankenhaus auf dem Reppertsberg. Diesen Weg nehme ich während meines zweiten Lehrjahres, weil mein Meister als Innungsmeister den durchaus lukrativen Auftrag übernommen hatte, alle anfallenden Reparaturen und die Sanierung der Elektrik des Krankenhauses durchzuführen. Fahre ich mit dem städtischen Bus, dann führt mein Weg vom Bahnhofsvorplatz über die Luisenbrücke, an Ludwigsplatz mit der Ludwigskirche vorbei über die Metzer Straße bis zur Höhe, dort an der Haftanstalt nach links über den Lerchesflurweg bis zur Kirche an der Kreuzung Spichererbergstraße, Reppertsbergstraße. Wer die Geschichte der kriegerischen deutsch-französischen Auseinandersetzungen kennt, weiß auch um die Bedeutung dieser oft heiß umkämpften Höhen. Nach Norden habe ich von den Gebäuden des Krankenhauses einen freien Blick auf die Stadt und über den Bogen, den die Saar um Alt Saarbrücken macht, im Osten schaut man auf die damals noch unbebaute Kuppe des Winterbergs, im Süden weit hinein ins französische Grenzland und im Westen zum Ehrental hinunter, wo später der Deutsch französische Garten entsteht.

 

Das Parkrevier

 

Der Frühling ist in diesem Jahr so spät dran, wie Ostern. Jetzt aber kommt er mit Macht. Die letzten Frostnächte sind vorbei, die Frühlingsblumen auf den Rabatten im Park hinter dem Stadttheater zur Saar hin blühen bereits in voller Pracht. Die Sträucher zeigen sich mit noch zaghaften, maigrünen Austrieben. Heute stehen dort anstelle von Parkbänken und Sträuchern die Musikhochschule und die Moderne Galerie. Der junge Bokolic hat sein erstes eigenes Zimmer am Rande der Stadt bezogen. Es ist eher eine Höhle, denn ein Zimmer, im Souterrain gelegen, dringt gerade einmal drei Stunden am Morgen ein Sonnenstrahl in seine Behausung. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Bokolic nach Feierabend sich mit einem Buch eher auf eine Parkbank verzieht, als in der dunklen Bude zu hocken.